»Francis, jetzt sagen Sie mir bitte, was ich mit all diesen Dingen zu tun habe. Ich platze ja bald vor Neugier!«
»Ganz einfach, Marie-Claire! Sie sind unsere Expertin für historische Schmuckstücke. Sie sind reiseerfahren, sprechen mehrere Sprachen fließend – darunter auch Arabisch –, und Sie genießen mein Vertrauen. Uneingeschränkt! An diesen drei Diamanten hängt mehr, als wir alle ahnen. Bitte wahren Sie strengstes Stillschweigen über das, was Sie tun. Niemand, Marie-Claire, und ich betone: niemand außer Ihnen und mir darf wissen, wonach Sie suchen. Und absolut niemand darf erfahren, dass wir in unseren Unterlagen Informationen zu dem damaligen Auktionsanbieter von Genf, dem vermeintlichen Besitzer des Florentiners haben. Niemand! Es könnte sein, dass dieser Besitzer in großer Gefahr schwebt, weil gewisse Leute wissen, warum diese drei Edelsteine irgendwie zusammengehören. Diese mysteriösen ›drei Brüder‹ oder, wie die indische Legende sie tituliert, die ›göttlichen drei Brüder‹, bergen ein Geheimnis in sich. Marie-Claire, finden Sie heraus, was es ist …«
3. Kapitel
Commissario Franco Manzoni war außer sich vor Wut. In wenigen Sekunden entlud sich all seine Frustration aus den zurückliegenden fünfunddreißig Dienstjahren. »Porca miseria«, presste er hervor, sprang mit hochrotem Kopf und blitzenden Augen vom Stuhl hoch und schritt wild mit den Händen gestikulierend durch sein Büro hin zum Fenster. Laut und schnell atmend starrte er für Momente hinunter auf die Straße, drehte sich dann abrupt um und blickte Staatssekretär Alberto Pellini aus dem Justizministerium mit unverhohlener Verachtung an.
»Bei allem gebotenen Respekt, Herr Staatssekretär: Was Sie fordern, ist ein Unding, ein Skandal! Das ist eines Rechtsstaates nicht würdig! Seit fünfunddreißig Jahren bin ich nun im Dienst, und wenn es das Letzte ist, was ich vor meiner anstehenden Pensionierung tun werde: Das werde ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mittel zu verhindern wissen! Mit mir, Herr Staatssekretär, ist das nicht zu machen – basta!«
Der Staatssekretär schien völlig unberührt von den Worten des Kommissariatsleiters. Hinter seiner dickglasigen Nickelbrille blickte er mit grenzenloser Arroganz den noch immer aufgebracht in seinem Büro auf und ab laufenden Commissario an. Er kannte Franco Manzoni seit vielen Jahren. Ein exzellenter Kriminalbeamter, der sich in den Hochzeiten der Roten Brigaden in den siebziger Jahren bei einem Sonderkommando in Rom einen hervorragenden Ruf als Terroristenfahnder erworben hatte. Aber das lag nun schon viele Jahre zurück. Seit der Commissario aus privaten Gründen als Kommissariatsleiter für Eigentumsdelikte nach Florenz versetzt worden war, war es ruhig geworden um den legendären Terroristenfahnder. Nein, aus dem einst mit höchst unkonventionellen Mitteln unglaublich effektiv und erfolgreich agierenden schlanken Terroristenjäger war ein dickleibiger, träger Pensionist geworden. In sechs Monaten würde er aus dem Dienst ausscheiden, und daher war sich Staatssekretär Pellini sicher, dass dieser cholerische Anfall des Commissario nicht lange anhalten würde. Außerdem war Manzoni weisungsgebunden. Der Innenminister hatte entschieden, dass der arabische Junge abgeschoben werden würde. Daran konnte Commissario Manzoni kaum etwas ändern.
»Franco«, suchte er den aufgebrachten Kriminalbeamten zu besänftigen, »Sie sprechen von Rechtsstaatlichkeit, führen sich selbst aber auf wie ein Ignorant, dem jegliches Feingefühl für das Recht fehlt! Unsere Gesetze sagen nun einmal unmissverständlich, dass ein zwölfjähriges Kind nicht strafmündig ist. Das vorläufige Gutachten unseres Psychologen attestiert diesem kleinen arabischen Knirps einen IQ, der eher im Grenzbereich zum Schwachsinn angesiedelt ist. Der wird nicht einmal nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können! Wollen Sie ein Kind, das, mit Verlaub gesagt, auch noch blöde ist, ins Gefängnis sperren?«
»Dieses angeblich blöde Kind hat drei Menschen umgebracht!«, fauchte Commissario Manzoni ungehalten. »Es ist ein kleiner, abgerichteter Killer!«
»Ohne jegliches Unrechtsbewusstsein …«, unterbrach ihn der Staatssekretär.
»Quatsch, absoluter Quatsch ist das«, echauffierte sich Franco Manzoni. Er spürte, dass er in der Stimmung war, seinen ganzen angestauten Unmut rauszukotzen. Diesen aufgeblasenen Staatssekretär mit seinem Hühnerhabichtgesicht mochte er sowie nicht. Ihm war heute alles egal. In sechs Monaten würde er pensioniert. Jetzt war die Zeit gekommen, zu sagen, was er zu sagen hatte. »Dieser arabische Knirps ist genauso wenig unschuldig, wie es jene Kinder sind, die in Palästina mit Stein- und Metallschleudern israelische Polizisten beschießen und schwer verletzen, Molotow-Cocktails werfen – und dann hinterher von der palästinensischen Propaganda in den Medien weltweit als arme, unschuldige, von brutalen israelischen Soldaten geschundene Kinder präsentiert werden!«
»Ich bitte Sie, Franco …«, wollte der Staatssekretär den in Rage geratenen Beamten unterbrechen. Aber Franco Manzoni fühlte sich plötzlich ungemein wohl bei dem, was er sagte.
»Dieser junge Bursche, der einen Museumswächter und zwei Besucherinnen im Palazzo Pitti in die Luft gejagt hat, ist genauso wenig unschuldig, wie es jene Kinder sind, die von Djihad-Fanatikern ausgebildet werden, mit Sprengstoffgürteln um den Bauch Zivilisten zu töten. Das sind keine Kinder, verdammt, das sind junge Menschen, die in einer von abgrundtiefem religiös-fundamentalistischem Hass geprägten Welt aufwachsen. Nach Jahren gezählt sind es Kinder. Richtig! Aber es sind Täter, die genau wissen, was sie tun, weil alle anderen Menschen in diesen Regionen es ohne jegliches Unrechtsbewusstsein auch tun. Und deswegen ist es für sie legitim, zu verletzten, zu töten – bei vollem Bewusstsein, dass sie töten. Wenn eines von diesen, wie Sie sagen, Kindern in einem fundamentalistischen, nach den Rechtsprinzipien der Scharia regierten Land eine ähnliche Straftat begehen würde, träfe es die geballte Macht der Gnadenlosigkeit Allahs, Herr Staatssekretär! Einem Kind, das dort klaut, wird die Hand abgehackt. Wenn es zu jung ist, das Kind, wird seinem Vater die Hand abgehackt! Denn er ist es, der verantwortlich ist für das Tun seines leiblichen Zöglings. So ist das mit der Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern!«
Staatssekretär Pellini hätte gerne gesagt, dass vieles stimmte von dem, was Commissario Manzoni sagte, aber das durfte er nicht. Seine Direktiven aus dem Justizministerium waren eindeutig und nicht zu diskutieren. Verlegen räusperte er sich.
»Das unterscheidet eben Rechtsstaatlichkeit in Europa von jener in den von Ihnen benannten Ländern. Für unsere moralisch-ethischen Werte und die daraus resultierenden Rechtsprinzipien hat das christliche Abendland jahrhundertelang gekämpft. Franco, wollen Sie, dass wir zurück in die Zeiten der Barbarei, diktatorischen Unrechtssysteme und despotischen Willkürherrschaft fallen?«
»Das ist absurd, Herr Staatssekretär, völlig widersinnig, was Sie da fragen. Natürlich will ich das nicht! Aber es kann auch nicht sein, dass aus jenen Ländern, die sich unseren Rechtsprinzipien nicht verpflichtet fühlen, dass aus solchen Ländern vermeintliche Kinder von ihren Vätern und Verwandten nach Italien geschickt werden, hier Straftaten begehen, bandenmäßig organisiert klauen, mit Rauschgift handeln – oder, wie jetzt im Palazzo Pitti, Menschen mit Sprengstoff in die Luft jagen, um dann als arme, unschuldige Kinderlein völlig straffrei wieder nach Hause geschickt zu werden. Das unterhöhlt unser Rechtsprinzip, degradiert unsere Kriminalbeamten zu Witzfiguren! Es macht mich und die Menschen dieses Landes zu recht- und hilflosen Hampelmännern – machtlos gegenüber jenen, die unsere demokratischen Prinzipien für ihr Tun skrupellos ausnutzen. Das, Herr Staatssekretär, kann nicht sein!« Der Commissario holte tief Luft, wandte Alberto Pelini demonstrativ den Rücken zu, schaute aus dem Fenster und sprach weiter. Diesmal jedoch sehr ruhig.