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Da war es leicht, sich zu dem sympathischen, aufrichtigen Zimmermann hingezogen zu fühlen. Genauso leicht wie es gegenüber Carl ungerecht war.

Irene zuckte zusammen, als sie wieder die Stimme aus ihrem Traum hörte. Die Stimme, mit der Carl zuletzt gesprochen hatte. Die junge Frau war für einen Moment verwirrt und versuchte zu begreifen, weshalb ihr Traum nach der Wirklichkeit griff.

Bald erkannte sie, daß die herrische Stimme nicht ihrem Traum entsprang, sondern der Wirklichkeit. Im Schlaf hatte Irene die Stimme gehört, und ihr Traum hatte sie für sich übernommen.

Irene mußte nur kurz überlegen, um die Stimme zu identifizieren. Sie gehörte Byron Cordwainer. Und sie kam aus dem Zimmer nebenan, aus dem Schlafzimmer seiner Frau Virginia.

Jetzt hörte sie auch die Stimme der Frau, die ebenfalls lauter wurde und sich damit dem Tonfall ihres Mannes anpaßte. Es war offensichtlich, daß die beiden einen Streit austrugen.

Unwillkürlich fragte sich Irene nach dem Anlaß. Sie kannte ihn nicht, vermutete nur, daß Cordwainer von seinem nächtlichen Kontrollgang heimgekehrt und jetzt aus irgendeinem Grund mit seiner Frau aneinandergeraten war.

Die Stimmen wurden so laut, daß Irene den Streit verfolgen konnte, ob sie wollte oder nicht. Nicht alles, aber in Bruchstücken.

»... dein Verhalten unmöglich!« fuhr der älteste Sohn des Hausherrn seine Frau an. »...> mich gehörig blamiert ... am Tisch gesessen, stumm wie eine Gipsfigur .«

». dein Gerede nicht länger ertragen, Byron«, verteidigte sich die junge, schwangere Frau. ». nicht alle schlecht, die Sklaven halten . auch unter den Sklavereigegnern . Mörder .«

Virginias Stimme erstarb abrupt, unterbrochen von einem lauten Klatschen, dem ein dumpfer Schlag folgte.

Für eine halbe Minute herrschte völlige, fast unheimlich wirkende Stille.

Dann hörte Irene ein leises Wimmern, noch einmal Byron Cordwainers Stimme - zu undeutlich, um sie zu verstehen -, das Schlagen einer Tür und draußen auf dem Gang schwere, sich entfernende Schritte. Cordwainer hatte anscheinend das Schlafzimmer seiner Frau verlassen, um sein eigenes aufzusuchen.

Was blieb, war das Wimmern.

Der erschöpfte Jamie hatte sich von der Aufregung nicht stören lassen und schlief weiterhin ruhig und zufrieden.

Irene aber konnte erst keinen Schlaf finden.

Ihre Gedanken kreisten um das, was sie mitangehört hatte.

Und um ihre eigene Zukunft. Wurde es so, wenn man den falschen Mann heiratete?

*

Edwin Hatfield zählte fünf Männer, die seinen Wagen umringten, tief vergraben unter breitkrempigen Hüten und Kutscher- oder Militärmänteln, an denen das Regenwasser herablief und sich mit dem Dreck vermengte, der an ihrer Kleidung klebte. Die Männer waren durchweg unrasiert und machten einen stark übermüdeten Eindruck, als hätten sie lange Zeit ohne Rast im Sattel gesessen.

Gleichwohl blickten ihre Augen wachsam und feindselig. Die Art, in der sie ihre Waffen auf Hatfield und den reglos am Boden liegenden Gus Peterson richteten, zeigte, daß sie an den Umgang mit ihnen gewöhnt waren.

Der Arzt ließ die Zügel los, mit denen er sein, bei den Schüssen nervös gewordenes, Pferd im Zaum gehalten hatte. Als der junge Bankclerk von den Kugeln getroffen wurde, unterdrückte er den ersten beim Auftauchen der Fremden empfundenen Impuls, seine Nelly anzutreiben und sich möglichst schnell davonzumachen. Vielleicht lebte Peterson noch und benötigte seine Hilfe.

Außerdem hätten ihn die Fremden wahrscheinlich mühelos vom Kutschbock geschossen oder ihn mit ihren Pferden eingeholt. Daß sie ihre Reittiere irgendwo in der Nähe versteckt hatten, stand für Hatfield fest. In dieser Gegend ging niemand zu Fuß. Außerdem wiesen die Sporen an den Stiefeln der fünf Männer unmißverständlich darauf hin, daß sie sich auf dem Pferderücken durchs Land zu bewegen pflegten.

Wie zur Bestätigung von Hatfield Gedanken trat in diesem Augenblick ein sechster Mann aus dem Unterholz, der sechs gesattelte Pferde an den Zügeln hielt. Er unterschied sich kaum von seinen Begleitern.

Hatfield kümmerte sich nicht weiter um ihn und die fünf anderen. Er sprang vom Bock und wäre fast auf dem glitschigen Boden ausgerutscht. Er konnte sich im letzten Moment an einem der Vorderräder festhalten.

Der 44er Colt in der Hand eines der Fremden ruckte zur Seite, bis sich die Mündung direkt vor Hatfields Gesicht befand. Hätte der Mann mit dem Schießeisen jetzt abgedrückt, hätte die Kugel Hatfields Nase weggerissen.

»Was soll das, Opa?« knurrte der Fremde mit tiefer, rauher Stimme.

»Hältst du die Dinger in unseren Händen für Spielzeuge? Noch eine Bewegung, und ich beweise dir, daß es Spielzeuge mit tödlicher Wirkung sind!«

»Das habt ihr schon bewiesen, indem er auf den Mann hier geschossen habt. Und deshalb muß ich ihm helfen.«

»Ich glaube nicht, daß dem noch zu helfen ist«, meinte der Mann mit dem 44er nach einem kurzen, mitleidslosen Blick auf Peterson.

Der Clerk lag noch immer neben dem Einspänner und rührte sich nicht. Die beiden Kugeln hatten seinen Regenumhang vor der Brust zerfetzt, und durch die Löcher sah man die rote, aus seiner Brust strömende Flüssigkeit. Seine Blutung mußte sehr stark sein. Wenn man noch etwas für ihn tun konnte, mußte es sehr schnell geschehen.

»Vielleicht doch«, widersprach der Arzt. »Ich will es jedenfalls versuchen.«

»Verstehst du etwa was davon?«

»Ich bin Arzt.«

Die Augenbrauen des Bewaffneten hoben sich. Jetzt erst bemerkte er die große Tasche aus schwarzem Leder, die auf der Rückbank des Einspänners lag.

»Also gut«, entschied der Fremde, offenbar der Anführer der Gruppe. »Kümmer dich um den Mann.«

Das ließ sich Hatfield nicht zweimal sagen. Er schnappte sich seine Tasche, stellte sie achtlos in den Matsch neben Gus Peterson und befreite vorsichtig die Brust des Clerks von seiner Kleidung.

Der Atem des Verwundeten ging zwar schwach und unregelmäßig, aber nach Hatfields Erfahrung war es nicht der Atem eines Mannes, dessen Tod unmittelbar bevorstand.

Nicht, wenn man etwas für Peterson tat.

Der Anführer der Bewaffneten, von seinen Kumpanen Walt genannt, steckte den 44er in das von seinem grauen Militärmantel verborgene Holster und gab den anderen Anweisungen.

Einer der Männer suchte Petersons Pferd und kehrte nach wenigen Minuten mit dem Schecken am Zügel zurück.

Ein anderer, ein klobiger Kerl namens Dobbs, nahm die Waffen des glücklosen Boten an sich und durchsuchte dann Hatfields Wagen nach weiteren Warfen.

»Nichts«, meinte er schließlich zu Walt, nachdem er den Einspänner zweimal gründlich durchsucht hatte.

»Fährst du etwa ohne Waffen durch dieses Land, Doc?« fragte Walt zweifelnd.

»Meine Waffen sind hier«, erwiderte der Arzt und zeigte auf seine Tasche. »Mit ihnen zerstöre ich keine Leben, sondern rette sie. Damit bin ich immer gut gefahren.«

»Bis heute«, meinte Dobbs und stieß ein meckerndes Lachen aus. Dann sah er Walt an. »Was halten wir uns eigentlich so lange mit den beiden Figuren auf? Legen wir sie um und reiten weiter. Ist doch nur Zeitverschwendung!«

Hatfield, der gerade einen dicken, engsitzenden Verband um Petersons gesäuberte Wunden legte, hielt einen Moment in seiner Arbeit inne, um Walt und Dobbs einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. »Ich habe Quantrills Männer für Soldaten gehalten. Jetzt erkenne ich, daß es stimmt, was man sich über euch erzählt.«

»Was?« fragte Dobbs mit vorgerecktem Kinn.

»Das ihr nichts weiter seid als gemeine Mörder.«

»Dreckskerl!« zischte Dobbs und riß seinen Revolver aus dem Holster, um ihn auf den Arzt zu richten. »Du wirst niemanden von uns mehr beleidigen!«