Der Jüngling in der fransenbesetzten Lederjacke folgte ihnen und knurrte: »Jetzt können Sie zeigen, daß Sie ein mutiger Mann sind, Yankee!«
Der andere Südstaatler zog einen der großen Navy Colts aus seiner Schärpe.
»Was zur Hölle wollen Sie von mir?« begehrte Hatfield auf.
»Ihre Unterstützung, Doc«, sagte der Hakennasige auf einmal ganz ruhig und hielt ihm den Revolver so hin, daß Hatfield ihn am Griff packen konnte. »Können Sie damit umgehen?«
»Jetzt verstehe ich Sie noch weniger«, sagte der Arzt ebenso überrascht wie ehrlich.
»Wir gehören nicht zu Quantrill«, erklärte der Mann mit der roten Schärpe. »Jedenfalls nicht wirklich. Wir mußten nur mit den Wölfen heulen, um nicht aufzufallen.«
»Wer ... wer sind Sie?«
Der Mann mit dem Raubvogelgesicht deutete eine leichte Verbeugung an, als stände er auf der Bühne eines Theaters, und stellte sich mit einem leichten Grinsen vor: »James Butler Hickok, zu Ihren Diensten.«
Auch sein junger Freund versuchte eine Verbeugung, was aufgrund seiner Schlaksigkeit etwas ungelenk wirkte. »William Cody, ebenfalls zu Ihren Diensten, Doc.«
»Jetzt kenne ich Ihre Namen, weiß aber immer noch nicht, was Sie hier machen.«
»Wir versuchen, Quantrill die Suppe zu versalzen«, entgegnete Hickok. »Wir arbeiten für die Unionsarmee. Ich bin, hm, sagen wir einmal ein Kundschafter hinter den feindlichen Linien.« Er schlug dem Jüngeren so heftig auf die Schulter, daß dieser zusammenzuckte. »Mein Freund Will sollte eigentlich nur ein paar Pferde zurückholen, die Sympathisanten des Südens der Armee gestohlen haben. Wir trafen uns zufällig und stellten fest, daß unser Ziel dasselbe war: Quantrill. Ihm wurden die gestohlenen Pferde zugeführt. Und ihm war ich auf der Spur, weil ich gehört hatte, daß er einen großen Raid plant.«
»Das Depot von Liberty«, brummte Hatfield.
»Das dachten wir erst auch«, fuhr Hickok fort. »Aber dann bekamen wir heraus, daß Quantrill eine noch größere Sache vorhatte als den Überfall auf das verhältnismäßig unbedeutende Depot. Eine Sache, für die er die bei Liberty erbeuteten Waffen und Sprengstoffe einsetzen wollte. Deshalb veranlaßten wir, daß das Depot bis auf einen kleinen Teil kurz vor dem Überfall leergeräumt wurde.«
»Um herauszubekommen, was Quantrill mit der Beute vorhat.«
»So ist es, Doc. Und jetzt sind wir hier und wissen, daß es Quantrill auf Blue Springs abgesehen hat.«
»Jetzt verstehe ich, weshalb Sie es gegenüber Quantrill darauf angelegt haben, als Wachhunde auf der Farm zu bleiben.«
Hatfield kratzte sich am Hinterkopf, während er angestrengt überlegte, aber er kam zu keiner Lösung des ihn beschäftigenden Problems.
»Helfen Sie mir, wenn ich mich täusche, Mr. Hickok«, fuhr er fort. »Aber ich kann mir beim besten Willen nicht denken, daß es in Blue Springs etwas zu holen gibt, das wertvoller ist als die Waffen aus Liberty.«
»Da haben Sie recht. Es sei denn, es gibt in Blue Springs etwas, von dem Will und ich nichts wissen. Quantrill scheint es zu wissen, Anderson und Todd auch. Aber die drei sind schweigsam wie vernagelte Särge.«
Hickok und Cody sahen den Arzt durchdringend an, die unausgesprochene Frage unverkennbar in ihren Augen.
»Ich weiß nicht, was das sein könnte«, sagte Hatfield. »Meiner Meinung nach lohnt es sich nicht, Menschenleben zu opfern, um Blue Springs einzunehmen.«
»Wofür lohnt es sich schon, Menschenleben zu opfern«, meinte Hickok versonnen und starrte in eine unbestimmte Ferne. Er gab sich einen Ruck. »Vielleicht schaffen wir drei es, das Schlimmste zu verhindern, Doc. Helfen Sie uns?«
Der Arzt nickte. »Ich werde alles tun, was ich kann.«
»Gut. Wir steht es mit der Antwort auf meine Frage?« Hickok schaute auf den Revolver, der noch immer in seiner ausgestreckten Hand lag. »Können Sie mit so einem Ding umgehen?«
»Ich bin kein Revolverheld. Aber ich kann schießen und treffen, wenn das Ziel nicht allzu weit entfernt ist.«
»Das genügt für unsere Zwecke. Wir wollen hoffen, daß es gar nicht erst zu einer Schießerei kommt.«
»Was haben Sie vor?«
Hickok zeigte auf das Haus. »Wir gehen hinein und entwaffnen Quantrills Männer. Die meisten sind so geschwächt, daß es nicht schwer sein dürfte. Dann reiten Sie und ich nach Blue Springs. Schätze, ein Arzt wird dort bald dringend gebraucht. Will wird das zu Ende führen, was Ihrem jungen Freund leider nicht vergönnt war. Er wird nach Kansas City reiten und General Ewing von dem informieren, was hier los ist.«
Hatfield musterte Cody ein wenig skeptisch. »Sie sind noch sehr jung, Mister. Werden Sie das schaffen.«
Cody grinste leicht, und es wirkte ein wenig verlegen. »Ich werde mich bemühen.«
Jetzt grinste auch sein Freund. »Will ist der beste Reiter, den ich kenne. Er ist für den Pony Express geritten und würde es vielleicht noch tun, hätte die Western Union mit ihrem Telegrafen Russel, Majors & Waddell nicht das Wasser abgegraben.«
»Also gut«, sagte Hatfield und nahm Hickoks Navy Colt an sich. »Ich bin dabei. Wann schlagen wir los?«
»Sofort!« antwortete Hickok. »Die Zeit drängt. Verstecken Sie die Waffe unter Ihrem Hemd und spielen sie den Geschundenen!«
Der Arzt verstand. Er ließ sich von den beiden anderen, laut fluchenden Männern ins Haus stoßen, wo sich Agnes und Cora Miller um die Verwundeten kümmerten. Alle sahen ihnen entgegen, die Südstaatler neugierig, die Frauen ängstlich.
Dann ging alles sehr schnell. Hickok, Cody und Hatfield zogen ihre Revolver und richteten sie auf die Verwundeten.
»Laßt stecken!« sagte Hickok scharf. »Ihr wäret nicht schnell genug.«
Ein vollbärtiger Mann, der in einer Ecke lag, wollte nicht auf ihn hören und riß seinen Sechsschüsser aus dem Holster neben seinem Lager. Bevor er noch den Hahn gespannt hatte, hatte Hickok ihm schon eine Kugel zwischen die Augen gejagt. Die Frauen schrien auf.
»Wir machen keinen Spaß!« zischte Hickok und sah dann die beiden Frauen an. »Ladys, seien Sie so gut und sammeln Sie die Waffen ein.«
Cody holte einen leeren Proviantsack, in dem alle Revolver, Karabiner und Messer landeten.
Ben Miller und sein Sohn Johnny wurden aus dem Hinterzimmer, in das sie eingeschlossen waren, befreit und über die Absichten ihrer Retter aufgeklärt.
»Es ist natürlich Ihre Sache, was Sie jetzt unternehmen, Mr.
Miller«, sagte Hickok. »Aber ich an Ihrer Stelle würde fürs erste nicht auf der Farm bleiben, nicht mit Frau und Kindern.«
»Wo sollen wir denn hin?« fragte der Farmer.
»Laden Sie Ihre Familie und Ihre wichtigste Habe auf einen Wagen und fahren Sie nach Kansas City«, schlug der hakennasige Kundschafter vor. »Berufen Sie sich dort auf mich und stellen sich unter den Schutz der Armee.«
Der Farmer sah Hatfield an. »Können wir Susan denn transportieren, Doc?«
Der Arzt nickte. »Du mußt deine Tochter nur gut einpacken, Ben.«
So geschah es. Ben Miller überspannte seinen alten Kastenwagen mit einer Plane und bereitete darunter ein weiches, warmes Lager für seine kranke Tochter. Um sie herum wurden die Habseligkeiten gelagert, die man mitnehmen wollte. Zwei kräftige Klepper zogen den Wagen, der von Agnes Miller und ihrer Tochter gelenkt wurde. Ben und Johnny Miller suchten sich aus den zurückgebliebenen Pferden der Freischärler zwei Tiere aus.
Dann schlug die Farmerfamilie den Weg ein, den zuvor schon der junge Will Cody genommen hatte. Er hatte sich ein Ersatzpferd aus der kleinen Herde der Guerillas ausgesucht, um unterwegs das Pferd wechseln zu können und mit möglichst wenig Pausen nach Kansas City zu reiten.
Hickok und Hatfield fesselten die Verwundeten, die sich noch aus eigener Kraft fortbewegen konnten, und schlossen sie im Vorratskeller ein. Sie suchten sich unter den verbliebenen Pferden die drei besten aus und ritten im scharfen Galopp in Richtung Blue Springs. Das dritte Pferd trug die Waffen der Guerillas, die die Verteidiger von Blue Springs gewiß gut gebrauchen konnten.