Jacob wäre davon nicht überrascht gewesen, denn während der Mittagsrast hatte er sich den stiernackigen Iren zum Feind gemacht.
Obwohl die Schiffahrtsgesellschaft, der die PRIDE OF MISSOURI gehörte, den Transport der Passagiere nach Blue Springs bereits bezahlt hatte, wollte Collum noch einmal bei den Fahrgästen abkassieren. Er drohte offen damit, alle, die nicht bezahlten, einfach in der unbewohnten Prärie zurückzulassen. Ein paar der Betroffenen zahlten daraufhin widerwillig.
Da mischten sich Jacob und Martin ein und bestanden darauf, daß Collum kein Anrecht auf zusätzlichen Lohn hätte. Als der Treckführer zur Waffe greifen wollte, sprang Jacob nach vorn, hob drohend seine großen Fäuste und fragte Collum, ob er nicht lieber einen ehrlich Kampf Mann gegen Mann wollte.
Aber Collum gab klein bei. Er sah, daß seine Passagiere, durch das Beispiel der beiden Deutschen ermutigt, geschlossen Front gegen ihm zu machen begannen, und gab die bereits einkassierten Gelder zurück. Trotz seiner gewaltigen Körperkräfte war er ein Feigling, der nur dann auftrumpfte, wenn er sich seines Sieges sicher war.
Seit diesem Vorfall war Nate Collum auf Jacob und Martin etwa so gut zu sprechen wie ein eingefleischter Südstaatler auf Präsident Lincoln.
»Was ist los?« schrie Jacob zurück. »Warum ändern wir unsere Richtung?«
»Weil die Brücke bei Lone Rock eingestürzt ist. Der Blue River ist dort so stark, daß er sie einfach weggerissen hat. Wir müssen Blue Springs auf dieser Seite des Flusses umgehen.«
»Dauert das nicht länger?«
»Etwa zwei Stunden. Der Weg führt durch felsiges, hügeliges Gelände und ist etwas beschwerlicher.«
»Woher wissen Sie das mit der Brücke?«
»Die drei haben es mir eben gesagt«, antwortete Collum und zeigte auf die anderen Reiter, die Jacob, obwohl er sie nur schemenhaft sah, auf unheimliche Weise bekannt vorkamen; dabei kannte der Auswanderer niemanden im Grenzgebiet zwischen Missouri und Kansas.
»Wer sind sie?«
Collum hob die breiten Schultern an und ließ sie wieder fallen. »Reisende, nehme ich an. Sie haben ihre Namen nicht genannt.« Der Blick aus seinen tückischen Augen wurde feindselig. »Warum stellen Sie so viele Fragen, Mr. Dutchman?«
»Weil es mir seltsam vorkommt, daß wir plötzlich unseren Kurs ändern. Weil es mir seltsam vorkommt, daß sich die Fremden nicht mit Namen vorgestellt haben. Und weil es mir seltsam vorkommt, daß sie jetzt mit uns reiten. Wo wollen sie denn hin?«
Collum kratzte überlegend an seiner Nase. »Hm, das haben sie so ausdrücklich nicht gesagt. Aber da sie uns begleiten wollen, wird ihr Ziel wohl auch Blue Springs sein.«
»Woher wissen sie dann das mit der eingestürzten Brücke?«
»Sie werden da gewesen sein und vergeblich versucht haben, bei Lone Rock über den Fluß zu kommen.«
»Und was machen sie hier? Wenn sie nach Blue Springs wollen, sind sie von Lone Rock aus genau in die entgegengesetzte Richtung geritten. Andernfalls hätten sie wohl kaum mit uns zusammentreffen können.«
Der Ire kratzte jetzt so heftig an seinem voluminösen Riechorgan, daß man befürchten mußte, er könnte es jeden Moment abreißen. »Verdammt, verflucht und zugenäht, bei meiner toten Großmutter, die daheim in Irlands kühler Erde liegt, das paßt tatsächlich nicht zusammen.«
»Ich würde sogar sagen, es stinkt zum Himmel. Und es riecht nach einer Falle.«
Unwillkürlich legte Collum die Rechte auf den Revolver an seiner Hüfte. »Da könnte was dran sein, Mr. Dutchman. Aber was machen wir jetzt?«
»Die Frage ist wohl eher, was die jetzt machen«, meinte Jacob und sah nach vorn, von wo die drei Fremden auf ihn und den Treckführer zugeritten kamen. Wahrscheinlich wunderten sie sich, wo Collum so lange blieb.
Als die Regenschleier ihre Gesichter nicht mehr verdeckten, erkannte Jacob die Reiter sofort. Alle waren noch recht jung, etwa in Jacobs Alter.
Der vorderste Reiter, groß, schlank, blaß, mit hoher Stirn und hellbraunem Haar, machte einen zurückhaltenden, fast schüchternen Eindruck. Aber das täuschte. Er konnte sehr gefährlich werden.
Rechts hinter ihm ritt ein noch jüngerer Mann, der die Familienähnlichkeit mit dem anderen nicht leugnen konnte; aber er wirkte nicht so scheu, sondern aggressiv. Ständig zwinkerte er mit seinen stahlblauen Augen. Als Jacob genauer hinsah, bemerkte er, daß sein linker Mittelfinger ein Stück kürzer als normal war; das letzte Glied fehlte. Der junge Bursche hatte es sich selbst abgeschossen, als Jacob aus dem Camp von Quantrills Freischärlern geflohen war.
Der dritte Reiter erinnerte mit seinem kräftigen Körperbau und dem roten Bart ein wenig an Collum, war nur etliche Jahre jünger.
Die Namen der drei Männer hatte sich ebenso wie ihr Aussehen unauslöschlich in Jacobs Gedächtnis gebrannt: Frank James, Jesse James und Cole Younger. Sie gehörten zu William Clarke Quantrills wilder Guerilla-Horde und hatten einen Anschlag auf Präsident Lincoln verübt, an dessen Scheitern Jacob einen gewissen Anteil hatte. Sie erkannten Jacob nur wenige Sekunden später.
Jesse James reagierte zuerst und riß den Revolver aus dem Lederholster an seiner rechten Hüfte. Der Regenumhang behinderte ihn, was Jacob Gelegenheit gab, Collum eine Warnung zuzurufen und hinter einen vorbeifahrenden Kastenwagen in Deckung zu laufen. Da bellte auch schon die Waffe auf, und das Blei spritzte an der Stelle in den Schlamm, an der Jacob eben noch gestanden hatte.
Nate Collum mochte den Deutschen nicht. Aber als dieser Fremde auf ihn schoß, wußte der Treckführer, daß die drei Reiter seine Feinde waren, nicht der >Dutchman<, wie er jeden Deutschen nannte. Er zog seinen 44er Dean Harding und richtete ihn auf den jungen Reiter, der auf den Deutschen geschossen hatte.
Doch der Bruder des Schießers, der schüchtern wirkende Mann namens Frank James, war schneller. Mit unbewegtem Gesicht schoß er den Treckführer aus dem Sattel.
»Laßt uns verschwinden!« schrie er seinen beiden Kumpanen zu. »Unser Plan ist eh in die Hose gegangen.«
Die drei wandten ihre Pferde um, trieben sie mit lauten Schreien und Tritten in die Flanken an und verschwanden in dem Grau, das diesen Tag beherrschte.
Die Fahrer hielten die Wagen an, ohne daß jemand einen Befehl dazu geben mußte. Nate Collum konnte das auch gar nicht, denn er lag mit dem Gesicht im Schlamm, während sein knochiges Reittier abwartend ein paar Schritte weiter stand und seinen Herrn argwöhnisch beäugte.
Langsam ging Jacob auf den Angeschossenen zu. Er fürchtete sich etwas davor, was mit Collum geschehen sein mochte, denn er war nicht ganz unschuldig daran. Der Treckführer hatte zur Waffe gegriffen, um Jacob zu verteidigen. In solchen Augenblicken bereute Jacob, so sehr er Schußwaffen sonst auch verabscheute, keine zu besitzen.
Jacob kniete sich neben Collum in den Matsch und drehte den schweren Mann vorsichtig herum. Einer der Fahrer sprang vom Bock und half ihm dabei, während sich immer mehr Männer, Frauen und Kinder um sie scharten.
Die Kugel hatte den Iren in der linken Brusthälfte erwischt. Jacob schlug Collums Regenumhang und seine Baumwolljacke zur Seite. Das Einschußloch saß dicht unter dem Herzen. Es sah nicht so aus, als könnte man noch viel für den Treckführer tun.
Der Verwundete wollte etwas sagen, brachte die Worte aber erst nach mehrmaligem Ansetzen mühsam heraus. »Wer ... sind ... die Kerle?«
»Sie gehören zu Captain Quantrill«, antwortete Jacob, während er dem Iren half, seinen Oberkörper etwas aufzurichten.
»Quantrill«, wiederholte Collum flüsternd. »Dann wollten . sie uns ... wirklich in eine Falle locken.« Er sah Jacob fast flehend an, und seine Hände verkrallten sich in der Jacke des Deutschen. »Sie müssen . den Wagenzug über den Fluß bringen . rasch! Nehmen Sie . mein Pferd und . Revolver .«