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Die letzten Wortfetzen kamen so leise über Collums Lippen, daß Jacob sie kaum noch verstehen konnte. Dann riß der Ire plötzlich seine Augen weit auf, als hätte er jenseits der grauen Wolken etwas für die anderen Unsichtbares gesehen, bevor sein Kopf kraftlos zur Seite fiel.

Er war tot.

Jacob fragte sich, ob er dem Iren unrecht getan hatte. Gewiß, Nate Collum hatte sich auf Kosten seiner Passagiere bereichern wollen. Aber war er deshalb gleich ein durch und durch schlechter Mensch? Schlummerten nicht in jedem Menschen beide Seiten, das Schlechte und das Gute?

Nur kurz beschäftigten ihn diese Gedanken, denn Fahrer und Passagiere bestürmten ihn jetzt mit tausend Fragen. Jacob erklärte ihnen das Wichtigste in aller gebotenen Kürze.

»Und was machen wir jetzt?« fragte Martin besorgt, der, wie sein Freund, eine Menge unangenehme Erinnerungen an Quantrills Guerillas besaß.

»Collums Rat befolgen und möglichst rasch den Fluß überqueren«, schlug Jacob vor und sah einen der Fahrer an. »Wie weit ist es noch bis zur Brücke von Lone Rock?«

»An sich nicht mehr weit«, antwortete der hagere, stoppelbärtige Mann, ein gewisser Joe. »Aber da wir nur sehr langsam vorankommen, werden die Wagen erst in einer knappen Stunde dort sein.«

»Um so mehr ein Grund, uns zu beeilen«, sagte Jacob.

»Aber was kann Quantrill von uns wollen?« fragte Joe.

»Vielleicht uns ausrauben«, meinte eine dickliche Matrone. »Der Krieg ist für diese Burschen doch nur ein Vorwand, sich zu bereichern.«

Vielleicht hatte sie recht. Doch Jacob beschlich das unbestimmte Gefühl, daß mehr hinter der Sache steckte, als der Plan, die Reisenden um ihre Besitztümer zu bringen. Er behielt das für sich, um die anderen nicht noch mehr zu beunruhigen.

Zwei Minuten später saß er auf Collums knochigem Braunen, den Gurt mit Collums Revolver um seine Hüften geschnallt. Im ledernen Scabbard steckte ein Karabiner. Jacob hoffte, die Waffen nicht gebrauchen zu müssen, aber er befürchtete das Gegenteil.

Er hob die Hand und gab das Kommando zur Weiterfahrt. Die Fahrer schrien und ließen ihre Peitschen knallen. Schwerfällig setzte sich der Wagenzug in Bewegung, und die Fuhrwerke rollten an Collums Leiche vorbei. Sie hatten keine Zeit, den Iren zu begraben. Und ihn mitzunehmen, hätte eine zusätzliche Last bedeutet. Jede Gewichtserleichterung zählte, wenn sie überleben wollten.

*

Als das Gelände steiler anstieg und felsiger wurde, verlangsamten die drei Reiter notgedrungen ihr bisher rasantes Tempo, das ihre Pferde an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte. Aber so schnell weiterzureiten, hätte an einen Selbstmordversuch gegrenzt. Der Regen hatte den felsigen Boden schlüpfrig werden lassen, und überall gab es enge Spalten, die ein Pferd rasch zum Stürzen bringen konnten.

Sie waren noch nicht lange in dieser Gegend und mußten deshalb nach dem Einschnitt ausspähen, in dem Quantrill mit den anderen Männern wartete.

»Dieser verfluchte Dutch«, schimpfte Jesse James aufgebracht und wischte sich mit dem Handrücken den Regen aus dem Gesicht. »Immer wieder kommt er uns in die Quere!«

»Oder wir ihm«, entgegnete sein Bruder Frank merklich ruhiger.

Jesse sah ihn schief an. »Wie meinst du das, Buck?«

>Buck< war Franks Spitzname, so wie dieser seinen jüngeren Bruder seit ihrer Kindheit häufig >Dingus< nannte.

»Ich glaube nicht, daß der Deutsche uns absichtlich in die Quere gekommen ist, Dingus. Er sah ebenso überrascht aus wie wir, als er uns erblickte.«

»Das bleibt sich doch gleich«, meinte Cole Younger, dessen billiger Filzhut vom Regen fast aufgeweicht war und traurig an seinem Kopf herunterhing. »Jedenfalls ist er bei dem Wagenzug und hat uns erkannt. Jetzt sind die Leute in Blue Springs gewarnt.«

»Nur, wenn der Wagenzug die Stadt vor uns erreicht«, erwiderte Frank James.

»Das wird er nicht«, sagte Jesse hart. »Wir werden es verhindern!«

In seinen Augen lag grimmige Entschlossenheit. Ein Blick, den Frank sehr gut kannte und manchmal sogar fürchtete. So hatte Jesse schon als kleines Kind geschaut, wenn ihm etwas gegen den Strich ging.

Als ihn sein erstes Pony immer und immer wieder abwarf, lief Jesse nicht enttäuscht zu seiner Mutter und vergoß keine einzige Träne über die Schmerzen, die ihm die harten Stürze verursacht haben mußten. Stattdessen kletterte er fest entschlossen immer wieder auf den Rücken des Tieres, brach schließlich dessen Widerstand und ritt es anschließend fast bis zur Erschöpfung.

Damals hatte Frank gedacht, Jesse wollte dem Pony nur einbläuen, wer der Herr war. Aber vielleicht hatte er auch seine Rache an dem Tier genossen.

Plötzlich tauchte ein dick vermummter Reiter vor ihnen auf. Es war der junge Andy Harper, der den vordersten Wachtposten bildete. Um seinen Hals hing ein Feldstecher, durch den er die drei Reiter schon seit geraumer Zeit beobachtet hatte.

»Was ist los?« fragte der sommersprossige Bursche mit seiner quäkenden Stimme. »Warum kommt ihr ohne den Wagenzug?«

»Weil wir erkannt worden sind«, antwortete Frank James gelassen.

»Von wem?«

»Von dem Deutschen, der uns schon bei der Lincoln-Sache die Tour vermasselt hat.«

»Der aus unserem Camp geflohen ist?«

Frank nickte.

»Das wird den Captain aber gar nicht freuen, daß der Wagenzug nicht in unsere Falle rollt.«

»Das ist jetzt nicht mehr zu ändern«, meinte Jesse ungeduldig. »Wenn die Wagen nicht zu uns kommen, müssen wir ihnen nachreiten und sie einholen, bevor sie Blue Springs erreichen. Die Leute werden kaum Gegenwehr leisten. Etwa die Hälfte sind Frauen und Kinder.«

William Clarke Quantrill sah die Sache so wie Jesse James, als die drei erfolglosen Lockvögel ihm in seinem wasserfesten Zelt Bericht erstatteten. Auch sein verwegen ausschauender Unterführer Bloody Bill Anderson drängte den Guerilla-Captain, sofort die Verfolgung des Wagenzugs aufzunehmen.

Quantrill starrte für ein paar Sekunden überlegend in eine imaginäre Ferne und meinte dann: »Schade, daß Todd mit seinen Männern noch nicht eingetroffen ist. Dann wären wir stark genug, Blue Springs im Sturm zu nehmen, auch ohne Überraschungseffekt.«

George Todd, Quantrills zweiter Unterführer, war mit mehr als der Hälfte der Männer unterwegs, um jenseits des Big Muddy ein Depot der US-Armee zu überfallen, in dem der von den Guerillas dringend benötigte Nachschub an Waffen, Sprengstoff und Munition lagerte. Quantrill wollte mit dem Angriff auf Blue Springs so lange warten, bis seine Schar wieder vollzählig war. Immerhin mußten sie damit rechnen, daß Cordwainers Jayhawkers die Stadt erbittert verteidigten.

Als sie durch ihre Späher von dem Wagenzug erfuhren, der die Passagiere der PRIDE OF MISSOURI nach Blue Springs bringen sollte, hatte sich Quantrill aus zwei Gründen dazu entschieden, den Treck in eine Falle zu locken. Zum einen wollte er verhindern, daß die Anzahl der wehrfähigen Männer in der Stadt anstieg. Zum anderen wollte er seine Männer in den zum Trojanischen Pferd gemachten Wagen nach Blue Springs bringen und die Stadt im Handstreich nehmen, da das rechtzeitige Eintreffen von Todds Männern ungewiß war. Deshalb hatte er die beiden James-Boys und Cole Younger dem Treck entgegengeschickt, ihn in die Falle zu locken.

Jetzt hatte sich sein von ihm selbst für genial gehaltener Plan ins Gegenteil verkehrt und die Anwesenheit von Quantrill in dieser Gegend verraten. Innerlich schäumte der Guerilla-Führer vor Wut. Äußerlich ließ er sich das nicht anmerken, um das Vertrauen seiner Männer in ihn nicht zu erschüttern.

Quantrill wandte sich dem schlanken, blonden Mann zu, der seit wenigen Wochen zu seiner Truppe gehörte und maßgeblich an der Entwicklung des Schlachtplans gegen Blue Springs beteiligt gewesen war. »Was sagst du zu der Sache, Custis? Wird es unsere Lage erschweren, wenn der Treck vor uns in Blue Springs eintrifft und den Bürgern verrät, daß wir uns am Blue River aufhalten?«