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»Dann bleibt uns also keine andere Wahl, als Blue Springs hinter der Quelle des Flusses zu umgehen?«

»So ist es«, bestätigte Custis bitter.

Auch er war nicht begeistert von dieser Aussicht, schob es doch seine langersehnte Rache weiter hinaus. Seine Rache an Byron Cordwainer, dem Mörder seines Vaters. Und seine Rache an Virginia, die ihn verraten hatte.

»Wir sollten uns beeilen, damit der Wagenzug keinen zu großen Vorsprung gewinnt«, meinte Quantrill und fügte mit einem Seufzer hinzu: »Wenigstens können die Leute in Blue Springs keine Verstärkung über den Telegrafen anfordern. Unsere Trupps müßten die Leitungen bereits durchgetrennt haben.«

Er spürte eine gewisse Befriedigung bei dem Gedanken, daß ihm nicht alles aus dem Ruder gelaufen war. Die beiden Sabotagetrupps zur Unterbrechung der telegrafischen Verbindungen mit Blue Springs schon frühzeitig loszuschicken, war eine kluge Entscheidung gewesen. Eine Entscheidung, die Quantrill einen Teil seines in den letzten Stunden verlorengegangenen Glaubens an sein Geschick als Feldherr wiedergab. Es waren nur die anderen, die seine Pläne durchkreuzten.

Dieser verfluchte Deutsche, von dem man es vielleicht noch erwarten konnte.

Aber auch George Todd, der einfach nicht wiederkehrte. Er war mit seinen Männern doch nicht in eine Falle geritten?

Nein, das konnte, durfte nicht sein. Quantrill brauchte Todds Männer sowie die Waffen und die Munition, die sie mitbringen sollten. Er brauchte sie für diesen Krieg, der längst sein eigener geworden war.

Sehnsüchtig suchten seine blauen Augen den Horizont ab, als könnte er Todd und seine Männer auf diese Weise herbeizaubern.

*

Der Wagenzug erreichte Blue Springs mit Einbruch der Dämmerung und erregte großes Aufsehen, noch bevor die Reisenden von ihrem Zusammenstoß mit Quantrills Guerillas erzählten. Von überall strömten die Städter zusammen, um den unerwarteten Treck zu begaffen.

Blue Springs war eine aufstrebende Stadt, die ihrem Wohlstand der Eisenbahnstation an der Strecke nach Kansas City verdankte. Zwar waren fast alle Häuser aus Holz erbaut, aber es waren nicht jene dürftig zusammengenagelten Bretterbuden, die man häufig an neuen Bahnlinien oder in den Goldfeldern vorfand. Die Gebäude hier waren massiv, sauber, ordentlich. Auf den ersten Blick erkannte man, daß die über zweihundert Einwohner, die Blue Springs zählte, eine verschworene Gemeinschaft bildeten, die sich vorgenommen hatte, auf Dauer hier auszuharren und ihrer Stadt und damit sich selbst zu dauerhaftem Wohlstand zu verhelfen.

Lange Zeit war Blue Springs die Endstation der Eisenbahn gewesen, weil die Bahnlinie wegen finanzieller Schwierigkeiten nicht in der Lage gewesen war das letzte Teilstück bis nach Kansas City fertigzustellen. Aber der Krieg hatte dies, wie so vieles, geändert.

Die Regierung hatte bislang Zuschüsse zum Bahnbau mit dem Hinweis verweigert, Transporte nach Kansas City könnten auch per Schiff auf dem Missouri durchgeführt worden. Wie unsicher es war, sich auf die Naturgewalten zu verlassen, zeigte sich in Regenzeiten wie diesen. Das hatte Washington schon vor einem Jahr erkannt und den Bau des letzten Teilstücks bezuschußt.

In Kansas City lag eine große und wichtige Garnison, mit der unbedingt Verbindung gehalten werden sollte. Denn das nahe Missouri gehörte zwar offiziell zur Union, zeigte als Sklavenstaat aber große Neigung, sich auf die Seite der Konföderierten zu schlagen. Deshalb war es wichtig, die US-Truppen aus Kansas City schnell verlegen zu können. Und dazu brauchte man die Eisenbahn.

Vor kurzem war die Verbindung zwischen Blue Springs und Kansas City hergestellt und auch schon zur Einweihung von einem Sonderzug befahren worden, der noch auf dem Bahnhof von Blue Springs stand. Jetzt wartete man hier auf den ersten regulären Zug für die neue Strecke, der für den Morgen des übernächsten Tages angekündigt war.

Auf den Zug warteten alle, auf die Wagenkolonne niemand. Um so größer war die allgemeine Überraschung. Sie verwandelte sich in Bestürzung, als die Reisenden von dem Zusammenstoß mit Quantrills Guerillas berichteten.

Ein großer, hagerer Mann, der in seinem dunklen Anzug fast aussah wie ein Priester oder ein Leichenbestatter, trat an den Wagenzug heran. Die aufgebrachte Menge wich respektvoll vor ihm zurück.

Byron Cordwainer blickte Jacob aus seinen tiefliegenden, stechenden Augen an und fragte: »Woher wissen Sie, daß diese Männer zu Quantrill gehören? Vielleicht waren es einfach nur Wegelagerer.«

»Wegelagerer, die in Kompaniestärke auftreten?« fragte Jacob zurück.

»Das ist in Zeiten wie diesen nicht ungewöhnlich. Ganze Horden von Deserteuren schwärmen durchs Land.«

»Vielleicht waren Deserteure unter den Männern. Aber dann reiten sie jetzt für Quantrill.«

»Was macht Sie da so sicher, Mister?« hakte Cordwainer nach.

»Ich weiß es, weil meine Freunde und ich vor kurzem erst auf Quantrill und seine Leute gestoßen sind. Es war kein angenehmes Zusammentreffen. Die drei Männer, die unsere Wagen in eine Falle locken sollten, kenne ich von damals sehr genau. Und sie reiten für Quantrill!«

Cordwainer musterte Jacob eingehend und nickte dann, offenbar zufrieden mit dem Ergebnis der Musterung und des Gehörten, wenn es ihm auch nicht behagte. »Wenn es wirklich Quantrill war, muß Blue Springs das Schlimmste befürchten.

Es ist allgemein bekannt, daß hier nur Anhänger der Union und Gegner der Sklaverei leben, obwohl unsere Stadt noch auf dem Gebiet von Missouri liegt. Quantrill wird sich kaum die Gelegenheit entgehen lassen, Blue Springs zu überfallen, um die Stadt, wie so viele vor ihr, zu plündern. Wir müssen uns sofort auf die Verteidigung vorbereiten.«

»Ganz so eilig ist es nicht«, beruhigte ihn Jacob und erzählte, wie sie die Brücke von Lone Rock zum Einsturz gebracht hatten.

»Das gibt uns etwas Luft«, stimmte Cordwainer zu. »Trotzdem haben wir keine Zeit zu verschenken. Auf Hilfe von außen ist nämlich so schnell nicht zu hoffen. Seit heute morgen sind sämtliche Telegrafenleitungen tot. Wir ...«

Er brach ab und verfiel in dumpfes Brüten. Kurz nur, dann sagte er: »Mir kommt gerade ein schlimmer Verdacht. Was ist, wenn das mit den Telegrafenleitungen kein Zufall ist, wenn auch Quantrill dahintersteckt?«

»Dann hat er es wirklich auf Ihre Stadt abgesehen«, antwortete Jacob.

»In der Tat«, murmelte Cordwainer, drehte sich abrupt um und gab laut seine Befehle.

Sein Tonfall verriet, daß er das Befehlen gewohnt war. Die Einwohner von Blue Springs gehorchten ihm aufs Wort und organisierten binnen weniger Stunden die Verteidigung der Stadt.

Die Wagen des Trecks wurden an die Ausfallstraßen gefahren und dort als Barrikaden umgestürzt. Fenster und Türen wurden vernagelt und ebenso Balkone, die so zu Wachtürmen wurden. Die kampffähigen Männer der Stadt wurden von Cordwainer in Gruppen eingeteilt, um die verschiedenen Verteidigungsstellungen zu besetzen. Ein Reiter wurde als Bote nach Kansas City gesandt, um Verstärkung aus der dortigen Garnison zu holen.

Die Menschen, die mit dem Wagentreck gekommen waren, wurden in Hotels und Pensionen untergebracht. Wer in diesen Häusern keine Unterkunft fand, wurde privat einquartiert.

Man half sich gegenseitig, denn man war auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Die Männer des Trecks bedeuteten für die Einwohner von Blue Springs zusätzliche Gewehre bei der Verteidigung ihrer Stadt.

Jacob, Martin und Irene mit dem kleinen Jamie wurden eingeladen, im Privathaus der Cordwainers zu wohnen. Dieses Haus stellte manches sogenannte Hotel in den Schatten. Es war ein großer, weißer Bau mit mehreren Veranden, malerisch in einem kleinen Park gelegen. Eine zahlreiche dunkelhäutige Dienerschaft sorgte für die Bedürfnisse der weißen Herrschaft. Die bestand aus fünf Personen: Byron Cordwainers Vater Avery, dem Bürgermeister der Stadt; dessen Frau Abigail; Byrons jüngerem Bruder Ellery; Byron selbst und seiner schwangeren Frau Virginia.