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»Sie?«

»Die Leute aus dem Büro des Anklägers.«

»Zur Hölle mit Li, das habe ich dir doch schon gesagt.«

»Man kann ihn nicht aufhalten. Er arbeitet für das Justizministerium.«

»Ich sagte bereits, er ist politisch orientiert. Er sitzt hier lediglich seinen Turnus ab, um in der Heimat Pluspunkte zu sammeln. Von Kapitalverbrechen hat er keinerlei Ahnung.«

Shan sah Tan in die Augen, um sich zu vergewissern, daß er ihn richtig verstanden hatte. Glaubte Tan allen Ernstes, es gäbe auch nur einen einzigen Bereich des Justizministeriums, der nicht politisch orientiert war? Nicht umsonst war der Vorsitzende des obersten Staatsgerichtshofs zugleich der höchste Zuchtmeister der Partei. »Er arbeitet für das Justizministerium«, wiederholte Shan langsam.

»Ich werde sagen, er sei zu sehr persönlich involviert. Als würde er den Mord an seinem Vater untersuchen. Sein Urteilsvermögen wird durch den Kummer getrübt.«

»Oberst, am Anfang hatten wir hier den Tod eines Fremden, den man vielleicht durch einen Unfallbericht hätte vertuschen können. Womöglich wäre niemand dahintergekommen. Dann hatten wir aufgrund des Toten eine Strafaktion gegen die 404te. Davon werden bereits weitaus mehr Leute Notiz nehmen. Und jetzt gibt es nicht nur den Mord an einem Justizbeamten, sondern zudem die Verhaftung eines bekannten Staatsfeinds. Das dürfte niemandem mehr entgehen. Jetzt wird die Politik peinlich genau verfolgen, was weiterhin passiert.«

»Ich glaube dir nicht, Shan. Die Politiker machen dir keine Angst. Du verachtest die Politik. Aus diesem Grund bist du in Tibet gelandet.«

Shan rechnete damit, einen Anflug von Spott in Tans Gesicht wahrzunehmen. Aber er irrte sich. »Du willst wegen deines Gewissens einen Rückzieher machen, nicht wahr?« fuhr der Oberst fort. »Glaubst du, unsere Ermittlungen werden nicht wahrheitsgetreu verlaufen?«

Shan preßte die Hände aneinander. Er hatte schon wieder verloren. »In meiner Abteilung in Peking wurden regelmäßig Agitationssitzungen abgehalten. Man warf mir vor, ich würde nicht begreifen, daß ohne einen Konsens keine Wahrheitsfindung möglich sei.«

Tan starrte ihn schweigend an und brach dann in lautes, heiseres Gelächter aus. »Und dann haben sie dich nach Tibet geschickt. Dieser Minister Qin hat wirklich Humor.« Tans Belustigung schwand, als er Shans Gesicht musterte. Er stand auf und ging wieder zum Fenster. »Du irrst dich, Genosse, wenn du glaubst, Männer wie ich hätten kein Gewissen«, sagte er. »Mach nicht mich dafür verantwortlich, daß du mein Gewissen nicht verstehen kannst.«

»Das hätte ich selbst nicht besser ausdrücken können.«

Tan wandte sich um. »Verdreh mir nicht die Worte im Mund, verdammt noch mal!« rief er zornig und kehrte an seinen Tisch zurück. Er verschränkte die Hände über der Akte der Öffentlichen Sicherheit. »Ich sage es zum letztenmal. Diese Untersuchung wird nicht von grünen Jungs aus dem Büro des Anklägers durchgeführt werden. Jao war ein Held der Revolution. Er war mein Freund. Manche Angelegenheiten sind zu wichtig, um sie zu delegieren. Du wirst wie besprochen fortfahren. Auf der Akte wird meine Unterschrift stehen. Und wir werden diese Diskussion nicht noch einmal führen.«

Shan bemerkte, daß Tans Blick auf die Tür gerichtet war. Plötzlich begriff er, daß Tan dem stellvertretenden Ankläger nicht nur mißtraute. Nein, er hatte regelrecht Angst vor Li.

»Man kann den stellvertretenden Ankläger nicht vollständig übergehen«, stellte Shan fest. »Es werden im Zusammenhang mit Jaos Person Fragen auftauchen, die sein Büro beantworten muß. Über seine Feinde, seine Fälle, sein Privatleben. Sein Wohnsitz wird durchsucht werden müssen. Seine Reiseunterlagen. Sein Auto. Es muß einen Wagen gegeben haben. Er wird uns vielleicht verraten, wo Jao seinen Mörder getroffen hat.«

»Ich habe ihn seit vielen Jahren gekannt und kann womöglich selbst mit einigen Antworten dienen. Miss Lihua, seine Sekretärin, ist eine Freundin von mir. Sie wird ebenfalls behilflich sein. Für die anderen wirst du einen schriftlichen Fragenkatalog zusammenstellen, den ich dann weiterleite. Wir können Madame Ko einen Teil davon diktieren, bevor du gehst.«

Tan wollte Li beschäftigen. Oder ablenken.

Der Oberst schob Shan die Akte der Öffentlichen Sicherheit herüber. »Sein Name ist Sungpo. Vierzig Jahre alt. Verhaftet in einem kleinen Kloster namens Saskya im äußersten Norden des Landes. Keine Lizenz. Verflucht nachlässig, die Leute in ihre heimatlichen gompas zurückkehren zu lassen.«

»Sie wollen ihn nicht nur wegen Mordes vor Gericht stellen, sondern auch, weil er ohne Erlaubnis als Mönch praktiziert hat?« Shan konnte nicht anders. »Wirkt das nicht ein wenig...« Er suchte nach einem passenden Wort. »Übereifrig?«

Tan runzelte die Stirn. »Es muß in dem gompa noch andere geben, die man unter Druck setzen kann. Der übliche Satz für das Tragen einer Kutte ohne Lizenz beträgt zwei Jahre. Jao hat diese Strafe ständig verhängt. Falls nötig, schnapp sie dir und drohe ihnen mit dem lao gai, sofern sie nicht reden wollen.«

Shan starrte ihn an.

»Na gut«, gab Tan kaltlächelnd nach. »Sag ihnen, daß ich sie ins lao gai schicken werde.«

»Sie haben noch nicht gesagt, wie man auf den Mann gekommen ist.«

»Durch einen Informanten. Es gab einen anonymen Anruf in Jaos Büro.«

»Das heißt, Li hat die Verhaftung vorgenommen?«

»Ein Team der Öffentlichen Sicherheit.«

»Also hat er mit eigenen Ermittlungen angefangen?«

Wie aufs Stichwort ertönte ein lautes Hämmern an der Tür. Eine hohe Stimme protestierte, und Madame Ko erschien. »Genosse Li«, meldete sie mit errötetem Gesicht. »Er besteht darauf.«

»Sagen Sie ihm, er soll später vorbeikommen. Geben Sie ihm einen Termin.«

Ein winziges Lächeln verriet, wie gut Madame Ko dieser Vorschlag gefiel. »Da ist noch jemand«, fügte sie hinzu. »Von der amerikanischen Mine.«

Tan seufzte und wies auf einen Stuhl in der Ecke. Gehorsam nahm Shan dort Platz. »Bitten Sie ihn herein.«

Lis Proteste nahmen an Lautstärke zu, als eine Gestalt zur Tür hereinstürmte. Es war die rothaarige Amerikanerin, die Shan bei der Höhle gesehen hatte. Sie und Tan musterten sich verwirrt.

»Es gibt dazu wirklich nichts mehr zu sagen, Miss Fowler«, sagte Tan in eiskaltem Tonfall. »Die Angelegenheit ist abgeschlossen.«

»Ich habe darum gebeten, Ankläger Jao zu sprechen«, erwiderte Fowler zögernd und ließ den Blick durch das Büro schweifen. »Man hat mir gesagt, ich solle herkommen. Ich dachte, vielleicht ist er zurückgekehrt.«

»Sie sind nicht wegen der Höhle hier?«

»Wir haben beide unseren Standpunkt geäußert. Ich werde mich schriftlich beim Religionsbüro beschweren.«

»Das könnte peinlich werden«, erwiderte Oberst Tan.

»Sie haben auch allen Grund dazu, peinlich berührt zu sein.«

»Ich meine, für Sie. Sie haben keinerlei Beweise. Es gibt gar keine Grundlage für eine Beschwerde. Wir werden aussagen müssen, daß Sie sich unbefugt in eine Militäroperation eingemischt haben.«

»Sie hatte vor, Ankläger Jao aufzusuchen«, schaltete Shan sich ein.

Tan warf ihm einen wütenden Blick zu, während Fowler zum Fenster ging, so daß sie nur ein kurzes Stück neben Shan stand. Sie trug wieder Bluejeans, dieselben Wanderstiefel und eine blaue Nylonweste, wie Shan sie auch bei dem Amerikaner vor der Höhle gesehen hatte. Um ihren Hals hing an einer schwarzen Kordel eine Sonnenbrille. Sie trug kein Makeup und keinen Schmuck, abgesehen von winzigen goldenen Ohrsteckern. Wie lautete doch der andere Name, den Oberst Tan benutzt hatte? Rebecca. Rebecca Fowler. Die Amerikanerin warf einen kurzen Blick auf Shan, und er sah, daß sie ihn wiedererkannte. Du warst auch da, beschuldigten ihre Augen ihn, und hast die Ruhe eines heiligen Orts gestört.