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»Ich habe niemanden verhaftet.«

Fowler musterte ihn nachdenklich. »Sie klingen, als würden Sie ihn für unschuldig halten.«

»Richtig.«

Fowler konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Langsam beginne ich Sie zu verstehen, Mr. Shan.«

»Nur Shan.«

»Ich begreife allmählich, warum Tan Sie von der Höhle weghaben wollte, als ich da war. Sie sind... wie hat er doch gleich die Tibeter genannt? Unberechenbar. Ich glaube nicht, daß Ihre Regierung diese Charaktereigenschaft zu würdigen weiß.«

Shan zuckte die Achseln. »Oberst Tan zieht es vor, sich nicht mit mehr als einer Krise gleichzeitig zu beschäftigen.«

Die Amerikanerin sah ihn an. »Wer von uns beiden stellt denn eine Krise für ihn dar, Sie oder ich?«

»Sie natürlich.«

»Na, ich weiß nicht recht.« Sie nippte an ihrem Tee. »Wenn Jao nicht von Ihrem Häftling ermordet wurde, von wem dann?«

»Von Ihrem Dämon. Tamdin.«

Fowler schaute sich um, ob jemand von ihrem Personal in Hörweite war. Die Leute hatten sich am anderen Ende des Raums versammelt. »Niemand hier macht Witze über Tamdin«, sagte sie leise und mit einem plötzlichen Anflug von Sorge in der Stimme.

»Das war kein Witz.«

»In jedem Dorf und jedem Schäferlager hier in der Gegend hören Sie Geschichten über den Besuch von Dämonen. Letzten Monat gab es Beschwerden über unsere Sprengungen. Es hieß, wir hätten ihn vermutlich aufgeweckt. Einen halben Tag lang hat niemand gearbeitet. Aber ich habe den Leuten erklärt, daß wir erst vor sechs Monaten mit den Sprengungen angefangen haben.«

»Wofür sind diese Sprengungen erforderlich?«

»Für Erdwälle. Für einen neuen Teich.«

Shan schüttelte verwundert den Kopf. »Aber wieso Teiche? Wozu all das Wasser? Wie können Sie hier Mineralien gewinnen? Es gibt doch gar keine Mine.«

Fowler lächelte. »Aber sicher«, sagte sie und wirkte erleichtert, das Thema wechseln zu können. »Direkt vor der Tür.« Sie nahm ein Fernglas und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Draußen führte sie ihn einen Pfad am Rand des größten Teichs entlang und hielt zielsicher auf die Mitte des höchsten Walls zu, der quer über die Talmündung verlief. Dort wartete sie, bis Yeshe und Sergeant Feng zu ihnen aufgeschlossen hatten. »Dies hier ist eine Niederschlagsmine.«

»Sie bauen Regen ab?« fragte Yeshe.

»So habe ich es eigentlich nicht gemeint, aber ich schätze, man könnte es so umschreiben. Wir bauen den Regen ab, der vor hundert Jahrhunderten gefallen ist.« Sie wies mit ausholender Geste über die Teiche hinweg. »Diese Ebene ist der Boden eines Beckens. Der einzige Abfluß führt in den Drachenschlund und wurde einst an dieser Stelle durch einen Erdrutsch blockiert. Die umliegenden Berge waren Vulkane. Lava strömte die Abhänge hinunter, und Lava steckt voller leichter Elemente. Bor. Magnesium. Lithium. Im Verlauf vieler Jahrhunderte hat der Regen die Lava aufgelöst und die Salze in das Becken geschwemmt. Ein Salzsee entstand. In Zeiten der Dürre bildete sich über dem See eine Kruste. Dreißig Zentimeter dick. Manchmal sogar anderthalb Meter. Dann wurde das Becken im Verlauf mehrerer feuchter Jahre wieder mit Wasser gefüllt, in dem sich ebenfalls die aufgelösten Minerale befanden. Dann eine weitere Kruste. Alle paar Jahrhunderte sorgte ein neuer Vulkanausbruch dafür, daß Lava auf den Hängen nachfloß. So ist auch der Große Salzsee in Amerika entstanden.«

»Aber diese Seen hier wurden künstlich angelegt.«

»Der natürliche Salzsee ist dennoch vorhanden. Genaugenommen elf davon. In verschiedenen Schichten, direkt unter uns. Wir haben bloß ein bißchen Erde bewegt, um die Oberflächenteiche zu bauen. Dort hinein pumpen wir die Salzlake und lassen sie verdunsten.« Fowler deutete auf drei kleine Hütten an verschiedenen Stellen des Talgrunds, die als Knotenpunkte für ein Netz aus Rohrleitungen dienten. »Aus diesen drei Brunnen wird alles gespeist.«

»Aber wo sind Ihre Fabrikanlagen?«

»In den Teichen. Bei der richtigen Konzentration schlagen sich die Bor-Partikel nieder. Jeder Teich wird in regelmäßigen Abständen trockengelegt, damit wir das Produkt einsammeln können, das sich auf dem Grund abgesetzt hat. Der Trick besteht dann, die richtige Konzentration aufrechtzuerhalten. Ein Fehler und wir ernten Tafelsalz. Oder ein Gemisch aus Metallen, deren Trennung zu teuer ist.«

Sie führte sie weiter bis zu dem Abfluß in den Drachenschlund, der durch den Wall versperrt wurde.

»Aber Sie haben doch gesagt, ein Erdrutsch hätte das Becken abgeriegelt.«

»Wir haben ihn beseitigt, weil er zu unsicher gewesen wäre. Der Damm muß aus festem Lehm bestehen. Mit dem hier sind wir gerade fertig geworden. Es ist unser letzter Wall.« Shan sah, daß der Teich neben ihnen soeben von den Brunnen gefüllt wurde. Der Wasserspiegel stand noch beträchtlich niedriger als in den anderen Becken. Die Amerikanerin wies auf das andere Ende des Plateaus und reichte Shan das Fernglas. »Der Teich ganz hinten wird gerade abgeerntet.«

Neben dem Teich türmte sich ein Hügel aus leuchtendweißem Material auf.

»Wir verfügen über eine primitive Veredelungsanlage, um das Produkt leicht zu verbessern. Sobald wir mit der kommerziellen Produktion beginnen, werden wir es in Säcke von je einer Tonne Fassungsvermögen abfüllen und in die ganze Welt liefern.« Shan bemerkte, daß sie bei diesen Worten auf einen anderen Punkt schaute, nämlich auf eine Ansammlung von Arbeitern in der Mitte der Teichanlage. Er richtete das Fernglas auf die Männer und sah, daß es sich um zwei getrennte Gruppen handelte. Niemand schien zu arbeiten.

»Die ganze Welt?« fragte er.

»Einen Teil an Fabriken in China«, antwortete sie beunruhigt. »Das meiste aber nach Hongkong, von wo aus es nach Europa und Amerika verschifft wird.«

Shan musterte die stumpfgrauen Baufahrzeuge neben der zweiten Gruppe. »Warum hat Tan die Leute geschickt, obwohl Ihre Betriebserlaubnis außer Kraft gesetzt wurde?«

»Das Ministerium für Geologie hat diese Anordnung erlassen.«

»Wer hat unterschrieben?«

Rebecca Fowler zögerte, als würde sie überlegen, ob sie darauf antworten sollte. »Direktor Hu.«

»Vom örtlichen Büro des Ministeriums?«

»Richtig. Aber ich habe Tan erklärt, daß wir das gesamte Material in den Teichen verlieren würden, falls wir unsere Arbeit jetzt einstellten. Der Prozeß ist so abgestimmt, daß die kommerziellen Produkte sich als erste ablagern. Falls wir warten, werden sie verunreinigt. Sechs Monate Arbeit könnten umsonst gewesen sein. Er war mit mir einer Meinung, daß wir unsere Versuchslieferungen fertigstellen können, weil die Betriebserlaubnis sich lediglich auf die Produktion zum kommerziellen Verkauf bezieht.«

»Aber dann stellen Sie die Arbeit ein?«

»Bis wir herausgefunden haben, was eigentlich vor sich geht.«

»Soll das heißen, Hu hat keinen Grund für die zeitweilige Aufhebung genannt?«

Fowler wollte nicht darauf antworten. Sie trat zwei Schritte zur Seite und schaute eine Felswand am Ende des Teiches empor. Shan beobachtete sie und versuchte herauszufinden, ob sie wegen Ankläger Jao, Direktor der Minen Hu oder ihm selbst aus der Fassung geraten war. Dann folgte er ihrem Blick. Die Klippe war beinahe senkrecht und erhob sich mindestens einhundert Meter hoch. Plötzlich bemerkte er eine Bewegung an der Wand und sah, daß von oben zwei weiße Seile herabbaumelten.

Fowler drehte sich um und schaute in Richtung der Abflußöffnung. »Man kann bis ins Tal blicken«, stellte sie fest.

Aber Shan wandte sich nicht um. Die Seile bewegten sich. Am oberen Rand tauchten zwei Gestalten in leuchtendroten Westen und weißen Helmen auf.

Plötzlich war von Yeshe ein überraschter Ausruf zu vernehmen. Er schaute den Drachenschlund hinunter. »Die 404te! Man kann sehen..«Er fing sich wieder und warf Shan, der soeben mit dem Fernglas herumfuhr, einen verlegenen Blick zu. Es dauerte nur wenige Sekunden, dem Drachenschlund bis zum Fuß der Bergkette zu folgen. Hinter ihnen lag eine mehr als dreißig Kilome ter lange Fahrt über eine beschwerliche Bergstraße, und dennoch hatten sie einen ungehinderten Ausblick auf die Baustelle der 404ten. Ein Rabe hätte im Flug weniger als fünf Kilometer zurücklegen müssen. Shan justierte die Linse nach und musterte Tans Brücke, die Panzer der Kriecher und die lange Reihe der Gefangenentransporter.