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Im ersten Moment starrten ihn alle nur an. Dann lachte einer der Soldaten. Einer seiner Kameraden begann ebenfalls zu tanzen, dann einer der Tibeter. Alle anderen lachten jetzt auch.

Fowler seufzte. »Danke«, sagte sie, als wäre Yeshes Einschreiten Shans Idee gewesen. »Krise abgewendet, Problem nach wie vor nicht gelöst«, sagte sie und machte sich auf den Rückweg zum Büro.

Shan schloß zu ihr auf. »Haben Sie schon an einen Priester gedacht?« fragte er.

»Einen Priester?«

»Die Tibeter arbeiten nicht, weil sie glauben, daß auf irgendeine Weise ein Dämon erweckt wurde.«

Fowler schüttelte bekümmert den Kopf und ließ den Blick über das Tal schweifen. »Irgendwie kann ich das alles gar nicht glauben. Ich kenne diese Leute. Sie sind keine Heiden.«

»Das haben Sie mißverstanden. Die meisten glauben nicht etwa, daß irgendein Ungeheuer die Berge heimsucht, sondern daß das Gleichgewicht gestört wurde. Das daraus resultierende Ungleichgewicht bringt Böses hervor. Der Dämon ist lediglich eine Manifestation jenes Unheils. Es könnte die Gestalt einer Person, eines Vorfalls oder sogar eines Erdbebens annehmen. Wiederhergestellt werden kann das Gleichgewicht durch die richtigen Rituale, den richtigen Priester.«

»Sie sagen, all das sei symbolisch gemeint? Der Mord an Jao war bestimmt kein symbolischer Akt.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.«

Sie schaute in den Schlund hinunter und dachte über Shans Vorschlag nach. »Das Religionsbüro würde ein Ritual niemals zulassen. Der Direktor sitzt in unserer Aufsichtskommission.«

»Ich habe durchaus nicht an einen der Priester des Büros gedacht. Sie würden jemand Besonderen benötigen. Jemand mit den richtigen Fähigkeiten. Jemand aus den alten Klöstern. Der richtige Priester würde den Leuten begreiflich machen, daß sie nichts zu befürchten haben.«

»Gibt es denn wirklich nichts zu befürchten?«

»Für Ihre Arbeiter bestimmt nicht.«

»Gibt es denn wirklich nichts zu befürchten?« wiederholte die Amerikanerin und fuhr sich mit den Fingern durch das kastanienbraune Haar.

»Ich weiß es nicht.«

Sie gingen schweigend weiter.

»Bei meinen Angaben über die Auswirkungen des Projekts habe ich nichts dergleichen vorhergesehen«, sagte Fowler.

»Es handelt sich nicht unbedingt um eine Folge Ihrer Arbeit an der Mine.«

»Aber ich dachte, das wäre auf jeden Fall der Auslöser...«

»Nein. Irgend etwas ist hier vorgefallen. Nicht der Mord an Jao, denn davon wissen nur wenige. Etwas anderes. Irgend etwas wurde beobachtet. Etwas, das den Tibetern Angst eingejagt hat und das im Rahmen ihrer Weltsicht erklärt werden mußte. Eine mögliche Erklärung wären die Arbeiten am Berg. Jeder Felsen, jeder noch so kleine Stein hat seinen Platz. Und jetzt sind die Felsen und Steine bewegt worden.«

»Aber der Mord hat damit zu tun, nicht wahr?« Es war eigentlich keine Frage. »Der Dämon. Tamdin.« Ihre Stimme war nun beinahe ein Flüstern.

»Ich weiß es nicht.« Shan sah sie an. »Mir war nicht klar, daß der Mord Sie so sehr aus der Fassung gebracht hat.«

»Ich muß ständig daran denken«, sagte sie und schaute zurück zu den Arbeitern. Die Fahrzeuge entfernten sich voneinander. »Ich kann nachts nicht schlafen.« Sie wandte sich wieder zu Shan um. »Ich tue seltsame Dinge. Ich spreche zum Beispiel mit jemandem, der mir völlig fremd ist.«

»Gibt es noch etwas, das Sie mir sagen möchten?« Während sie sich den Gebäuden näherten, bemerkte Shan eine Bewegung am Ende des hintersten Hauses. Aus einer Seitentür traten einige Tibeter, zumeist Arbeiter, aber auch alte Frauen und Kinder in traditioneller Kleidung.

Rebecca Fowler schien keine Notiz davon zu nehmen. »Ich bin nur irgendwie der Ansicht, daß eine Verbindung zwischen meinen und Ihren Problemen besteht.«

»Zwischen dem Mord an Ankläger Jao und der Aufhebung Ihrer Betriebserlaubnis?«

Fowler nickte langsam. »Da ist noch etwas, aber jetzt, nachdem die Erlaubnis außer Kraft gesetzt wurde, klingt es so, als wäre ich rachsüchtig. Jao war Mitglied unserer Aufsichtskommission. Bevor er bei seinem letzten Besuch von hier weggefahren ist, hat Jao sich erbittert mit Direktor Hu vom Ministerium für Geologie gestritten. Nach dem Treffen hat Jao ihn draußen regelrecht angeschrien. Es ging um diese Höhle. Jao hat gesagt, Hu müsse mit dem, was er bei der Höhle macht, unbedingt aufhören. Er sagte, er würde selbst eine Gruppe schicken.«

»Demnach wußten Sie schon vor diesem Streit von der Höhle?«

»Nein. Ich habe das alles zunächst nicht verstanden. Aber später hat Luntok dann von den Lastwagen erzählt, die ihm aufgefallen waren. Ich hatte immer noch keine Verbindung hergestellt, bis ich selbst bei der Höhle gewesen war. Und sogar dann habe ich mich noch so sehr über Tan geärgert, daß mir der Streit zwischen Jao und Hu erst später eingefallen ist.«

Sie hatten schon fast den Wagen erreicht, wo Yeshe und Sergeant Feng bereits warteten. Sie blieb stehen. »Wie finde ich den Priester, den ich brauche?« fragte sie mit eindringlicher Stimme.

»Fragen Sie Ihre Arbeiter«, schlug Shan vor. War es möglich, fragte er sich, daß sie Hu und sogar Tan herausfordern würde, um den Betrieb ihrer Mine zu sichern?

»Ich kann nicht. Auf diese Weise wäre es offiziell. Das Religionsbüro würde vor Wut schäumen. Das Ministerium für Geologie wäre völlig außer sich. Helfen Sie mir dabei, einen zu finden. Ich kann das nicht allein.«

»Dann fragen Sie die Berggipfel.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich weiß es nicht. Es ist eine tibetische Redensart. Ich glaube, es bedeutet, daß man beten soll.«

Rebecca Fowler packte seinen Arm und sah ihn verzweifelt an. »Ich möchte Ihnen helfen«, sagte sie, »aber Sie dürfen mich nicht belügen.«

Seine Antwort war ein unbeholfenes, schiefes Lächeln. Dann schaute er sehnsüchtig zu den fernen Gipfeln. Miss Fowler würde er niemals belügen, aber er würde sich bereitwillig selbst etwas vormachen, falls darin seine einzige Aussicht auf Flucht bestand.

Kapitel 7

»Es gibt Neuigkeiten«, murmelte Sergeant Feng dem Soldaten im Kampfanzug zu, der am Tor der 404ten Wache stand. »Die taiwanesische Invasion wird an der Küste stattfinden, nicht im Himalaja.«

Die 404te glich einem Kriegsschauplatz. Am Rand des Bereichs waren Zelte errichtet worden. Man hatte den ursprünglichen Stacheldrahtzaun durch zusätzliche Drahtrollen aufgestockt, an denen gefährlich aussehende, rasiermesserscharfe Klingen angebracht waren. Die Stromzufuhr war unterbrochen, abgesehen von dem Draht, der zu einer neuen Scheinwerferbatterie am Tor führte, so daß das Gelände ins Halbdunkel getaucht wurde, als sich der letzte Schimmer der Abenddämmerung über das Tal senkte. Die Soldaten waren damit beschäftigt, aus Sandsäcken Unterstände für Maschinengewehre zu bauen, als rechneten die Truppen des Büros mit einem Frontalangriff. Ein frischgemaltes Schild erklärte einen fünf Meter breiten Streifen innerhalb des Zauns zur Todeszone. Sollte ein Gefangener unaufgefordert diesen Bereich betreten, konnte er ohne Vorwarnung erschossen werden.

Der Soldat hob sein Sturmgewehr. Sein Gesicht strahlte eine Roheit aus, die Shan erschaudern ließ. Sergeant Feng stieß Shan so heftig durch das Tor, daß er auf die Knie fiel. Der Kriecher musterte Feng einen Moment lang und wich dann mit widerwilligem Stirnrunzeln zurück.

»Man muß denen klarmachen, wer hier das Sagen hat«, murmelte Feng, als er zu Shan aufschloß. Shan erkannte, daß es als eine Art Entschuldigung gemeint war. »Verdammte großspurige Gockel. Sacken den ganzen Ruhm ein und ziehen dann weiter.« Er blieb stehen und musterte die Unterstände der Kriecher. Dann deutete er auf Shans Baracke. »Dreißig Minuten«, rief er und ging zurück in die hell erleuchtete Todeszone.