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»Ja, Sir? Falls wieder etwas passiert ...?«

»Solange sich niemand im Schlafzimmer aufhält, kann nichts mehr passieren. Achte streng darauf, lieber Gowins!«

»Sie können sich auf mich verlassen, Ehrwürdiger Leiter.«

»Gut. Max, lebst du noch? Oder hast du dich in einen Krug Kamra verwandelt? Dieses Getränk hat ja, wie du inzwischen weißt, spezielle Eigenschaften.«

»Sir Juffin, darf ich noch mal kurz ins Schlafzimmer?«

Halli hob erstaunt die Brauen. »Natürlich. Am besten, wir gehen zusammen.«

Wir traten in das halbdunkle Zimmer. Es war ganz still. Der Zeiger an Juffins Pfeife zuckte wild zwischen Zwei und Drei. Aber darum wollte ich nicht hierher. Kaum hatte ich begonnen, mich umzusehen, hatte ich die kleine Dose Handcreme schon gefunden, die wir zu Beginn des Abends erfolglos bearbeitet hatten. Sie hatte die ganze Zeit an der Türschwelle gelegen. Ich nahm sie und schob sie in die - gelobt sei die hiesige Mode! - geräumige Tasche meines Lochimantels. Schuldbewusst sah ich Juffin an, doch der kicherte nur. Na schön - mir macht das nichts aus, und er hat ein wenig Unterhaltung verdient.

»Wozu brauchst du das Ding, Max?*«, fragte Juffin, als wir durch den Garten zu seinem Haus zurückgingen. »Sammelst du Hausrat, weil du demnächst umziehst? Oder warum hast du unseren Nachbarn bestohlen?«

»Sie haben doch auch gesehen, wie verängstigt die Dose ist. Ich kann sie dort nicht allein lassen.«

»Die kleine Dose?! Einen simplen Gegenstand?«

»Ja. Ich hab ihre Angst gespürt und gesehen, wie sie wegrollen wollte. Wenn Dinge sich an ihre Vergangenheit erinnern können, bedeutet das doch, dass sie wissen, was ihnen widerfahren ist. Die Dinge führen also ein unbegreifliches Eigenleben, stimmt's? Was macht es dann für einen Unterschied, wen man retten solclass="underline" eine Dose oder eine hübsche Frau?«

»Das ist natürlich Geschmackssache«, lachte Juffin. »Du hast wirklich eine lebhafte Einbildungskraft, Junge. Wahnsinn! Ich lebe schon so lange und habe noch nie an der Rettung einer Dose teilgenommen.«

Bis zur Haustür verspottete er mich und wurde dann ernst.

»Aber an sich, Max, bist du ein Genie. Wirklich! Was das unbegreifliche Leben von Dosen angeht, habe ich keine Ahnung, aber einen Gegenstand aus der Angstzone zu entfernen und mitzunehmen - sündige Magister! Du hast recht, Max, bei uns zu Hause kann sie sehr gut reden. Nicht gleich natürlich, aber irgendwann. Deine kleine Dose erinnert sich an etwas, du Schlawiner. Die alte Heilerin wird deinen Mantel fressen, wenn wir das Geheimnis knacken. Und das schaffen wir. Schließlich habe ich schon ganz andere Nüsse geknackt!«

Die Gunst des Moments nutzend, fragte ich: »Was meinten die Frauen eigentlich mit der Finsternis, in die ich angeblich schaue? Mir ist nicht recht wohl nach alledem.«

»Das ist normal«, sagte Juffin schroff. »Erinnerst du dich, wie du hierhergekommen bist?«

»Ja. Aber ich versuche, nicht darüber nachzudenken.«

»Richtig so. Für so einfache Dinge hast du immer noch Zeit. Es kann jedem passieren, aus einer Welt in eine andere zu gehen, und zwar lebendig und bei vollem Verstand. Wir zwei gehören zu denen, die sogar noch mehr erleben können. Und die alten Frauen beschäftigen sich mit Magie - aber nicht wie die hiesige Bevölkerung (nämlich einmal im Jahr in der Küche), sondern ernsthaft und seit langer Zeit. Man kann sogar sagen, sie tun nichts anderes. Und die Erfahrung zeigt ihnen, dass mit uns beiden etwas nicht stimmt. Dieses Etwas nennen sie Finsternis. Kapiert?«

»Nicht ganz«, gab ich ehrlich zu.

»Also gut - versuchen wir's anders. Vorhin hast du gesagt, du erlebst oft grundlose Stimmungswechsel. Du gehst auf die Straße, bist in Eile und bekommst plötzlich keine Luft mehr, weil dich ein grenzenloses Glücksgefühl überkommt ... Oder es läuft alles prima: Du bist jung; neben dir liegt eine wunderbare Frau,- du bist geradezu kindisch glücklich - und plötzlich wird dir bewusst, dass du im Leeren hängst; eisige Wehmut beklemmt dein Herz, als seist du gestorben. Dabei hast du nie gelebt ... Oder du betrachtest dich eines Tages im Spiegel, erkennst dein Gegenüber nicht mehr und weißt nicht, warum es da ist; dann schwillt dein Spiegelbild immer weiter an, bis es platzt, und du schaust ratlos in den leeren Rahmen ... Du brauchst mir nichts zu erzählen - ich weiß, dass dir so was ab und an passiert. Genau wie mir, Max. Ich hatte nur Zeit, mich daran zu gewöhnen. Solche Dinge geschehen, weil sich uns etwas Unbegreifliches nähert. Niemand weiß, woher es kommt, und niemand weiß, was geschieht, wenn es einen am Ärmel berührt. Im Allgemeinen haben wir beide Talent für unser merkwürdiges Handwerk, das außer uns niemand versteht. Und ehrlich gesagt, kann ich dir jetzt nicht mehr erklären. Weißt du, über solche Sachen darf man nicht laut reden. Weil sie gefährlich sind, müssen sie geheim bleiben. Es gibt in Echo einen Menschen, der mehr darüber weiß als wir zwei. Irgendwann wirst du ihn kennenlernen, aber bis dahin schweige. In Ordnung?«

»Mit wem kann ich mich hier - abgesehen von Ihnen - überhaupt noch unterhalten? Mit Chuf?«

»Mit Chuf! Und dein Abenteuerleben beginnt ja bald.«

»Damit drohen Sie mir ständig.«

»Hast du heute Abend etwa zu wenig erlebt? Ich würde dich gern schneller bei mir im Haus an der Brücke einsetzen, aber in Echo braucht alles seine Zeit. Einen Tag nach unserem Ausflug ins Fressfass hab ich dein Ernennungsgesuch an den Hof weitergeleitet. In meiner Behörde wird alles schnellstens erledigt - in einem Monat dürfte alles geregelt sein.«

»Das soll schnell sein?«

»Ja. Und gewöhne dich daran.«

Wir waren in Juffins Haus getreten. Er verschwand in sein Schlafzimmer, und ich blieb allein. Höchste Zeit, über die Finsternis nachzudenken, in die ich angeblich schaute. Die alten Damen hatten mir wirklich einen Schreck eingejagt! Und dann noch Juffin mit seinem Vortrag über die geheime Ursache meiner Stimmungswechsel. Brrr!

In meinem Zimmer nahm ich die von mir gerettete Dose aus der Manteltasche. Meine Süße, bleib einige Zeit liegen und beruhige dich etwas. Opa Max ist ein guter Mensch, obwohl er fast nichts besitzt. Er schützt dich vor jedem Überfall, aber jetzt schaut er noch ein bisschen in die Finsternis ...

In die Blüte meiner neuen Phobie kam ein flauschiges Kügelchen aus der Finsternis gesprungen: »Max, lass das!«

Mein kleiner Freund Chuf wedelte mit dem Schwänzchen und brachte damit die teuflische Dunkelheit zum Verschwinden. Ich beruhigte mich, löschte das paranoide Murmeln der betagten Grazien aus dem Gedächtnis und ging mit Chuf ins Wohnzimmer, um zu Abend zu essen und die Tageszeitungen zu lesen.

Bis zum Morgen konnte ich nicht einschlafen, sondern wartete auf Juffin, um die Ereignisse des Abends bei einem Becher Kamra zu besprechen. Ich hatte die Vorstellung, Sir Juffin zerbräche sich von morgens bis abends über den geheimnisvollen Mord den Kopf. Wie der gute alte Sherlock Holmes oder der kaum weniger alte und ebenso gute Kommissar Maigret würde Juffin - dachte ich - stundenlang Pfeife schmauchen und dann zum Tatort schlendern, um nach einer schlaflosen Nacht das Geheimnis der entlaufenen Leiche - nicht ohne meine bescheidene Hilfe - zu lüften. Und danach würden alle vor Freude tanzen.

Doch mich erwartete eine große Enttäuschung. Das morgendliche Treffen mit ihm dauerte nur zwölf Minuten, und die ganze Zeit verschwendete Sir Juffin mit Spekulationen darüber, ob und wie ich die nächsten drei Tage ohne ihn auskommen könnte. Wie sich herausstellte, stand sein jährlicher Besuch bei Hofe an, und der König ließ seinen charmanten Vasallen in aller Regel nicht so schnell wieder laufen. Nach Sir Juffins Erfahrungswerten würde seine Quasi-Gefangenschaft drei bis vier Tage dauern. Danach würde sich im Volk Unmut rühren, der den Monarchen zwänge, seine Beute widerwillig in die Welt zurückkehren zu lassen.