Выбрать главу

Ich verstehe Seine Majestät: Detektivgeschichten gibt es im Vereinigten Königreich ja nicht, und die trockenen Berichte der Höflinge können das farbenprächtige Schwadronieren von Sir Juffin Halli nicht ersetzen.

Meine Einsamkeit nutzte ich nicht übel. Ich ging oft und lange spazieren, beobachtete Passanten und prägte mir Straßennamen ein. Und ich erkundigte mich nach dem Mietpreis leer stehender Gebäude. Äußerst kritisch wählte ich mein zukünftiges Zuhause aus, das in der Nähe der Straße der Kupferkessel sein sollte, an deren Ende das Haus an der Brücke steht, in dem sich das Polizeirevier und die Dienststelle von Sir Juffin befinden. Nachts machte ich meine Hausaufgaben und befragte etliche Gegenstände nach ihrer Vergangenheit. Es war angenehm zu merken, dass ich all das auch ohne Hilfe von Sir Juffin konnte. Die Dinge teilten mir ihre Erinnerungen gern mit. Nur die kleine Cremedose aus dem Schlafzimmer von Sir Makluk-Olli schwieg beharrlich wie ein Partisan. Anfälle unkontrollierter Angst waren bei ihr aber inzwischen nicht mehr zu beobachten. Immerhin etwas!

Am späten Abend des vierten Tages kehrte Sir Juffin Halli mit königlichen Geschenken und brandneuen Nachrichten zurück, die mir anfangs sehr abstrakt schienen. Er schob alle dienstlichen Angelegenheiten, die in seiner Abwesenheit aufgelaufen waren, beiseite. Mit dem geheimnisvollen Mord im leeren Schlafzimmer beschäftigten wir uns weder am ersten noch am zweiten Abend.

Mein Leben verlief endlich wieder in seiner alten, angenehmen Bahn. Juffin kam früh nach Hause, und wir nahmen unsere langen Gespräche und Nachtseminare wieder auf. Seit dem ungeklärten Mord im Haus von Sir Makluk waren schon zwei Wochen vergangen (jedenfalls nach meiner Rechnung; in Echo teilt man das Jahr nicht in Wochen und Monate, sondern in Tagesdutzende ein).

Nach hiesiger Zeitrechnung war seit unserem nächtlichen Besuch im Nachbarhaus schon über ein Dutzend Tage vergangen. Das ist eine lange Zeit, um meine Neugier aufrechtzuerhalten. Sie entzündet sich schnell und erlischt genauso rasch, wenn sie nicht gefüttert wird.

Hätte die von mir gerettete Dose doch früher gesprochen - ehe ich mich redseligeren Dingen zugewandt und sie darüber vergessen hatte! Obendrein hatte Sir Juffin begonnen, mir Tricks beizubringen. Wer weiß, wie alltäglich, akademisch und langweilig diese ganze Sache ohne meinen Leichtsinn geendet hätte.

Wie dem auch sei: Der erste Vorbote des sich zügig nähernden Unheils überraschte mich am frühen Abend eines wunderschönen Tages. Gerade riskierte ich zum zweiten Mal einen Blick in die Meisterwerke der alten Dichtung Ugulands, einen schweren Band, den ich aus der düsteren Bibliothek in den Garten mitgenommen hatte. Mühsam kletterte ich mit dem Folianten auf einen Ast des weit verzweigten Wachari, einer Baumsorte, die sich besonders für Männer mittleren Alters, die unter Anwandlungen von Kindlichkeit leiden, zum Klettern eignet.

Von meinem Beobachtungspunkt sah ich einen grau gekleideten Mann, der von Sir Makluks Residenz langsam zu uns kam. Ich erinnerte mich der Ereignisse beim letzten Besuch dort und hielt es für besser, ins Haus zu gehen. Sir Juffin war noch nicht da, und ich beschloss, mir die Nachrichten des Boten anzuhören. Für meinen Geschmack kletterte ich zu langsam runter, erreichte die Haustür aber, ehe Sir Makluks Diener den mit bunten, durchsichtigen Kieseln ausgelegten Pfad betreten hatte, der zum Haus führte.

In der Diele stieß ich auf Kimpa. Er wollte zur Tür eilen, doch ich kam ihm zuvor, öffnete dem Boten und sagte: »Sir Juffin ist nicht da. Sprich also mit mir!«

Sir Makluks Bote geriet in Verlegenheit. Ob es daran lag, dass ich meinen für hauptstädtische Ohren unangenehmen Akzent noch immer nicht losgeworden war?

Mein stutzerhaftes Aussehen und mein entschiedener Ton jedenfalls - vielleicht auch das Eingreifen Kimpas, den ich nicht bemerkt hatte - taten die erwünschte Wirkung.

»Sir Makluk bittet, dem Ehrwürdigen Leiter das Verschwinden des alten Dieners Gowins mitzuteilen. Seit heute Morgen hat ihn niemand gesehen. Das ist seit neunzehn Jahren nicht mehr vorgekommen! Außerdem lässt Sir Makluk ausrichten, dass ihn merkwürdige Vorahnungen plagen.«

Mit wichtigtuerischem Kopfnicken entließ ich den Boten. Zweifellos sollte ich Juffin per Stummer Rede rufen. Dafür aber fehlte mir die Erfahrung. Es ist leicht, dieses Kommunikationsmittel anzuwenden, wenn der Gesprächspartner einem gegenübersitzt. Jetzt aber sollte ich ihn Gott weiß wo ausfindig machen und eine telepathische Verbindung hersteilen. Sir Juffin hatte mir mehrmals einzureden versucht, es gebe da eigentlich keinen Unterschied - wenn es einmal geklappt habe, klappe es beim zweiten Mal wie am Schnürchen. Was das betraf, hatte ich allerdings meine eigene Meinung. Vielleicht mangelte es mir ja an Fantasie oder Erfahrung.

Ich hätte Kimpa natürlich um Hilfe bitten können. Dem stand nichts entgegen, weder eine besondere Geheimhaltung noch mein übersteigerter Ehrgeiz (welcher Ehrgeiz denn?). Erneut muss ich gestehen, einfach nicht auf die Idee gekommen zu sein, mich an ihn zu wenden. Und Kimpa - stets korrektester Diener - traute sich nicht zu intervenieren.

Also begann ich auf eigene Faust, Kontakt mit Juffin zu suchen. Nach drei Minuten war ich verschwitzt, fahrig und der Verzweiflung nahe. Nichts klappte! Ich stand mit dem Rücken zur Wand und war sicher, zu nichts zu taugen!

Ich ließ alle Hoffnung fahren und probierte es ein letztes Mal ... und plötzlich funktionierte es! Ich erreichte Juffin mit meinem »Stummen Schrei«, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie.

»Was gibt's, Max?«, fragte er, und ich erzählte ihm alles.

»In Ordnung. Ich komme. Warte auf mich«, antwortete er knapp. Er wollte eindeutig meine Kräfte schonen.

Ich atmete tief ein und ging mich umziehen. Schon lange hatte ich nicht mehr so geschwitzt! Kimpa betrachtete mich mit herablassender Neugier und enthielt sich taktvoll jeglichen Kommentars. Ein Heiliger.

Ehe Juffin kam, war ich hergerichtet, doch unseren Hauptzeugen - die kleine Cremedose - erwähnte ich nicht. Ich hätte das Gespräch später bestimmt darauf gebracht, aber Juffin kam nicht allein, sondern in Begleitung von Sir Melifaro, seinem Stellvertreter. Glauben Sie mir: Ihn kennen zu lernen, gleicht dem Erleben eines Erdbebens der Stärke fünf bis sechs. Sir Melifaro ist nicht nur das Tagesantlitz des Ehrwürdigen Leiters des Kleinen Geheimen Suchtrupps, sondern eine wahre Wanderausstellung. Den Burschen sollte man für Geld vorführen. Alle zwölf Tage würde auch ich eine Eintrittskarte kaufen, wenn ich das Vergnügen nicht täglich gratis bekäme - als Bonus für geleistete Dienste.

An diesem Tag wusste ich noch nicht, was mich erwartete.

Ins Wohnzimmer fiel ein dunkelhaariger Schönling ein, der auf den ersten Blick mein Altersgenosse war. Solche Typen hat man im Hollywood der Nachkriegszeit geschätzt und für die Rolle des ehrlichen Boxers oder des Privatdetektivs gebucht. Die Kleidung des Unbekannten wirkte auf mich stärker als sein Gesicht. Unterm bunten Mantel sah eine smaragdgrüne Skaba hervor, und auf dem Kopf trug er einen orangefarbenen Turban. Dazu hatte er grellgelbe Stiefel an. Dürfte dieser Modenarr sich täglich hundert Kleidungsstücke aussuchen, würde er - da bin ich mir sicher - stets nur zu den grellsten Farben und Nuancen greifen.

Der Angekommene funkelte mich aus dunklen Augen an und zog die Brauen so hoch, dass sie unter seinem Turban verschwanden. Theatralisch bedeckte er das Gesicht mit den Händen und rief: »Du bist es wirklich, mein prächtiger Barbar, und ich fürchte, dein Blick wird mich von nun an in Alpträumen verfolgen!« Danach drehte er sich auf dem flauschigen Teppich wie auf einer Eisfläche um die eigene Achse und plumpste in einen Sessel, der bei dieser Behandlung aufstöhnte und erstarrte, als würde er sterben. Es schien, als hörte der Ankömmling auf zu atmen. Jedenfalls heftete er seinen durchdringend prüfenden Blick, der plötzlich ernst und seltsam leer wurde, auf mich, was zu der gerade abgezogenen Nummer gar nicht passte.