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Ich begriff, dass ich ihn jetzt begrüßen sollte, und bedeckte die Augen - wie es sich eigentlich gehörte - mit der Hand, konnte aber nur ein »Na!« herausbringen.

Melifaro lächelte und zwinkerte mir unerwartet zu. Er tat übrigens alles unerwartet.

»Aber Max! Zukünftige Nachtseite unseres Ehrwürdigen Leiters! Nimm das nicht so ernst - schließlich arbeite ich schon seit sechzehn Jahren als seine Tagseite. Der Mensch gewöhnt sich an alles, weißt du.«

»Es fehlt nur noch wenig, dann hat unsere Abteilung bei Max jedes Ansehen verloren!«, mischte sich Juffin ein. »Meine Bemühungen laufen ins Leere! Er wird denken, ich sei nur der Leiter eines Asyls für Verrückte, und zurück in seine Leeren Länder fliehen, weil er die Vorzüge eines Lebens in sauberer Luft zu schätzen weißlich winkte beschwichtigend ab.

»Was gibt es eigentlich für Neuigkeiten?«, fragte Juffin nun gespannt.

»Haben Sie zu wenig Informationen, Sir?«, rief Melifaro. »Soll Ihnen etwa jemand sagen, wo der Verschwundene sich aufhält, was mit ihm passieren wird und wer an allem schuld ist? Im Haus von Sir Makluk hat sich keiner bemüht, den Täter zu fassen, und wir müssen nun die Kastanien aus dem Feuer...

»Melifaro!«, unterbrach Juffin. »Sir Max weiß noch nicht, dass du der Klügste, Unwiderstehlichste und Herrlichste von allen bist. Er kann sein Glück kaum fassen, an der Quelle der Macht des Vereinigten Königreichs zu sein.« Nach diesen Worten machte er eine kurze Pause und setzte seltsam sanft hinzu: »Und jetzt wird gearbeitet.«

Schnaubend nahm Melifaro das zur Kenntnis.

»Max, du kommst mit, damit unser Grüppchen nach was aussieht. Gestern habe ich Sir Lonely-Lokley und seine großen Hände für fünf Sorgenfreie Tage beurlaubt. Klugerweise hat er sich gleich heute Morgen davongemacht. Lady Melamori hat ebenfalls dienstfrei, weil ihr einflussreicher Vater sich nach ihr gesehnt hat. Und Sir Kofa Joch bewacht unsere nette Anstalt an der Brücke, statt in irgendeinem Betrunkenen Skelett zu tafeln, der Arme. Wir aber sollten etwas essen, damit uns Sir Melifaro nicht vom Fleisch fällt. Wie ich dich kenne, Max, hast du bestimmt auch Appetit.«

Wir aßen reichlich, aber in Eile. Es schien, als wäre Sir Melifaro auf einen Eintrag ins Buch der Rekorde scharf und hoffte, seinen Namen unter denen zu sehen, die riesige Mengen an Lebensmitteln vertilgten. Dabei schaffte er es obendrein, mich zu fragen, ob es nicht schwierig sei, ohne gedörrtes Pferdefleisch auszukommen, und erkundigte sich bei Sir Juffin, ob er ein mit dem marinierten Fleisch eines rebellischen Magisters belegtes Brot bekommen könne. Diesen Witz verstand ich erst später, als Sir Kofa Joch mir einen Überblick über die zählebigsten Legenden der Stadt gegeben hatte.

Schweigend gingen wir zu Sir Makluks Haus hinüber. Sir Juffin war in Gedanken vertieft, Melifaro pfiff ein Lied, und ich erwartete mein erstes Abenteuer. Ich sage gleich vorweg, dass es aufregender wurde, als ich es mir erhofft hatte.

Ein in tadelloses Grau gekleideter Mann ließ uns durch die kleine Seitentür ein. Ich fühlte mich plötzlich unwohl - mir war nicht übel, doch ich war traurig, und die ganze Situation erschien mir widerlich. Etwas Ähnliches hatte ich schon früher gespürt, in den seltenen Fällen nämlich, da ich meine Großmutter hatte besuchen müssen. Im Krankenhaus hatte es eine eigene Abteilung für Sterbende gegeben - ein wirklich nettes Plätzchen ...

Juffin warf mir einen interessierten Blick zu. »Max, spürst du das auch?«

Ich war so verwirrt, dass ich laut fragte: »Was ist das?«

Melifaro drehte sich erstaunt um, sagte aber nichts.

Juffin bevorzugte Stumme Rede. »Der Duft des Schlechten Todes. Er ist mir schon früher begegnet. Das alles ist sehr unerfreulich«, meinte er, zuckte die Achseln und setzte laut hinzu: »Gehen wir ins Schlafzimmer. Mein Herz spürt, dass der alte Gowins ungeduldig geworden ist und es am Morgen betreten hat, um Ordnung zu machen. Melifaro, du übernimmst die Rolle von Lonely-Lokley.«

»Mit mir ist heute nicht viel los. Ich kann mich nicht so anstrengen.«

»Das brauchst du auch nicht. Du sollst nur als Erster in die Hölle des Schlafzimmers gehen. Gemäß den Vorschriften darf ich euch nicht der Gefahr aussetzen, meine Gesellschaft zu verlieren, und Sir Max weiß nicht, was man zu tun hat, wenn man als Erster eintritt.«

»Dafür bin ich Ihnen nicht zu schade, stimmt's! Ich weiß - Sie haben mich schon lange satt. Kann es sein, dass Sie mich aus dem Dienst jagen wollen und Ihr Gewissen dabei sauber bleiben soll? Kommen Sie zur Besinnung, ehe es zu spät ist!«, rief Sir Melifaro im Scherz.

Ich erklärte ihm augenzwinkernd, was Juffin und ich im Schilde führten: »Wie Sie sehen, strebe ich auf Ihren Posten. Und für Ihren Boss ist es leichter, jemanden zu töten, als ihn ohne Grund zu beleidigen. Jetzt verstehen Sie sicher ...«

»Tja«, seufzte Melifaro theatralisch. »Sonst würde er mich bestimmt schon lange nicht mehr durchfüttern.«

»Herrschaften, könnt ihr mal die Klappe halten?«, fragte Juffin höflich.

Das taten wir ungesäumt und folgten unserem strengen Cicerone. Vor dem Schlafzimmer blieb Juffin stehen.

»Wir sind da. Herzlich willkommen!«

Melifaro hielt sich nicht mit den Tricks tapferer Filmsoldaten auf, sondern öffnete umstandslos die Tür und trat ungeduldig ein. Wenn man mich fragt, befand sich das Duftzentrum des Schlechten Todes genau dort. Aber Befehl ist Befehl. Also folgte ich ihm.

Eine Sekunde war mir, als sei ich vor Jahren gestorben. Todessehnsucht begann in mir zu brennen, eine besondere Art Heimweh. Doch ein letzter Rest des alten, distanzierten und vernünftigen Max hauste noch in mir. Also nahm ich mich zusammen, besser gesagt: Das bisschen Restvernunft legte meine übrigen Facetten, die der Todessehnsucht zuarbeiteten, an die Kandare.

Sir Melifaro, der sich im seligen Stand der Unwissenheit befand, spitzte die Ohren und brummte düster: »Chef, das ist kein sehr angenehmer Ort. Wohin haben Sie mich geschleppt? Wo sind hier Mädchen? Wo ist Musik?«

Sir Juffin antwortete mit merkwürdig fremder Stimme: »Zurück, Kinder. Diesmal bekommt meine Pfeife einen Hustenanfall.«

Es war schon seltsam: Der Pfeifenzeiger konnte angewandte Magie bis zum hundertsten Grad nachweisen. In romantischer Vorzeit hatten solche Pfeifen noch viel höhere Grade von Magie angezeigt, doch für die Gegenwart reichten hundert Grade völlig. Wenn diese Pfeife nun hustete, konnte das nur bedeuten, dass sich im Zimmer eine viel höhere Magie befand, vielleicht eine des 173. oder 212. Grades. Mir war das völlig egal.

»Wie ich höre ... «, begann Melifaro, doch Juffin schrie: »Hau ab, schnell!«, griff dabei nach meinem Unterschenkel und riss mich zu Boden. Ich sah Melifaros Beine nur noch in einem sonderbaren Salto aufs Fenster zurasen. Glassplitter regneten auf ihn nieder. Wie ein smaragdgrüner Vogel stürzte er in den Garten und wäre beinahe dort aufgeschlagen, schnellte aber zurück, als hinge er an einem Gummiband.

»Was machst du denn schon wieder hier, du Idiot? Hau ab!«, brüllte Juffin ohne viel Überzeugungskraft. Selbst ich merkte, dass Melifaro nicht freiwillig zurückgekehrt war, und glaubte sogar, ein Spinnennetz zu sehen, das wie ein Kristall glitzerte und in dem er sich verfangen hatte. Er schaute uns seltsam entrückt an. Aus berauschend weiter Ferne. Dazu lächelte er so glückselig wie idiotisch. Langsam arbeitete er sich zum Zentrum des Spinnennetzes vor - auf das zu, was früher der große, alte Spiegel gewesen war.

Juffin hob die Hände über den Kopf und schien von innen warm und gelb aufzuleuchten wie eine Kerosinlampe. Erst funkelte das Spinnennetz, dann Sir Melifaro. Er blieb stehen und drehte sich zu uns um. Mit ihm schien alles in Ordnung zu sein, doch dann erlosch sein Funkeln. Er lächelte noch immer und machte wieder einen Schritt auf ein dunkles Geschöpf im Spiegel zu.

Juffin krümmte sich und zischte einige Worte. Das Spinnennetz zitterte, und ein paar Fäden rissen mit einem merkwürdigen Geräusch, das mir im Magen wehtat. In der Finsternis dessen, was wir für den Spiegel gehalten hatten, rührte sich etwas. Leere Augen schauten uns an, die dem Spinnennetz ähnlich schienen und kalt wie Kristalle funkelten. Das Licht dieser Augen ließ uns ein Maul erkennen, das dem eines Affen ähnlich war, sich bei näherem Hinsehen aber als dunkler, feuchter, abstoßender Fleck erwies, den ich zunächst für einen Bart hielt. Er hatte keine klare Kontur. Dann begriff ich entsetzt, dass der »Bart« lebte. Rund um die ekelhafte Öffnung bewegte sich ein Gestrüpp dünner Beinchen, die ein Eigenleben führten. Das Wesen schaute Sir Melifaro mit kühler Neugier an, bemerkte uns dagegen nicht. Melifaro lächelte, sagte leise: »Du siehst doch, ich komme«, und machte wieder einen Schritt voran.