Juffin tobte, rief mit rauer, fremder Stimme unverständliche Worte, trommelte rhythmisch mit den Beinen und lief im Zimmer auf und ab. Der Takt seiner Schritte und Schreie wirkte seltsam beruhigend auf mich. Wie verzaubert erlebte ich seinen schwindelerregenden, schamanistisch wirkenden Auftritt. Das Spinnennetz zitterte und erlosch, und der Spiegelbewohner musterte Juffins Bewegungen mit sterbendem Blick.
»Das Wesen stirbt«, dachte ich kühn. »Es war immer tot, und jetzt stirbt es. Merkwürdig!«
Juffin beschleunigte seinen Rhythmus. Seine Schritte wurden lauter, und sein Schreien verwandelte sich in Geheul, das meine Gedanken übertönte. Sein Körper schien mir seltsam groß und dunkel wie ein Schatten. Die Wände des Zimmers begannen hellblau zu leuchten. Ein kleiner Tisch hob sich in die Luft und flog Richtung Spiegel, stürzte aber auf halbem Wege ab, und seine Trümmer mischten sich mit den Spiegelsplittern.
Dann spürte ich, dass ich einschlief - oder starb. Eigentlich hatte ich nie vorgehabt, in Gegenwart einer kränklichen, behaarten Affenfratze zu sterben. Aus einer Zimmerecke kam ein Kerzenleuchter geflogen und schien auf meinen Kopf zu zielen. Da wurde ich wütend und bewegte mich, und der Kerzenleuchter blieb ein paar Zentimeter vor meinem Kopf in der Luft stehen. In diesem Moment begriff ich, dass es zu Ende war.
Na ja, »zu Ende« ist leicht gesagt. Es gab kein Licht und kein Spinnennetzgefunkel mehr, und auch der fatale Geruch nach Schlechtem Tod war verschwunden. Der Spiegel sah wieder nach Spiegel aus, warf aber natürlich kein Bild mehr zurück. Sir Melifaro stand bewegungslos inmitten der Trümmer. Sein Gesicht war eine erschreckend leblose Maske. Das Spinnennetz hing ihm nun in glanzlosen, aber echten Fasern am Leib. Sir Juffin hockte sich neben mich und musterte neugierig mein Gesicht.
»Wie fühlst du dich, Max?«
»Ich weiß nicht. Wenigstens geht es mir besser als ihm«, meinte ich und wies mit dem Kopf auf Sir Melifaro. »Was war das gerade?«
»Magie des 212. Grades, mein Freund. Was hältst du davon?«
»Was halten Sie davon?«
»Das alles war sehr seltsam. Rein theoretisch solltest du in seinem Zustand sein«, antwortete Juffin. Wir wandten synchron die Köpfe und betrachteten erneut den erstarrten Melifaro.
»Sag mal, bist du eingeschlafen? Was war mit dir los?«
»Offen gesagt wusste ich selbst nicht, ob ich sterbe oder einschlafe. Aber ich dachte, dass ich in Anwesenheit dieses Affen nicht sterben will. Komisch, was? Als mir der Kerzenhalter entgegenflog, war ich endgültig sauer, und zwar auf alles: auf den dummen Leuchter, auf die Missgeburt im Spiegel und auf Sie. Und ich nahm mir vor: Euch zeig ich's! Ich sterbe nicht! Das war eigentlich alles.«
»Donnerwetter, Junge! Bisher galt so was als unmöglich. Du warst also plötzlich beleidigt und hast dich entschieden, nicht zu sterben? Um deinen Feinden Paroli zu bieten? Lustig. Aber trotzdem: Wie fühlst du dich jetzt?«
Unvermittelt überkam mich strahlende Laune. Als ich in mich hineinlauschte, merkte ich, dass ich mich tatsächlich nicht normal fühlte. Zum Beispiel verstand ich durchaus, was gerade passiert war. Ich hatte Juffin nicht danach fragen müssen. Mir war klar, dass er zweimal erfolglos versucht hatte, die fremde Kraft aus dem Spiegel zu besiegen. Beim dritten Mal hatte er alles im Zimmer erstarren lassen. Ich stellte mir plastisch vor, wie er es gemacht hatte, hätte das Ganze aber nicht wiederholen wollen. Ich wusste auch, dass es unmöglich war, den Spiegelbewohner zu vernichten, ohne Sir Melifaro dabei Schaden zuzufügen. Das Spinnennetz verband die beiden nämlich wie siamesische Zwillinge.
Doch im Moment quälten mich andere Fragen. So überlegte ich, wie Sir Juffin aussehen mochte, wenn man einen Glassplitter nahm und ihm damit die Wange ritzte. Und wie sein Blut wohl schmecken mochte.
Ich fuhr mir mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen.
»Max«, sagte Juffin streng. »Reiß dich zusammen. Das bringt dich aus der Fassung. Ich kann dir helfen, wenn wir das Zimmer erst verlassen haben, aber es wäre besser, wenn du es allein schaffst. Im Vergleich zu dem, was du schon geleistet hast, ist das eine Kleinigkeit.«
Ich durchstöberte alle Ecken meiner Seele nach dem kleinen, vernünftigen Jungen, der mir in heiklen Lagen hilft. Offenbar war er gerade nicht zu Hause.
Plötzlich erinnerte ich mich an einen billigen Vampirfilm. Die Helden waren bleich geschminkt und hatten ziemlich scheußliche Blutergüsse - wie Kinder, die unter den Launen überforderter Hausmädchen leiden müssen. Ich verglich das mit meiner Situation: der nette Max, der anerkannte Liebling der Mädchen und Haustiere ... Zuerst schämte ich mich, doch dann brach ich in Gelächter aus.
Sir Juffin wandte sich zu mir um: »Du hast aber Fantasie!«
»Das ist keine Fantasie - das ist mein gutes Gedächtnis. Wenn Sie den Film gesehen hätten ...«, begann ich, stockte dann und fragte vorsichtig: »Moment mal, lesen Sie meine Gedanken?«
»Manchmal. Wenn die Arbeit es verlangt«, bestätigte Juffin gelassen.
Doch das hörte ich schon nicht mehr. Wieder quälte mich der Wunsch, Juffins Blut zu kosten. Einen kleinen Schluck nur. Mein Magen knurrte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an sein Blut!
»Bin ich etwa verrückt?«
»So was in der Richtung, Max. Aber das ist gut für dich. Ich glaube, nachdem du meinen Zauber ausgehalten hast, kannst du deine Verrücktheit locker bewältigen! Ich kann dich heilen, wenn es sein muss. Sag einfach Bescheid. Aber du verstehst schon ...«
Ich verstand: Mit der Verrücktheit würde auch das geheime Wissen verschwinden, in dessen Besitz ich so unerwartet gekommen war. Und nach Lage der Dinge erschien Sir Juffin die fachliche Hilfe eines psychisch unausgeglichenen Vampirs nützlicher als das Blöken des normalerweise unbewanderten Max. Aber wenn er sich versehentlich in die Hand schneiden würde, könnte ich ... Wieder leckte ich mir die Lippen und schluckte die bittere Spucke vernehmlich herunter. Dann nahm ich einen Glassplitter und ritzte mir die Hand, was mir arge Schmerzen und salzigen Blutgeschmack eintrug, mir aber auch unglaubliche Erleichterung brachte!
»Helfen Sie mir bitte auf, Juffin. Mir ist ganz blümerant.
Er nickte lächelnd und reichte mir die Hand. Ich stand auf und wunderte mich, wie ich mein Leben in so schwindelerregender Höhe verbringen sollte. Der Boden befand sich am anderen Ende des Weltalls - falls er sich überhaupt irgendwo befand! Ich stützte mich auf Juffin, bewegte behutsam die eingeschlafenen Beine und ging in den Flur.
Ich wusste, was nun kommen würde. Die Kräfte, die mein Gönner gerufen hatte, störten das Gleichgewicht der Welt. Das ist nichts Besonderes, auch nicht nach den Maßstäben des Linken Flussufers. Die häuslichen Maßstäbe aber sind andere. Ein Zimmer ist in kürzester Zeit restlos mit Magie gefüllt, und diese Magie zerstört die Harmonie. Man sollte das Leben gleich anhalten, wenn Konturen verschwinden, und es in Ordnung bringen. So etwas darf man nicht auf später verschieben. Damals stand mir alles, was geschehen war, lange lebhaft vor Augen, doch jetzt erinnere ich mich nur noch dunkel daran.
Zuerst streiften wir ziellos durch das riesige Haus. Grau gekleidete Männer versuchten, uns zu entkommen, obwohl manche bedrohlich die Zähne zeigten.
Andere verhielten sich seltsam. Im großen Wohnzimmer mit Springbrunnen, in dem Sir Makluk uns empfangen hatte, führten zwei junge Männer einen lautlosen rituellen Tanz auf. Graziös umwickelten sie sich mit etwas, das wie fluoreszierende Papierschlangen aussah. Als wir näher kamen, merkte ich entsetzt, dass es sich um Gedärm handelte, das die Burschen einander mit nachdenklichem Gesicht aus dem Bauch zogen. Es gab kein Blut, und sie hatten - wie ich annahm - auch keine Schmerzen. Die Innereien funkelten im Halbdunkel des großen Saals und spiegelten sich im Strahl des Springbrunnens.