»Ich habe doch Loneky-Lonkey gesagt«, rief Melifaro und wandte sich stürmisch an mich. »Bist du wirklich mein eigentlicher Retter? Nicht schlecht, Sir Nachtalptraum! Ich bin dir etwas schuldig.«
Damit kam der Augenblick meines Triumphs. Eine würdige Antwort hatte ich schon unterwegs vorbereitet: »Unsinn! Bei uns in den Leeren Ländern hat jeder Nomade so ein Spieglein im Zelt. Ich verstehe nicht, warum man in der Hauptstadt wegen einer solchen Kleinigkeit so viel Aufhebens macht.«
Schürf Lonely-Lokley war höflich erstaunt. »Tatsächlich, Sir Max? Merkwürdig, dass kein Forscher je davon berichtet hat.«
»Merkwürdig ist das nicht«, gab ich mit diebischer Freude zurück. »Die, die davon hätten erzählen können, sind für immer verstummt: Wir haben sie an unsere Haustiere im Spiegel verfüttert!«
Sir Juffin Halli brach in kurzes Gelächter aus. Melifaro hob verblüfft die Brauen, begriff dann aber, dass ich einen Scherz gemacht hatte, und lachte ebenfalls. Lonely- Lokley zuckte wohlwollend die Achseln und wandte sich seinem Krug zu.
»Ihr solltet eure Kräfte schonen, Leute!«, warnte Juffin. »Heute gibt's im Fressfass ein Fest: Melifaros Auferstehung! Sollen andere machen, was sie wollen - wir feiern mit Max! Das haben wir uns verdient. Sir Schürf, Sie kommen mit uns. Das ist ein Befehl! Melifaro, du auch - es sei denn, du bist zu schwach und willst dich untersuchen lassen. Wir können uns auch stellvertretend für dich austoben!«
»Ich und schwach? Kein Gedanke! Sie müssen mich nur zum Fressfass fahren.«
»Dann ist ja alles klar. Wir fahren dich bis vor die Tür und werfen dich über die Schwelle. Du weißt noch gar nicht, wie großartig Sir Max A-Mobil fährt. Da kommt was auf dich zu! Diese Fahrt wird dich erschüttern.«
»Dann muss ich mir das noch überlegen. Max, bist du wirklich ein Rennfahrertyp?«
Ich zuckte stolz die Achseln.
»Das glaube ich nicht, aber Sir Juffin war unzufrieden. Er hat mich immer wieder gebeten, langsamer zu fahren, obwohl ich fast wie eine Schnecke gekrochen bin. Es wäre interessant zu wissen, warum er das getan hat.«
Melifaro sprang auf.
»Wenn das stimmt, seid ihr in euren Leeren Ländern wirklich vollkommen. Warum habt ihr uns eigentlich noch nicht erobert?«
»Die Kriegsbereitschaft in Grenzgebieten ist normalerweise eher gering«, bemerkte Lonely-Lokley dozierend. »Dafür sind die intellektuellen Möglichkeiten der Bewohner dort zweifellos größer als die unseren. Im Gegensatz zu Ihnen hat Sir Max meinen Namen von Anfang an richtig auszusprechen gewusst. Ein beeindruckendes Ergebnis, fürwahr!«
Dschuba Tschebobargo und andere nette Leute
Max, bist du sicher, dass sie dir gefällt?«, fragte Juffin ein wenig verlegen. »Oder hast du dich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass der König deine Wohnung bezahlt?«
Ich musste lachen. Noch am Vortag hatte ich befürchtet, das Haus sei für mich allein viel zu riesig. Immerhin hatte es zwei Etagen, und auf jeder gab es ein sportplatzgroßes Zimmer. In Echo geizt man nicht mit der Wohnfläche und bevorzugt geräumige, zweibis dreigeschossige Häuser. Das von mir favorisierte Haus in der Straße der alten Münzen war etwas kleiner als seine Nachbarn, gefiel mir aber gerade deshalb sehr. Juffin dagegen frotzelte, ich würde Nester bevorzugen.
»Wir Leute aus den Grenzgebieten sind Sklaven unserer Gewohnheiten«, stellte ich fest. »Wenn Sie die Zelte derer kennen würden, die zwischen der Grafschaft Wuk und den Leeren Ländern leben ...«
Dieser konspirative völkerkundliche Hinweis war eigentlich für den Hausbesitzer gedacht, der ehrerbietig in der Zimmerecke stand. Es war besser, diesem braven Bürger nicht zu sagen, dass sein neuer Mieter aus einer anderen Welt nach Echo emigriert war. Der Arme war übrigens ganz berauscht davon, einen Mieter gefunden zu haben, aber nicht berauscht genug, um nicht auf interessante Informationen über meine Vergangenheit zu lauern.
»Außerdem ist es für meinen Arbeitgeber sehr günstig, wenn ich mich für diese Wohnung entscheide. Denn je schlimmer es bei mir daheim aussieht, desto mehr Zeit verbringe ich im Büro.«
»Sehr vernünftig, Max. Oben schläfst du, unten empfängst du Gäste - aber wo wohnt das Personal?«
Ich beschloss, meinen Chef endgültig zu frappieren.
»Ich brauche kein Personal. Ich will keine fremden Leute bei mir herumlaufen haben, die die Bücher einräumen, die ich offen habe liegen lassen, in meinen Sachen herumwühlen, mein Gepäck tragen und mir verlogen in die Augen sehen, wenn sie weitere Anweisungen erwarten. Und dass ich für all das auch noch bezahlen soll, kommt ganz und gar nicht in Frage!«
»Alles klar, Max. Wir haben es bei dir offenbar mit einem Asketen von der strengen Observanz zu tun, dessen eigentlicher Beweggrund pathologischer Geiz ist. Wofür willst du dein Gehalt eigentlich ausgeben?«
»Ich werde A-Mobile sammeln. Bei meiner Begeisterung für sportliches Fahren reicht ein Wagen nicht aus.«
Sir Juffin seufzte. Er hielt schon eine Geschwindigkeit von hundert Meilen pro Stunde für eine unbegreifliche Kühnheit - und womöglich hatte er recht. Bis zu meiner Ankunft hatte in Echo die Überzeugung geherrscht, dreißig Meilen pro Stunde solle als Höchstgeschwindigkeit für A-Mobile - die hiesigen Wunder der Technik - gelten. Klar, dass ich durch meinen Fahrstil zu einer stadtbekannten Attraktion avanciert war.
»Wie auch immer: Du bist ein seltsamer Mensch,
Max - ein Haus zu mieten, in dem es nur drei Bäder gibt
Zugegeben - diese Entscheidung war tatsächlich ein Fehler. In Echo ist das Bad ein besonderer Ort, an dem es fünf bis sechs kleine, mit Wasser unterschiedlichster Temperatur gefüllte Wannen gibt. Auch benutzt man diverse Badezusätze. All das gilt nicht als Luxus. Ich allerdings war nicht so verweichlicht. Im Haus von Sir Juffin Halli, das sogar mit elf Wannen aufwarten konnte, empfand ich das tägliche Bad als Schwerarbeit, nicht als Vergnügen. Drei Wannen reichten mir deshalb völlig - davon jedenfalls war ich überzeugt.
»In einem Punkt immerhin hast du recht«, sagte Sir Juffin resigniert. »Ob elf Badewannen oder drei, macht keinen Unterschied, wenn man schläft. Also gut, Junge, es ist ja dein Leben, und du sollst es dir einrichten, wie es dir gefällt. Fahren wir jetzt lieber schon mal ins Fressfass. Es ist besser, wenn wir dort heute früher landen als die anderen.«
Das Dienst-A-Mobil stand gleich um die Ecke. Als der Hausbesitzer die ersehnte Unterschrift unter seinen Vertrag bekommen hatte, konnte er sein Glück kaum fassen und verschwand eiligst.
Das Fressfass - das hübscheste Wirtshaus von Echo - nahm uns warm in die Arme. Wir setzten uns an unsere Lieblingsplätze, also zwischen das Fenster und die angeblich längste Theke der Stadt. Ich hatte einen eher enttäuschenden Ausblick auf die Straße, Sir Juffin hingegen die herrliche Aussicht auf die Theke und den gewaltigen Busen von Madame Zizinda.
Wie beabsichtigt waren wir die Ersten. Später sollte ich den Kollegen offiziell vorgestellt werden, und solche Zeremonien ließ Sir Juffin traditionsgemäß im Fressfass steigen. Die Prozedur wurde dadurch erleichtert, dass ich bereits zwei Mitglieder des Kleinen Geheimen Suchtrupps kennengelernt hatte - Sir Melifaro nämlich, das Tagesantlitz von Sir Juffin Halli, und Sir Schürf Lonely- Lokley, den Schnitter des Lebensfadens. Die beiden hatten mich schon beschnuppern dürfen, als wir den tobenden Spiegel des alten Sir Makluk bekämpft hatten. Meine neuen Bekannten hatten gewichtige Eindrücke von mir bekommen und sie vermutlich längst - und zwar bedrohlich flüsternd - auf den Arbeitssitzungen bei einer Tasse Kamra weitererzählt. Und geheimnisvolle Bemerkungen von Sir Juffin Halli hatten nur weiteres Öl ins Feuer gegossen.
So war ich zu meinem Supermann-Image gekommen, das zwar schmeichelhaft war, mir aber auch viel abverlangte. Trotz meiner Nervosität war ich Juffin Halli dankbar, so früh mit mir ins Fressfass gegangen zu sein. Egal wie es weitergehen würde: Ich hatte einen warmen Sitzplatz. Und vielleicht würde mir ja auch in der Seele warm, wenn ich erst ein Gläschen Dschubatinischen Säufer bekäme.