Rasch aber stellte sich heraus, dass der Dschubatinische Säufer längst nicht das Beste war, was es hier zu kosten gab. Wir bekamen ausgezeichnete Kamra und einen aromatischen Likör, dessen Name - Tränen der Finsternis - mich etwas entmutigte. Doch ich hatte mir ganz überflüssige Sorgen gemacht: Mochten den Schöpfer des Likörs bei der Namensgebung auch poetische Neigungen geleitet haben - sein Geschmack war unvergesslich.
»Entspann dich, Junge«, meinte Juffin und lächelte mich an. »Melifaro und ich haben so viel Unsinn über dich verbreitet, und Sir Lonely-Lokley hat dazu so beredt geschwiegen, dass die Übrigen - falls sie überhaupt kommen - sicher alle schützenden Amulette angelegt haben, die sie nur auftreiben konnten.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sagen Sie, Juffin, gehört die ältere Dame am Nachbartisch etwa zu unserem Trupp? Sie sieht mich ständig so zaghaft an.«
Zu meiner Verwunderung fixierte mich Juffin fast bedrohlich. »Warum hast du das gesagt, Max? Kannst du mir das erklären?«
»Das war nur ein Scherz. Diese Dame ist plötzlich aufgetaucht und hat mich die ganze Zeit angeschielt.«
»Ich wundere mich immer mehr über dich, Max!«
»Wie meinen Sie das?«
»Morgen kaufe ich mir jedenfalls selbst ein paar Amulette.«
Die füllige ältere Lady stand auf, wickelte sich in ihren Lochimantel und kam auf uns zu. Dabei veränderte sich ihr Gesicht, und sie kam als untersetzter Gentleman bei uns an. Ich schaute verblüfft drein und begriff nicht, was da passiert war.
»Du bist es wirklich!«, sagte der Ankömmling ehrerbietig und legte die Hand über die Augen, wie es sich beim Kennenlernen gehörte. Ich wiederholte die Begrüßungsgeste unverzüglich.
»Sehr erfreut, mich vorstellen zu dürfen. Mein Name ist Kofa Joch, und ich bin der Meister des Verhörs. Herzlieh willkommen, Junge. Du hast mich gerade erschaffen. «
»Das hatte ich nicht vor, Sir«, begann ich verlegen. »Das war bloß ein Scherz ...«
»Sag noch, dass du es nie wieder tun wirst, Max«, rief Juffin und brach in Gelächter aus. »Schau nur, wie schuldbewusst er dasitzt! Mensch, jeder andere würde an deiner Stelle vor Hochmut platzen!«
Sir Kofa Joch lächelte sanft. »Er berechtigt zu großen Hoffnungen. Schließlich brauchen wir für unsere Einheit mindestens eine bescheidene Person.« Mit diesen Worten setzte er sich neben Juffin und damit mir gegenüber und trank genüsslich seine Kamra.
»So eine leckere Kamra gibt es nirgendwo sonst!«, stellte er fest und lächelte erneut. »Ich habe interessante Neuigkeiten für euch. Überall in der Stadt tratscht man über das neue Nachtantlitz des Ehrwürdigen Leiters, also über dich, mein Junge. Zwei Versionen sind dabei im Umlauf. Nach der einen soll Juffin Halli ein Wesen aus der Welt der Toten nach Echo gebracht haben. Na, gefällt dir das, Max? Die andere Version ist vielleicht pikanter: Der Ehrwürdige Leiter soll seinem unehelichen Sohn, den er die ganze Zeit im Grenzgebiet versteckt hatte, einen Posten in der Verwaltung besorgt haben. Na, sind Sie begeistert, Juffin?«
»Warum können die Leute sich nichts Witzigeres ausdenken?«, murmelte mein Chef. »Die hauptstädtische Mythologie blüht vor allem auf zwei Sektoren: dem der verbotenen Magie und dem der Beziehungsabenteuer meiner Jugend. Letztere erregen hier besonderes Interesse, weil ich - anders als normale Leute - nicht in Echo zur Welt gekommen bin, sondern aus Kettari stamme. Darum denken hier alle, in der Provinz ergehe man sich den lieben langen Tag in Unzucht und Ausschweifungen, weil man ja sonst nichts zu tun habe ... Tja, Kofa, ich muss den König vielleicht bald um Gehaltserhöhung bitten. Tagaus, tagein so ein dummes Zeug hören zu müssen, kostet viel Kraft.«
»Halb so schlimm. Die ersten achtzig Jahre hat mich das sehr geärgert, aber dann hab ich mich daran gewöhnt. Ich arbeite mit Juffin nämlich schon sehr lange, Max«, meinte Kofa Joch und schenkte mir wieder sein sanftes, gönnerhaftes Lächeln.
»Kofa hat als Polizeigeneral am Rechten Flussufer gearbeitet und mehrere Jahre lang versucht, mich zu verhaften«, meinte Juffin. »Ein paarmal hätte er beinahe Erfolg gehabt. Aber das ist schon eine Weile her und geschah noch vor dem Kampf um das Chrember-Gesetzbuch. Das waren Zeiten! Jeder Bewohner von Echo konnte damals mit Magie hundertsten Grades Brot backen! Kannst du dir das vorstellen?«
Ich nickte schweigend. Es ist schwer, sich daran zu gewöhnen, dass man in Echo deutlich mehr als hundert Jahre alt wird. Viele große Persönlichkeiten und die Mehrheit meiner Bekannten schaffen es, ihr abenteuerliches Leben fast ins Unendliche zu verlängern.
Wie alt mochte Sir Kofa sein? Er sah höchstens wie sechzig aus, allerdings nach irdischen Maßstäben. In diesem Alter gilt man hier als Jugendlicher. Melifaro zum Beispiel, von dem ich geglaubt hatte, er sei in meinem Alter, war schon hundertfünfzehn Jahre alt. Er wurde an dem Tag geboren, an dem König Gurig VII. die rebellischen alten Orden endgültig besiegt und das Chrember-Gesetzbuch verkündet hatte, also am ersten Tag der neuen Epoche des Gesetzbuchs. Er scherzte zwar oft darüber, war aber insgeheim - wie ich glaube - sehr stolz darauf.
Ich traute mich nicht, Sir Juffin nach seinem Alter zu fragen. Vielleicht hatte ich einfach Angst, als Antwort ein Rätsel zu bekommen. Außerdem war ich erst dreißig! In diesem Alter waren sie noch Kinder gewesen und hatten gerade Lesen und Schreiben gelernt.
Während ich dies noch überlegte, trudelten weitere Mitarbeiter unserer Einheit ein. Ein junger Mann in prächtigem lila Lochimantel, der seinen enorm langen Körper verbarg, lächelte mich schon von der Türschwelle schüchtern an. Unterwegs warf er mit lautem Krachen einen Stuhl um und entschuldigte sich dafür so herzlich bei einer Dame mittleren Alters, die in der Nähe saß, dass sie dem Tollpatsch mit einem langen, sanften Blick verzieh. Diese sympathische Person sprach mich schon von weitem an und gestikulierte dabei verzweifelt.
»Ich freue mich, Ihnen endlich persönlich sagen zu können, wie sehr ich von Ihnen begeistert bin, Sir Max! Ich möchte Sie so vieles fragen und habe die letzten Tage vor Ungeduld und Neugier gebrannt, wenn Sie mir diese Formulierung erlauben.«
»Und wer sind Sie?«, fragte ich überrascht. Ich fühlte mich wie ein von einem Fan bedrängter Popstar.
»Verzeihen Sie! Vor Begeisterung hab ich ganz vergessen, mich vorzustellen! Ich bin Sir Lukfi Penz, der Oberste Wissenshüter. Stets zu Ihren Diensten!«
»Dieses Naturwunder passt auf unsere Buriwuche auf«, ergänzte Juffin. »Besser gesagt: Die Buriwuche passen auf ihn auf.«
Mein Interesse an Sir Penz wuchs rasant, da ich schon viel über diese klugen Vögel gehört hatte, die aus dem entfernten Arwaroch stammten. Im Vereinigten Königreich waren sie fast nirgendwo mehr zu finden. Nur im Haus an der Brücke lebten noch über hundert dieser wundersamen Geschöpfe und dienten als einzigartiges Verwaltungsarchiv. Ihr phänomenales Gedächtnis bewahrte ein Jahrtausend an Daten, Namen und Fakten. Ein Gespräch mit einem Buriwuch war, wie ich rasch begriffen hatte, viel interessanter, als sich durch einen Stapel Papiere zu arbeiten. Ich konnte es nicht erwarten, diese erstaunlichen Tiere zu sehen. Deshalb erschien mir der Mann, der seine Arbeitszeit mit ihnen verbrachte, als eine äußerst nützliche Bekanntschaft.
»Wieso bist du allein gekommen, Lukfi?«, fragte Juffin den Obersten Wissenshüter. Sir Penz setzte sich neben mich und nutzte die Gelegenheit, den Saum seines Mantels in meine Tasse zu tauchen. Das war vorderhand sein letztes Missgeschick.
Als ich seine Gesichtszüge musterte, merkte ich, dass Lukfi Penz nicht mehr der Jüngste war. Er gehörte bloß zu den Leuten, die sehr lange kindlich aussehen, um sich dann plötzlich ihrem Alter optisch anzupassen.
Lukfi lächelte verlegen und sagte: »Wissen Sie, Sir Juffin, die Übrigen versuchen gerade, ein ernstes philosophisches Problem zu lösen - den Konflikt von Macht und Verantwortung.«
»Sündige Magister! Worum geht's denn?«