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Nachdem ich mich an der Pracht des Hauses gegenüber sattgesehen hatte, nahm ich den dritten Band der Enzyklopädie von Sir Manga Melifaro zur Hand, in dem von meinen angeblichen Landsleuten die Rede war, von den Bewohnern der Grafschaft Wuk und der Leeren Länder also. Auch ein fiktives Vaterland soll man lieben - und vor allem erforschen. Dabei dachte ich zunächst an all die bohrenden Fragen, die mir Sir Lukfi Penz bestimmt bald stellen würde. Außerdem fand ich das Buch sehr interessant. Bei Seite hundert, wo es um Nomaden ging, die aus Zerstreutheit ihr minderjähriges Stammesoberhaupt in der Steppe verloren und sich dafür verflucht hatten, schlief ich ein. Im Traum sah ich meine Version der unglaublichen Geschichte, allerdings mit Happy End: Als Erwachsener wandte sich der Verlorene an unser Amt, und Sir Juffin und ich halfen ihm, sein armes Volk ausfindig zu machen. Und zum Abschied gab Sir Lonely-Lokley ihm ein paar kurze, aber gehaltvolle Benimmregeln mit, was sein Verhalten an seiner künftigen Arbeitsstelle anging.

Ich erwachte für meine Verhältnisse sehr früh, nämlich schon vormittags, und beschloss, mich lange und sorgfältig herauszuputzen, da ich am Abend offiziell meinen Dienst antreten würde. Dazu ging ich nach unten und legte mich nacheinander in alle drei Badewannen. Drei sind besser als eine - da beißt die Maus keinen Faden ab! Und viel hübscher als elf sind drei natürlich auch, wenn ich mir diese Spitze gegen unsere hauptstädtischen Snobs - allen voran Sir Juffin Halli - erlauben darf.

Endlich hatte ich Zeit für den Vorratskorb aus dem Fressfass. Zum Glück enthielt er einen Krug Kamra, den ich mir gleich aufwärmen konnte. Dieses Getränk ließ mich alles vergessen, was ich je gekocht hatte. Sir Juffin hatte schon überlegt, von mir zubereitete Kamra zur Einschüchterung gefährlicher Verbrecher einzusetzen. Allerdings bremste ihn, dass diese Methode als äußerst grausam gelten würde.

Ich erwärmte die Kamra auf einem kleinen Kohleofen, der zur unerlässlichen Ausstattung jedes Wohnzimmers gehörte. Der Morgen war herrlich! Es gelang mir sogar, meine am Vortag gestopfte Pfeife anzuzünden. Na bitte - ich schaffte alles! Selbst der seltsame Beigeschmack des hiesigen Tabaks konnte mir die optimistische Stimmung nicht rauben.

Zur Arbeit ging ich zu Fuß, um aller Welt meinen neuen, dunkel gemusterten Mantel und meinen schwarzen Turban zu zeigen, der aus mir - einem ganz normalen Menschen - einen exotischen Schönling machte. Leider begeisterte sich niemand außer mir an diesem Anblick. Die Leute waren mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt oder sahen verträumt in die Vitrinen luxuriöser Altstadtgeschäfte. Ich erntete keine bewundernden Blicke, und es gab keine Schönheit, die bereit gewesen wäre, sich mir an den Hals zu werfen. Typisch!

Ich bog in die Straße der Kupferkessel ein und erreichte kurz darauf zum ersten Mal die ersehnte Geheimtür, die ins Haus an der Brücke führte. Bisher hatte ich sie nicht benutzen dürfen, sondern Juffins Dienststelle durch den Besuchereingang betreten müssen.

Über einen kurzen Korridor gelangte ich in den Teil des Gebäudes, in dem der Kleine Geheime Suchtrupp - meine Einheit also - untergebracht war. Die andere Hälfte des Baus gehörte zur Stadtpolizei von Echo, die unter dem Befehl von Sir Bubuta Boch stand, von dem ich noch nichts Gutes gehört hatte. Ich passierte ein großes leeres Empfangszimmer, in dem ein Beamter friedlich döste, und gelangte in den Saal der allgemeinen Arbeit, wo ich Sir Lonely-Lokley antraf. Konzentriert notierte er etwas in ein dickes Heft und machte dazu ein betrübtes Gesicht. Diese Schreiberei! Wozu hat man hier denn Tafeln, die sich von selbst beschriften, und kluge Buriwuche, die jedes Wort speichern?

Meine Sorge um Sir Schürf Lonely-Lokley erwies sich jedoch als unbegründet. Er führte bloß sein persönliches Arbeitstagebuch. Ich wollte ihn nicht von dieser freiwilligen bürokratischen Fronarbeit ablenken und ging in Juffins Büro, das sich als verhältnismäßig kleines und sehr angenehmes Zimmer erwies.

Der Ehrwürdige Leiter saß am Schreibtisch und wäre bei dem Versuch, Lady Melamori abzukanzeln, fast vor Lachen erstickt. Sie saß ihm mit der Miene einer so bescheidenen wie verstockten Gymnasiastin gegenüber.

» Da bist du ja, Max! Hier deine erste Aufgabe: Zieh los und begeh einen furchtbaren Mord! Das Nichtstun macht die Leute hier richtig verrückt. Weißt du, was die erste und gegenwärtig einzige Lady unseres Suchtrupps getan hat? Sie ist Kapitän Fuflos - dem Stellvertreter, Schwager und Seelenverwandten von General Bubuta Boch - auf die Spur getreten. Prompt hat ihm das arme Herz wehgetan, und schreckliche Ahnungen haben ihn gequält. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er sich mit den Grundfragen des Daseins beschäftigt, doch das hat ihm keine Freude gemacht. Die Intelligenz eines jungen Leutnants namens Kamschi hat Fuflos vor dem Selbstmord gerettet. Der gequälte Kapitän ist auf sein Gut gefahren, um wieder zu Kräften zu kommen, und der Leutnant war gezwungen, mir die Abwesenheit seines Kapitäns anzuzeigen! Kaum zu glauben, aber auf solche Leute sind sie bei der Stadtpolizei angewiesen! Es wäre besser, General Bubutas Stelle mit Leutnant Kamschi zu besetzen. Du lachst, Max?«

»Sie doch auch, Sir! Machen Sie sich Luft, sonst platzen Sie noch.«

Juffin winkte ab, folgte meinem Rat aber. Melamori sah uns fast vorwurfsvoll an. Was mochte das zu bedeuten haben? Da hatte sie einen schweren Fehler begangen, und wir kicherten!

»Was soll ich mit Ihnen machen, Lady? Sie haben Glück, dass Kamschi Ihnen anscheinend oft nachschaut. Stellen Sie sich vor, was es für einen Lärm gegeben hätte, wenn er sich mehr um die Gesetze und um die Gesundheit seines Chefs gekümmert hätte.«

»Aber indem ich Kapitän Fuflos auf die Spur getreten bin, hab ich doch nur bewiesen, dass er ein Verbrecher ist«, sagte Melamori rasch und lächelte uns unwiderstehlich an. »Damit müssten Sie doch zufrieden sein!«

»Seien Sie unbesorgt - ich habe auch ohne Ihre Hilfe genug Freude am Leben. Weil das lange Nichtstun Sie verrückt gemacht hat, gehen Sie für drei Tage ins Cholomi-Gefängnis und helfen dem Kommandanten dort beim Durchforsten des Archivs. Sie sind für solche Aufgaben ideal, denn Ihre Familie hat viel Erfahrung, was Geheimnisse anlangt. Wenn hier was passiert, sag ich Ihnen gleich Bescheid. Jetzt flehen Sie die Dunklen Magister um ein blutiges Verbrechen an, und denken Sie daran, ein Präsent für Sir Kamschi mitzunehmen. Schenken Sie ihm etwas aus dem Vorratskeller Ihres Großvaters Kima. Das verpflichtet ihn zu nichts, übertrifft aber seine kühnsten Erwartungen. Und jetzt ab ins Gefängnis!«

Lady Melamori rollte die Augen wie eine Märtyrerin. »Sehen Sie, Sir Max? Diese Dienststelle ist das Bollwerk der Tyrannei! Wegen eines harmlosen Scherzes gleich drei Tage nach Cholomi zu müssen!«

»Tyrannei?«, fragte Sir Juffin und lächelte tückisch. »Der alte Kommandant wird Ihnen einen königlichen Empfang bereiten. Seinen Koch kennen Sie noch nicht, oder?«

»Natürlich kenne ich ihn! Nur seinetwegen habe ich in diesem Büro noch kein Gift geschluckt.« Melamori geriet ins Stocken und fügte schuldbewusst hinzu: »Sir Juffin, ich bitte um Verzeihung! Fuflos ist einfach ein solcher Dummkopf, dass ich mich nicht habe beherrschen können.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, meinte Juffin und kicherte erneut.

Ich hatte das Gefühl, Lady Melamori wäre straflos ausgegangen, wenn sie ein wenig dreister gewesen wäre.

Bevor die schöne Verbrecherin mit dem Dienst-A-Mobil nach Cholomi fuhr, flüsterte sie mir im Vorbeigehen zu, sie sei nicht immer so. Das glaubte ich nur zu gern.

»Nun, Max«, begann Juffin gelangweilt, »heute muss ich dir mein offizielles Gesicht zeigen. Aber zuerst stelle ich dir Kurusch vor.«

Die Geschichte des Verbrechens von Lady Melamori hatte mich so beschäftigt, dass ich den eulenartigen Vogel, der mit wichtiger Miene auf der Rückenlehne eines Stuhls saß, erst jetzt bemerkte. Der Buriwuch - denn um einen solchen handelte es sich - sah mich lange und aufmerksam an.