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Trotz der widrigen Umstände war es schön, wieder zu Hause zu sein. Die Sonne schimmerte durch zartbitterschokoladenbraune Vorhänge, die ich gekauft hatte, um das grelle Tageslicht ins warme Halbdunkel einer Unterwassergrotte zu verwandeln. In erster Linie dienten sie dazu, mich vor dem ekelhaften Anblick des Nachbarhauses zu bewahren. Dies war schon kurz nach meinem Einzug Leitlinie beim Einrichten der Wohnung geworden.

Juffins Anwesenheit hatte einige Spuren hinterlassen: Im Wohnzimmer standen eine schmutzige Tasse und ein Krug Kamra, und im Schlafzimmer waren Kissen und Decken in entgegengesetzte Ecken der riesigen Matratze gewandert. Außerdem hatte Juffin die Bibliothek am Kopfende meines Bettes zensiert und Bücher, die ihm nicht genehm waren, im Zimmer verstreut. Ein seltsamer Gedankensprung ließ mich bei diesem Anblick feststellen, ich brauchte dringend eine Katze, und ich nahm mir vor, mir eine anzuschaffen, wenn dieses Abenteuer überstanden wäre.

»He, Max«, schreckte mich Juffin per Stummer Rede aus meinen Gedanken. »Vergiss nicht, dein Armband anzulegen.«

Ich sprang wie angestochen auf. Sündige Magister! Wer hätte das gedacht: Ich hatte tatsächlich vergessen, meinen Talisman überzustreifen. Dabei war mir eben noch sonnenklar gewesen, wie leichtsinnig das wäre! Ohne zu zögern, schob ich das Armband übers Handgelenk.

»Außerdem hattest du recht, Max. Du konntest auf alles achten, nur nicht auf deine Sicherheit, denn das Amulett war perfekt blockiert - auf sehr interessante Weise übrigens. Schade nur, dass du meine Erklärungen im Moment nicht so richtig verstehen kannst. Wir sind wirklich auf ein außerordentliches Geschöpf gestoßen. Na schön. Überleg doch mal, ob du noch andere Amulette hast. Also Dinge, die du sehr magst. Oder Sachen, mit denen du dich wohl fühlst - wie ein Kind mit seinem Lieblingsspielzeug. Wenn du so was findest, bedeck dich damit von Kopf bis Fuß. Das kann nicht schaden, und wer weiß, wie sehr dir diese weichen Amulette nützen. Und streng dich nicht so an, wenn du mich per Stummer Rede rufst. Ich bin immer für dich da, sehe und höre alles und hab die Lage unter Kontrolle. Du kannst also deine Schwäche zeigen. Wie hast du gestern Abend gesagt? finde? Also Schluss mit unserem Gespräch.«

Ich versank in Gedanken. Amulette? Welche Amulette mochte ich haben? Die Handcremedose aus dem Schlafzimmer von Sir Makluk-Olli vielleicht, meine erste »Beute«! Ich hatte sie aus dem Zimmer gerettet, in dem sie nicht hatte bleiben wollen, und spürte nun wirklich, dass sie Sympathie für mich empfand. Rasch legte ich meine kleine Freundin neben das Kopfkissen.

Und sonst? Wie es schien, besaß ich weiter keinen Talisman. Aber das Kind der Purpurroten Perle, das Geschenk des Königs, konnte eigentlich auch als Amulett gelten. Genau wie der dritte Band der Enzyklopädie der Welt von Sir Manga Melifaro. Ich hatte mich daran gewöhnt, mit diesem Buch einzuschlafen wie ein Kind mit einem Kuscheltier.

Nachdem ich meine bescheidene Barrikade gebaut und mich noch mal vergewissert hatte, das Armband zu tragen, ging ich zu Bett. Kaum hatte ich begonnen, in einem Buch zu blättern, fühlte ich mich hundemüde. Und das, obwohl ich fest überzeugt gewesen war, unser heutiges Experiment müsste aus technischen Gründen ausfallen, also weil ich vor Angst und Anspannung kein Auge würde zutun können. Nun aber fühlte ich mich im Gegenteil so sicher und entspannt, als habe mir jemand Schlafund Beruhigungsmittel verabreicht. Freddy Krueger vom Nachbarhaus gab sich offenbar alle Mühe, dass sein Opfer keinen Widerstand leistete. »Ich muss Juffin einiges fragen«, dachte ich im Halbschlaf. »Aber wozu eigentlich? Es ist sowieso alles klar.«

Diesmal kam mir mein Alptraum nicht so eklig vor. Ich verstand sehr gut, was ich träumte, und wusste, wer ich war, warum ich mich hier befand, worauf ich wartete und so weiter. Juffins Anwesenheit spürte ich zwar nicht, aber ich wusste um seine Gegenwart.

So träumte ich erneut, wie ein herrlich angerichteter Braten auf einem Büfett zu liegen. Meine Vorhänge waren von fremder Hand geöffnet worden, und nichts konnte mich vor dem Anblick des Nachbarhauses schützen. Mein Herz bebte vor Abscheu, als ich merkte, wie eine unsichtbare Hand mir schmerzhafte Muskelspritzen injizierte, doch ich hatte Kraft genug zum Widerstand und wurde erstaunlicherweise sogar wütend.

Natürlich konnte mir der Ärger allein nicht helfen, doch wer mochte wissen, was als Nächstes passieren würde! Auf alle Fälle packte ich diese Wut am Schopf, weil sie keine schlechte Alternative zur Angst war.

Irgendeine böse Kraft erlaubte mir nicht, ruhig in meinem Haus zu schlafen, für das ich doch Miete bezahlt hatte! Irgendein dämonisches Scheusal störte mich beim Ausruhen, und statt klarer Alpträume lagen mir vage Schreckensbilder bedrückend auf der Seele. Doch ich versuchte, mich gegen den Ansturm dämonischer Kräfte zu behaupten, so gut es ging.

»Prima, Max«, drang Juffins Stumme Rede in meinen inneren Kampf. »Du machst das wirklich gut, und es funktioniert! Jetzt versuch, ein wenig erschrocken zu sein. Deine Angst ist das beste Lockmittel. Wenn du keine Angst hast, lässt die seltsame Kraft dich und alles andere womöglich in Ruhe. Doch wir müssen das Geschöpf aus seiner Höhle locken. Tu darum so, als würdest du aufgeben.«

Das war leichter gesagt als getan! In diesem Moment hätte ich lieber alles um mich herum in Trümmer geschlagen. Mein Zorn war so groß, dass ich die widerliche Erstarrung, die mich zum schwächsten Geschöpf des Weltalls hatte werden lassen, beinahe überwunden hätte.

Eines aber war gut: Schon der Wunsch, erschrocken zu sein, führte dazu, dass alle Gespenster aus den weiten Regionen des Alptraums sich diensteifrig um mich versammelten. Ich brauchte mich bloß auf das dunkle Fensterdreieck des Nachbarhauses und den schmalen Sandpfad zu konzentrieren, der von dort seinen Ausgang nahm, und schon verwandelte sich mein Zorn in fast panische Angst. Um des Experiments, aber auch um meines psychischen Wohlergehens willen versuchte ich, wieder zornig zu werden. Und es klappte erneut! Die Möglichkeit, meine Stimmung im Handumdrehen zu wechseln, half mir sehr, denn so musste ich mich nicht auf einen der beiden üblen Zustände festlegen, konnte also ständig zwischen Angst und Zorn lavieren. Welch verführerische Alternative!

Letztendlich schaffte ich es, ein labiles Gleichgewicht zu erreichen: Ich hatte zwar Angst, doch sie ergriff mich nicht vollständig; ich war zwar zornig, vergaß dabei aber nicht meine Hilflosigkeit.

Dann kam wieder eine Hand voll Sand aus der Dunkelheit. Und wieder. Und wieder. Der schmale Pfad zwischen unseren Fenstern war jetzt viel länger als zuvor, und eine Ewigkeit schien vergangen. Dann protestierte mein Herz. Damit war ich völlig einverstanden. Zwar hätte ich weiterschlafen können, doch ich wollte nicht bis zum nächsten Tag warten, denn dann würden die Alpträume von neuem beginnen. Juffin wollte unbedingt einen Blick auf das Wirken des merkwürdigen Geschöpfs werfen. Ich beschloss, ihm dieses Vergnügen zu ermöglichen. Ich würde leiden, so viel ich konnte, und sogar ein wenig mehr. Wie bei einem Zahnarztbesuch.

Als sich der Sandpfad langsam durchs offene Fenster meinem Tisch näherte, auf dem sich ein hilfloser Haufen Angst und Ärger namens Max befand, spürte ich Erleichterung. Die Lösung des Rätsels rückte heran. Und wirklich: Am Fenster gegenüber erschien eine dunkle Silhouette, betrat den Sandpfad und näherte sich Schritt für Schritt. Es handelte sich um einen Mann mittleren Alters mit unauffälligen Gesichtszügen und leer glänzendem Blick.

Plötzlich begriff ich, dass ich keine Kontrolle mehr über die Situation hatte. Und zwar nicht, weil alles so schnell unheimlich geworden oder das Geschöpf kein Mensch gewesen wäre - beides hätte ich verkraften können. Doch zwischen uns gab es eine Verbindung, und das war schlimmer als all meine Ängste und Seelenqualen. Plötzlich merkte ich, dass eine Substanz aus meinem Körper floss. Es war kein Blut, sondern etwas Unsichtbares, doch mir war klar: Ein Weiterleben ohne diese Substanz war undenkbar.