Etwas schnürte mir die Kehle zu - nicht stark, aber stark genug, damit ich wieder einschlief. Doch mein Armband, über dessen Vorzüge Sir Juffin so viel geredet hatte, arbeitete merklich und vor allem rechtzeitig. Hätte es auch nur eine Sekunde später zu wirken begonnen, wäre ich womöglich nicht mehr aufgewacht.
Ich nahm die Beine vom Tisch und wunderte mich über gar nichts mehr. Ein Flügel des breit geöffneten Fensters quietschte kläglich im Wind. Ich schloss das Fenster und zog erleichtert die Vorhänge zu. Mein Körper gab mir zu verstehen, er habe nichts dagegen, wieder in Ohnmacht zu fallen. Ich drohte ihm mit der Faust: Wehe, du wagst es!
»Guten Tag, Max«, hörte ich Juffin sagen, und seine angenehme Stimme war meiner Seele eine Labsal. »Du warst sehr gut, mein Junge! Wirklich! Glückwunsch - dein unangenehmes Abenteuer ist überstanden. Jetzt wissen wir alles Nötige, und der Showdown ist nah. Brot und Kachar-Balsam werden heute dein Hauptgericht sein. Raus aus den Federn und auf zu mir! Verstanden?«
»Verstanden. Ende«, gab ich automatisch zurück und kroch rüber ins Schlafzimmer. Fünf Minuten später hüpfte ich beinahe ins Bad und war - dem kräftigsten Getränk der Welt, dem Kachar-Balsam, sei Dank! - wieder unter den Lebenden.
Plötzlich begriff ich den Sinn von Juffins Bemerkung: »Glückwunsch - dein unangenehmes Abenteuer ist überstanden.« Ich hatte es hinter mir! Was auch passieren würde - diesen Alptraum musste ich nie mehr erleiden. Sündige Magister! Was braucht der Mensch mehr, um glücklich zu sein?
Auf dem Weg zur Arbeit entschied ich, dem Menschen fehle zu seinem Glück noch ein Frühstück. Im Gesättigten Skelett zum Beispiel. Also bog ich kurzerhand ins warme Halbdunkel des Lokals. Sir Juffin verlangte von seinen Untergebenen nie zu hungern - auch nicht in dienstlichen Angelegenheiten.
Im Haus an der Brücke drängten sich viel mehr Menschen als sonst. Sir Lonely-Lokley machte sich in seinem dicken Heft Notizen und saß so unbequem auf der Kante seines Stuhls, dass es schon wehtat, ihm nur dabei zuzusehen. Sir Melifaro, der gerade vom Gut seiner Familie zurückgekehrt war, hüpfte wie ein Springteufel herum und rief, der bedeutendste illegitim geborene Prinz sei gekommen, und er sei überglücklich, sich in den Strahlen meines Ruhms sonnen zu dürfen. Ich kam zu dem Schluss, der Arme habe einen Stich. Dann begriff ich, dass er das Geschenk des Königs meinte, in dessen Besitz ich seit drei Tagen, nein, schon seit einer Ewigkeit war. Nächtliche Alpträume können wirklich jeden fertigmachen, und auch für mich war das alles zu viel gewesen. Kein Wunder, dass ich kurzzeitig die Übersicht verloren hatte. Kaum aber hatte ich mich gefangen, drohte ich meinem Tagesantlitz mit der Faust, ließ seinem Vater Grüße ausrichten und ging schnurstracks zu Juffin.
In seinem Büro traf ich auf Lady Melamori, die für jemanden, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war, entschieden zu schlechte Laune hatte.
»Gut, dass du so schnell gekommen bist, Max! Unsere Arbeit muss noch ein wenig warten, denn wir haben hier - wenn ich so sagen darf - familiäre Ungelegenheiten. Ich rufe die Übrigen gleich dazu.«
»Familiäre Ungelegenheiten? Was soll das denn sein?«, staunte ich.
»Ich bin bestohlen worden«, klagte Lady Melamori. »Als ich wieder nach Hause kam, war alles durcheinandergeworfen und durchwühlt. Wie kränkend das ist! Als ich in den Dienst des Geheimen Suchtrupps eintrat, war ich fest überzeugt, so etwas würde mir erspart bleiben ...«
»Aber wo ist das Problem, Lady? «, fragte ich errötend. »Treten Sie dem Schurken doch einfach auf die Spur, und der Fall ist gelöst.«
»Aber es gibt keine Spur! Ich habe den Eindruck, meine Sachen sind von allein verschwunden.«
»Ich hab immer gesagt, das einsame Leben ist nicht gut für unsere kleine hübsche Lady Melamori«, bemerkte Sir Melifaro von der Tür her. »Wäre ich in Ihrem Schlafzimmer gewesen, Unvergessliche, dann wäre nichts passiert!«
»Ich kauf mir einen Hund«, entgegnete Lady Melamori lächelnd, und ihre Grübchen kamen zum Vorschein. »Der kann genauso gut aufpassen und frisst weniger. Angeblich versteht er sogar die Sprache der Menschen - im Gegensatz zu Ihnen.«
Sir Lonely-Lokley ließ Sir Kofa höflich den Vortritt. Alle bis auf Lukfi waren bereits versammelt, doch ihn brauchte man in solchen Fällen anscheinend nicht, denn seine Arbeit im Großen Archiv hatte keinen Bezug zu unserer Tätigkeit.
»Na, meine Herrschaften - wollt ihr eine Neuigkeit hören?«, fragte Sir Juffin und ließ einen musternden Blick über uns schweifen. »Wir stecken in der Klemme! Ich hoffe, ihr alle seid der Meinung, dass Lady Melamori ihren Kram zurückbekommen soll. Sie ist zwar etwas verärgert, was unsere Laune nicht gerade hebt, doch die ganze Stadt wartet gespannt auf die Heldentaten unseres Suchtrupps. Ich weiß, Lady Melamori, dass Sie noch niemandem von dem Diebstahl erzählt haben, doch in Echo gibt es viele preiswerte Hellseher! Melifaro, diese Sache fällt in dein Ressort. Tu, was du für richtig hältst.
Max und ich müssen uns mit einer anderen dringenden Angelegenheit herumschlagen.«
Melifaro hatte sich schon Lady Melamoris Lehnstuhl genähert. Missvergnügt bemerkte ich, dass sie ihr Näschen in seinen Oberarm bohrte.
»Das vollständige Verzeichnis aller gestohlenen Sachen, bitte, meine Liebe«, säuselte Melifaro und zupfte vertraulich am Pony seiner Kollegin.
»Achtunddreißig Ringe, alle mit dem Familienwappen der Blimms auf der Innenseite; Geld - ich weiß nicht, wie viel, aber jede Menge, tausend Kronen, denke ich; acht Halsketten mit unserem Wappen auf dem Verschluss. Meine Verwandten kennzeichnen ihren Schmuck. Ich hab sie deswegen immer ausgelacht, doch jetzt ist mir klar, dass das eigentlich eine kluge Vorsichtsmaßnahme ist. Ich glaube, das war's. Die Diebe haben keinen einzigen Talisman mitgenommen. Ach, das hätte ich fast vergessen: Die Puppe, die du mir am Tag der Jahresmitte geschenkt hast, haben sie auch gestohlen. «
Melifaro runzelte die Stirn. »Die schöne Puppe! Sie war so ein hübsches Spielzeug! Merkwürdig, dass die Diebe ausgerechnet sie mitgenommen haben. Die übrigen Sachen mitgehen zu lassen, ist dagegen nur zu verständlich. Sir Juffin, würden Sie uns vielleicht mit Kamra bewirten, da wir inzwischen vollzählig versammelt sind? Dann könnten wir gemeinsam über den Fall nachdenken und diskutieren. So ganz allein in meinem Dorf hab ich mich nämlich furchtbar gelangweilt. Ihre wichtige Sache kann doch bestimmt eine halbe Stunde warten, oder?«
»Ein halbes Stündchen kann jede Sache warten - bis auf die Dinge, von denen General Bubuta Boch so gern erzählt. Also gut, dann bestelle ich für uns alle einen großen Krug Kamra aus dem Fressfass, aber du musst dich dafür durch größeren Einsatz revanchieren, Melifaro.«
»Warum das denn? Juffin, merken Sie nicht, dass das der Gipfel der Idiotie ist: Erst stiehlt man das Kleinste und Kostbarste, was sich in der Tasche eines Lochimantels nur transportieren lässt, und dann nimmt man eine Puppe mit, die so groß ist wie ein dreijähriges Kind. Die war natürlich nicht billig, aber warum lässt man dann nicht auch gleich das Geschirr und einen Sessel aus dem Salon mitgehen? Der wäre sogar noch teurer als die Puppe gewesen.« Melifaro entfernte sich vom Sessel der Lady und hockte sich neben der Armlehne seines Chefs nieder, der dadurch gezwungen war, seinem Mitarbeiter auf den Kopf zu sehen.
»Du verbeißt dich in die Frage, warum ausgerechnet die Puppe gestohlen wurde. Dafür hast du schon die erste Portion Kamra verdient.«
»Verdient hab ich sie allein, doch trinken tun wir sie zusammen. Aber egal! Sir Kofa, wer von unseren wackeren Stadtpolizisten steht im Moment an erster Stelle des Weißen Blättchens?«
»Sir Kamschi, aber der ist gegenwärtig nicht im Büro. Versuch mal, Leutnant Schichola zu erreichen. Der steht auf Platz vier und beschäftigt sich obendrein mit Wohnungseinbrüchen.«