»Zu den Magistern mit dir, Max! Ich hab Lonely- Lokley gerade per Stummer Rede gesagt, er soll die restlichen Männchen fangen.«
»Die restlichen Männchen!?«
»Zwölf sind mir schon entkommen. Auch Dschuba ist die Flucht gelungen. Aber was ihn anlangt, mache ich mir keine Sorgen: Männer, die ihr keine Aufmerksamkeit schenken, mag unsere Lady Melamori nicht. Solche Typen findet sie sogar noch unter der Erdoberfläche.«
»Was sind diese Zwerge eigentlich für Missgeburten? Kannst du mir das erklären, mein Gnom-Bezwinger?«
»Wieso Missgeburten? Die sind doch ganz nett! Schau sie dir nur mal genau an!«, meinte Melifaro und reichte mir den kleinen Kopf, den er vom Rumpf des letzten Männchens getrennt hatte. Ich verzog vor Ekel die Miene, doch dann merkte ich, dass er aus Holz war. Er hatte wirklich ein hübsches Gesicht - sündige Magister!
»Ist das eine Puppe? So eine, wie du sie Lady Melamori geschenkt hast?«
»Ja. Davon gab es mindestens zwölf, doch irgendwann sind sie fuchsteufelswild geworden. Als wir kamen, wollten sie Dschuba umbringen oder ihn wenigstens bis in alle Ewigkeit verfluchen. Es war eine Qual, den Armen auch nur anzusehen.«
»Gehen wir, Jungs«, unterbrach Juffin unser nettes Gespräch. »Wir sind Sir Schürf natürlich nicht ebenbürtig, aber jeder soll tun, was in seiner Macht steht. Wo ist eigentlich unser tapferer Sir Schichola? Ist er etwa desertiert?«
»Beinahe ... Ach was, kleiner Scherz. Er hat nur Verstärkung angefordert und springt inzwischen an der Spitze einer großen Polizeieinheit von einem Dach aufs andere. Ich hoffe, sie haben mindestens ein paar Puppen eingefangen. Helfen Sie mir bitte, Juffin - ich bin heute einfach nicht in Form.«
Gebannt verfolgte ich, wie Sir Juffin mit den Fingerspitzen über Melifaros zerstochene Hände strich. Der Arme verzerrte leidend das Gesicht.
»Das ist nichts Ernstes. Mit meinem Magen steht es schlimmer.«
»Ach so«, meinte Juffin und fuhr mit den Händen dorthin, wo Melifaros grellgelber Mantel einen purpurroten Fleck hatte. »Na so was, mein Junge. Was wollten diese hirnlosen Geschöpfe denn mit deinem Bauch? Und da kannst du immer noch stehen? Respekt! Na ja, diese Wunde hab ich jetzt auch repariert. Du hast wirklich Glück gehabt, dass sie so hoch gesprungen sind ... Wenn sie sich etwas weiter unten verbissen hätten, hätte ich dich nicht so leicht wieder zusammenflicken können.«
»Ihnen wünsche ich einen Vampir an den Hals, Juffin. Halten Sie das für einen guten Witz?«
»Jedenfalls ist er nicht schlechter als deine. Na schön. Gehen wir.«
Kaum waren wir wieder auf der Straße, schien es, als ginge die Welt unter. Ein kleiner Knirps humpelte winselnd an mir vorbei. Entsetzt stellte ich fest, dass ihm mit fast unhörbarem Zischen eine kleine Figur nachtrippelte, die in der Dämmerung so sehr einer Ratte ähnelte, dass ich mich beinahe zu einer Heldentat aufgerafft hätte. Ich beugte mich vor, packte eins der kleinen, eleganten Beine des Geschöpfs, stöhnte leise vor Angst und schleuderte das Wesen mit aller Kraft aufs Straßenpflaster. Gleich zerbrach die Puppe in tausend Stücke.
»Geht man so in den Leeren Ländern mit ungehorsamen Jungs um?«, fragte Melifaro mit spöttischer Ehrerbietung. »Schauen wir mal, wen wir noch fertigmachen können. Na los!«
Aber wir kamen nicht weit. Kaum hatten wir begonnen, uns das Stadtviertel vorzuknöpfen, trafen wir schon auf Sir Lonely-Lokley, der ein wenig müde und sehr friedlich gestimmt war. Sein schneeweißer Lochimantel sah tadellos aus.
»Das war's schon«, verkündete er. »Ich hab die Polizisten gerade angewiesen, die Anwohner zu beruhigen. Es gibt keine Puppen mehr.«
»Wirklich nicht?«, hätte ich ihn beinahe gefragt, konnte mich aber gerade noch rechtzeitig bremsen. Wenn Schürf Lonely-Lokley so etwas sagte, dann war es auch so. Höchste Zeit, dass ich mir das endlich merkte.
»Ausgezeichnet. Vielen Dank für Ihre schnelle Hilfe, Sir Schürf. Ich freue mich schon seit anderthalb Stunden auf eine Tasse Kamra«, gähnte Juffin.
»Deshalb hab ich mich ja so beeilt, Sir«, versetzte Schürf.
Hätte ich Lonely-Lokley weniger gut gekannt, hätte ich schwören können, er habe das ironisch gemeint.
Wir gingen zu unserem A-Mobil. Unterwegs vernahmen wir ein exaltiertes Gebrüll, das mir bekannt vorkam.
»So ein Schreihals gehört in den Schweinestall!«, rief Sir Juffin.
»Was ist denn los? Hat Bubuta sich etwa entschlossen, die Aktion zu übernehmen?«, wunderte ich mich.
»Natürlich«, meinte Juffin und loderte vor Zorn. »Schließlich geht es um etwas Wichtiges! Um die Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung und so weiter. Du glaubst doch wohl nicht, Bubuta ließe sich eine Gelegenheit entgehen zu glänzen! Gönn es ihm, das Schwert zu zücken und damit herumzufuchteln! Das ist schließlich alles, was er kann. Schade, dass er die Leitung übernimmt! Wenigstens hat ihn eine Puppe gebissen!«
»Nein, Sir«, meinte Lonely-Lokley melancholisch, »das war keine Puppe. Mit General Bubuta Boch ist auch Kapitän Fuflos gekommen. Wie alle wissen, ist er ein sehr gehorsamer Soldat. Wenn er den Befehl bekäme, um die Ecke zu schießen, täte er sogar das.«
Juffin und Melifaro tauschten einen Blick und lächelten kurz.
»Kapitän Fuflos ist der schlechteste Schütze weit und breit«, erklärte mir Juffin mit halbem Lächeln. »Wenn er sich auf den Boden wirft, springt sein Gewehr in den Himmel.«
Nach dieser Bemerkung wandte er sich an Lonely- Lokley. »Was ist eigentlich genau passiert?«
»Die Schüsse von Kapitän Fuflos sind von der Mauer abgeprallt und haben General Bubuta Boch verletzt. Die Wunde ist zwar nicht gefährlich, aber äußerst lästig. Ich fürchte, er wird in nächster Zeit Probleme haben, sich zu setzen.«
Kaum hatte ich das gehört, fiel ich ins Lachen meiner Kollegen ein.
Als ich wieder am Steuer des A-Mobils saß, wurde mir klar, dass auch ich endlich eine Tasse Kamra trinken wollte. Also raste ich noch schneller als sonst zum Haus an der Brücke zurück. Der Wagen flog beinahe über die Straße.
Wenn es einen gab, dem die Fahrt außer mir noch Spaß gemacht hat, dann Melifaro. Jedenfalls musste ich ihm versprechen, ihm in unserer Freizeit Einblick ins Geheimnis der Geschwindigkeit zu gewähren. Doch was für ein Geheimnis sollte das überhaupt sein?
Ich bin vielleicht gut! Da lache ich über Kapitän Fuflos und kann selbst kein Gewehr bedienen, dachte ich plötzlich. Ich weiß nicht mal, wie es überhaupt funktioniert.
Juffin hatte meinen inneren Monolog gehört und beruhigte mich per Stummer Rede: »Wenn du willst, kannst du den Umgang mit dem Gewehr nach der Arbeit ein wenig üben. Aber vergiss nicht, dass wir vom Geheimen Suchtrupp den Umgang mit diesem Gerümpel für unter unserer Würde halten. Bei diesem Tempo solltest du allerdings vor allem auf den Weg achten, kapiert?«
Im Haus an der Brücke erwartete uns eine überaus angenehme Überraschung. Im Saal der allgemeinen Arbeit thronte die zerstreute, aber glückliche Lady Melamori.
Vor ihr lag ein weißblonder Hüne, dessen muskulösen Hals sie mit energisch aufgestützten Füßen auf die zerkratzten Treppenstufen drückte. Sein Gesicht war vor Atemnot puterrot angelaufen. Wäre ich. Schnellrichter gewesen, hätte ich entschieden, diese peinigende Lage sei für den armen Mann Strafe genug.
»Übernehmen Sie das Verhör und protokollieren Sie alles, Sir Melifaro!«, zwitscherte Lady Melamori vergnügt. »Ich sitze hier schon seit einer Stunde mit ihm herum.«
»Daran sind Sie selber schuld. Sie hätten eine weniger affektierte Pose annehmen sollen. Wir halten ohnehin sehr viel von Ihnen«, meinte Juffin leichthin. »Schleppt dieses Scheusal in Melifaros Arbeitszimmer. Ich ertrage seinen Anblick nicht. Solche Hände und eine solche Begabung zu haben und damit so viel Unheil anzurichten! Woran hat das eigentlich gelegen, du Genie? Hast du zu wenig verdient, um dir eine Tasse Kamra leisten zu können? «