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Frischgebackene Liebespaare verlassen den Stadtteil, gehen nach Hause oder in ein Gasthaus und versuchen, aus ihrer zufälligen Begegnung möglichst viel Vergnügen zu schlagen. Und am nächsten Morgen trennen sie sich für immer. Das ist eine unerlässliche Bedingung ihrer Begegnung.

Soweit ich begriffen habe, kontrolliert niemand, ob die Paare sich am Morgen tatsächlich für immer trennen. Und niemand bestraft die, die sich dieser Bedingung verweigern. Meinen Vorschlag, man könne die zufällige Begegnung im Stadtteil Rendezvous ja in Eigeninitiative aufs Herrlichste verlängern, quittierte Melifaro mit einer Grimasse erschrockener Ablehnung - als hätte ich von den Vorzügen sodomitischer Nekrophilie geschwärmt und ihm freundlicherweise vorgeschlagen, mich zum nächsten Tierfriedhof zu begleiten.

»Mach nie solche Witze«-, riet er mir ernst. »Weder bei Fremden noch bei Leuten, die du gut kennst.«

Ich wunderte mich, warum mein Freund plötzlich die beleidigte Unschuld spielte, tat seine Vorurteile ab und schusterte mir eine hübsch poetische Erklärung für das ganze Ritual zusammen. Die gegenseitige Zustimmung der Liebenden zur Trennung (so überlegte ich) war eine gute Methode, die »intime Verbindung mit einem zufälligen Partner« - wie das angenehme Ereignis in der furchtbaren Beamtensprache von Echo heißt - mit einem romantischen Nimbus zu umgeben.

Ich saß grübelnd über den Informationen, die ich von Melifaro bekommen hatte, und stellte betrübt fest, wie sehr es mich in den Stadtteil Rendezvous zog. Oje - wie würden meine Knie zittern, was für einen Unsinn würde ich mir zusammenstottern und wie sehr würde ich unter den Achseln schwitzen! Aber im Bett würde ich mich dann hoffentlich von meiner besten Seite zeigen ... Das war wirklich eine ungewöhnliche Art, einander kennenzulernen. Vielleicht wäre mir ja eine vorzeitig gealterte, zahnlose Riesin mit Elefantenbeinen als Partnerin bestimmt. Dann würde ich mich fragen müssen, wie ich bis zum nächsten Morgen überlebe. Also sollte ich vielleicht doch nicht in diesen Stadtteil gehen, sondern mich auf erprobte Methoden des Kennenlernens beschränken, denn diese Methoden verachtete die holde Weiblichkeit ja auch nicht.

Nachdem ich meine Entscheidung getroffen hatte, überlegte ich, wie ich die Zeit totschlagen konnte. Mein einziger möglicher Gesprächspartner - unser Buriwuch Kurusch - hatte den Kopf unter die Federn gesteckt und döste. Also nahm ich ein Buch zur Hand, das Sir Juffin im Sessel vergessen hatte. Es handelte sich um Die Philosophie der Zeit von einem gewissen Sir Sobroch Chesom. Sündige Magister! Wofür sich die Leute so interessieren!

Meine Nacht war übrigens gar nicht angenehm. Nichtstun, fruchtlose Gedanken über den Stadtteil Rendezvous und philosophische Literatur können einen schneller auf die Palme bringen als alle Tricks unserer tollen Verfolgungsmeisterin Lady Melamori.

Der Morgen hingegen brachte eine Veränderung zum Besseren. Sir Kofa Joch unterhielt mich mit ein paar pikanten Anekdoten. Juffin hatte sich entschieden, bis zum Mittagessen daheimzubleiben, meldete sich aber per Stummer Rede bei mir, um Guten Morgen zu sagen. Gleich darauf meldete sich auch Melifaro und bat mich, auf ihn zu warten, damit ständig wenigstens ein leitender Mitarbeiter unserer Behörde im Büro war. Ich erhob keine Einwände, da ich ohnehin nicht nach Hause gehen wollte, ohne Lady Melamori gesehen zu haben. Ich vermutete, sie habe bestimmt ein schlechtes Gewissen, und ich wäre ein Dummkopf gewesen, wenn ich diese günstige Gelegenheit nicht zu nutzen versucht hätte.

Schließlich erschien die Lady. Sie trieb sich ein wenig im Saal der allgemeinen Arbeit herum, machte aber keine Anstalten, mich zu besuchen. Weil die Tür meines Büros einen Spalt weit geöffnet war, konnte ich ein paar Seufzer von ihr hören, die allerdings ein wenig zu laut waren, um natürlich zu wirken. Nachdem ich dieses Konzert richtiggehend genossen hatte, meldete ich mich per Stummer Rede im Fressfass und bestellte Kamra für zwei und viel Gebäck. Binnen Minuten waren die Sachen geliefert. Als der Bote die Tür öffnete, sprang Lady Melamori in eine ferne Ecke des Saals, um nicht in mein Blickfeld zu geraten. Sie hörte das Klirren von Geschirr, und ihr stockte der Atem.

Als der Bote mit leerem Tablett gegangen war, rief ich laut durch die ein wenig geöffnete Tür: »Glauben Sie, ich leide an Persönlichkeitsspaltung, nur weil ich mir ein Tablett mit zwei Krügen Kamra ins Büro bringen lasse? Ich brauche Hilfe, meine Teuerste!«

»Soll der zweite Krug Kamra etwa für mich sein, Sir Max?«

»Ich hatte ihn eigentlich für meine allerliebste Urgroßmutter gedacht, doch die hat heute nicht zu kommen geruht ... Ich bin Ihnen nicht mehr böse, und die Kamra wird allmählich kalt.«

Lady Melamori kam an meine Tür. In ihrer bezaubernden Miene standen zwei einander widerstreitende Gesichtsausdrücke: Schuldbewusstsein und Zufriedenheit.

»Juffin hat Ihnen verraten, dass ich mit Ihnen experimentiert habe. Hätte er doch geschwiegen! Ich bin ohnehin schon diskreditiert genug«, murmelte sie und setzte sich.

»Niemand hat Sie diskreditiert, Lady Melamori. Ich bin bloß nicht so leicht auszuhorchen. Aber nehmen Sie das nicht allzu ernst. Meine kluge Mutter hat immer gesagt, wenn ich jeden Morgen einen Löffel Lebertran trinke, bleibe ich gesund und werde groß, und niemand kann mir auf die Spur treten. Wie Sie sehen, hatte sie recht.«

Mein Herz befahl mir, Lady Melamori gegenüber großzügig zu sein, doch offen gestanden erhoffte ich mir eine klitzekleine Genugtuung. Schließlich war ihre Begeisterung zwar ein ziemlich gefährliches, aber kein schlechtes Gefühl, das mir - ehrlich gesagt - weit besser gefiel als ihre höfliche Gleichgültigkeit. Indifferent nämlich hatte sie mich schon oft behandelt, und darüber wollte ich mir nun keine Gedanken mehr machen müssen.

Meine sorgfältig eingefädelte Aktion traf anscheinend auf das Wohlwollen der ersten Lady unseres Geheimen Suchtrupps. Als sie ihre Kamra ausgetrunken hatte, war sie ausgesprochen fröhlich. Unsere Hände trafen sich mehrmals im Gebäckteller, und das süße Pfötchen von Melamori gab sich keine Mühe, vor meinen Fingern zu fliehen. Irgendwann wurde ich übermütig und schlug ihr vor, demnächst zusammen einen Spaziergang durch das abendliche Echo zu machen. Die Lady räumte ein, sich noch ein wenig vor mir zu ängstigen, versprach aber, von nun an mutiger zu sein - zwar noch nicht heute und auch noch nicht morgen, aber doch schon bald.

Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis sie mir einen genauen Termin nennen würde. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Ich ging sehr glücklich nach Hause. Zwei Stunden wälzte ich mich im Bett herum, ohne meine Begeisterung loswerden zu können, doch schließlich schlief ich zum rhythmischen Schnurren von Armstrong und Ella ein, die sich bei meinen Beinen zusammengerollt hatten. Mein Schlaf dauerte allerdings nicht lange.

In der Mittagszeit weckte mich ein schrecklicher Lärm. Schlaftrunken überlegte ich, ob direkt vor meinem Fenster eine öffentliche Hinrichtung stattfand (was in Echo eigentlich undenkbar ist) oder ob ein Wanderzirkus vorbeizog (was öfter vorkam). Weil ich bei diesem Krach unmöglich weiterschlafen konnte, ging ich nachsehen, was auf der Straße los war. Kaum hatte ich die Haustür geöffnet, begriff ich, dass ich verrückt geworden sein musste - oder träumte.

Vor meinem Haus stand ein Orchester aus zwölf Musikern und spielte eine wehmütige Melodie. Vor den Musikanten stand der prächtige Lonely-Lokley und sang mit klarer Stimme ein trauriges Lied über ein Häuschen in der Steppe. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich verwirrt. Nachdem ich das Ende des Liedes abgewartet hatte, überschüttete ich meinen Kollegen mit Fragen.

»Was ist los, Schürf? Warum sind Sie nicht im Dienst? Sündige Magister - was soll das eigentlich?!«

Lonely-Lokley räusperte sich gelassen. »Stimmt was nicht, Max? Hab ich das falsche Lied ausgesucht?«

»Das Lied war fantastisch, aber ... Na gut, gehen wir ins Wohnzimmer, Schürf. Ich bestelle uns Kamra im Gesättigten Skelett, und Sie erklären mir alles. In Ordnung?« Vor Verwirrung und Verlegenheit wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen.