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»Ich bin ihm vorhin begegnet und hab getan, als wäre ich richtig zornig«, sagte ich bescheiden.

Juffin sah mich überrascht an. »Sündige Magister! Ich werde eine Gehaltserhöhung für dich beantragen. Von mir aus kannst du mehr verdienen als ich. Das bist du schließlich wert.«

Lady Melamori lächelte nicht mal. Eigentlich war der wackere General Bubuta sowieso nie Lieblingszielscheibe ihrer Witze. Ich hatte den Eindruck, sie würde gleich in Tränen ausbrechen, legte ihr die Hand auf die Schulter und wollte etwas Tröstliches sagen, doch das war nicht nötig. Als ich mich zu ihr vorbeugte, begriff ich das selbst. Ich weiß nicht, welche geheimnisvollen Mechanismen da wirkten, doch in diesem Moment wusste ich, was mit Lady Melamori los war. Ich wusste es so genau wie sie. Unsere Verfolgungsmeisterin war tatsächlich bis auf weiteres unbrauchbar. Der misslungene Versuch, mir auf die Spur zu treten, hatte etwas in dem zerbrechlichen Mechanismus ihres gefährlichen Talents entzweigehen lassen. Sie brauchte Zeit, um sich wieder zu fangen. Das ist wie bei der Grippe, die den Bewohnern von Echo zum Glück unbekannt ist: Ob man will oder nicht - die Genesung braucht nun mal einige Zeit. Jetzt ging Lady Melamori zum Tatort, als ginge sie zu einer Hinrichtung, denn sie spürte wahrscheinlich, womit das alles enden würde: mit einer Katastrophe und einer noch tieferen Verunsicherung. Doch sie ging weiter, weil sie nicht gewohnt war, unüberwindliche Hindernisse zu meiden. Es klingt vielleicht dumm, doch ich hätte das Gleiche getan. Diese Frau gefiel mir immer besser.

Per Stummer Rede meldete ich mich bei Juffin. »Lady Melamori darf nicht arbeiten. Sie wäre sowieso zu nichts nutze. Und das weiß sie auch selbst. Warum haben Sie sie überhaupt gerufen? Zu Erziehungszwecken? «

Juffin musterte erst mich, dann Lady Melamori und setzte dann sein breitestes Lächeln auf: »Ab nach Hause, Unvergessliche!«

»Wieso das denn?«

»Das wissen Sie genau. Ihr Talent gehört nicht Ihnen, sondern dem Geheimdienst des Vereinigten Königreichs, und Sie haben jede Situation zu meiden, die diesem Talent schaden kann. Das ist doch eine Binsenweisheit! Und man soll den alten müden Leiter nicht mit privaten Problemen belasten, die er sowieso gleich vergisst. Verstanden?«

»Danke«, hauchte sie. Es fiel mir schwer, sie anzusehen.

»Gute Besserung«, brummte Juffin. »Gehen Sie nach Hause, Lady Melamori. Oder fahren Sie zu Meister Kima, Ihrem Großvater. Der wird Ihre Stimmung aufbessern. In ein paar Tagen sind Sie sicher wieder in Ordnung. Je schneller, desto besser.«

»Und wie wollen Sie den Mörder ohne mich finden?«, fragte sie schuldbewusst.

»Sir Max, die Lady beleidigt uns«, lächelte Juffin. »Sie glaubt, unser Geist sei erloschen, und vermutet, wir beide seien schreckliche Faulenzer, die eine Verfolgungsmeisterin nur begleiten, damit sie für uns die Spur des Mörders findet. Sollen wir nur auf sie sauer sein, oder sollen wir sie gleich umbringen?«

»So hab ich das doch gar nicht gemeint!« Auf dem Gesicht von Lady Melamori erschien ein schwaches Lächeln. »Ich werde mich bessern und bringe euch etwas von meinem Großvater mit. Und ihr verzeiht mir, ja?«

»Ich verzeihe Ihnen gewiss«, murmelte Juffin gedankenverloren. »Aber Sir Max? Sein Zorn ist schrecklich und hat sogar General Bubuta verstummen lassen.«

»Mit Max werd ich schon einig«, versicherte Lady Melamori.

Ich schmolz verständlicherweise vor Glück dahin, schaffte es dabei aber doch, auf den Beinen zu bleiben. Die Verursacherin meiner Verwirrung verabschiedete sich und verschwand um die Ecke, hinter der die Dienst- A-Mobile standen. Ihr verzeihendes Lächeln war für mich das letzte angenehme Erlebnis dieses Tages, dessen Fortsetzung sich erstaunlicherweise als schrecklich erwies.

Einige Schritte vom Fressfass - unserer Lieblingswirtschaft - entfernt war eine Frau getötet worden. Sie war jung und hübsch, aber nicht mein Typ. Es handelte sich um eine attraktive Brünette mit großen Augen, hohen Wangenknochen und breiten Hüften. In Echo ist diese Kombination erstaunlicherweise enorm beliebt. Dieser Frau aber hatte man die Kehle durchgeschnitten und dabei ein Lächeln von Ohr zu Ohr verpasst.

Juffin zufolge tötete man so in Echo nicht. Weder Männer noch Frauen, niemanden. Mord ist hier überhaupt sehr selten - sofern man nichts mit undisziplinierten Ordensmitgliedern zu tun hat, denn sonst muss man mit allem rechnen. Aber hier roch es nicht nach Magie - weder nach der verbotenen noch nach der erlaubten Variante. Wir zuckten die Achseln und gingen ins Büro zurück.

»Ehrlich gesagt hat mich der Tatort bei dem Ganzen am meisten schockiert«, bemerkte ich. »Die ganze Stadt weiß doch, dass das Fressfass Ihre Lieblingsgaststätte ist, Juffin. Was für ein Verrückter mag sich entschieden haben, ausgerechnet an diesem Ort zuzuschlagen?«

»Tja - einer ist es wohl gewesen«, murmelte mein Chef.

»Vielleicht kommt er ja von auswärts«, meinte ich.

»Bestimmt. Nicht mal in der Traurigen Zeit hat man Frauen in Echo so zugerichtet. Wie dumm das alles gelaufen ist! Wir hätten Melamori sehr nötig gehabt. Eine Stunde Ermittlung, und alles wäre klar gewesen! Stattdessen müssen wir uns jetzt ins Büro setzen und uns über alles Mögliche den Kopf zerbrechen.«

Kaum saßen wir im Büro, geschah ein zweiter Mord, diesmal nicht weit von der Posaunenstraße entfernt. Wieder lächelte das Opfer von Ohr zu Ohr, doch die Gioconda war diesmal ein wenig älter - ungefähr dreihundert Lenze. Es handelte sich um eine Heilerin namens Chrida, die die Bewohner der ganzen Straße besuchten, wenn sie Zahnschmerzen oder einfach nur Pech hatten. Chrida war eine noch jung wirkende, energische und - im Gegensatz zur Mehrzahl ihrer Kolleginnen - sehr nette Lady gewesen. Alle in der Nachbarschaft hatten sie gemocht, und im Trubel von Echo waren oft dankbare Briefe ihrer geheilten Patienten erschienen.

Man konnte ziemlich sicher sagen, dass es sich bei keiner der Taten um einen Raubmord handelte, da beide Opfer noch ihren Schmuck trugen. Anscheinend hatten sie kein Geld bei sich gehabt. Hier in Echo heißt es, Geld und Liebe vertragen sich schlecht. Deshalb nimmt keine Frau Geld in die Hand, sondern fasst es allenfalls mit Handschuhen an. Auch Männer haben ihre Vorsichtsmaßnahmen, doch Frauen sind viel abergläubischer. Allerdings haben die Bewohner des Vereinigten Königreichs sich im Lauf der Zeit angewöhnt, Schecks und Wechsel als Geldersatz zu verwenden und sie in den letzten Tagen des Jahres abzurechnen. Ich persönlich bevorzuge Barzahlung und bin deshalb schon oft in heikle Situationen geraten. Schon in mancher Gaststätte wollte ich dem Wirt Geld in die Hand drücken und habe dafür einen entrüsteten Blick geerntet, weil er die Handschuhe in der Küche hatte liegen lassen und meinetwegen hin und her laufen musste.

Jetzt hatten wir also in kürzester Zeit zwei Leichen. Und keine Ideen.

Und auch die Nacht war ereignisreich, denn wir bekamen vier weitere Frauen gemeldet, deren Lächeln sich aufs Haar glich. Alter, Aussehen und Lebensumstände der unglücklichen Opfer waren unterschiedlich. Sie lebten sogar in den entferntesten Ecken der Stadt. Offenbar hatte der Mörder das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden wollen und seine grausamen Taten auf einer Besichtigungstour durch das nächtliche Echo begangen.

In den frühen Morgenstunden bekamen wir eine Atempause. Die Mordserie hörte auf. Bestimmt war der Täter müde geworden und hatte sich entschieden, ein Nickerchen zu machen. Juffin ließ alle laufenden Geschäfte durch Melifaro und Lonely-Lokley erledigen. Sir Kofa Joch zog los, um sich in den Wirtshäusern nach Hinweisen auf den Täter umzuhören. Mir befahl der Ehrwürdige Leiter, ihm keinen Schritt von der Seite zu weichen. Besonders nützlich war ich allerdings nicht. Aber vielleicht sollte ich für meinen Chef ja eine Art Muse sein. Diese Rolle allerdings gelang mir auch nicht allzu gut, denn die ganze Nacht war Juffin auf keinen klugen Gedanken gekommen.