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Den siebten Mord bekamen wir in der Mittagszeit geliefert. Er trug die gleiche Handschrift wie die vorigen, leider aber keinen Absender.

Ehrlich gesagt hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt Folgendes in Erfahrung gebracht: Der Täter war sehr wahrscheinlich ein Mann, denn die Abdrücke, die er im Sand hinterlassen hatte, wiesen zwar kein Profil auf, waren für eine Frau jedoch eigentlich zu groß. Bei diesem Mann handelte es sich wohl um einen Fremden, denn sein Benehmen war für hiesige Verhältnisse ausgesprochen ungewöhnlich. Außerdem musste er Besitzer eines großen Messers sein und schien - da er seine Opfer nicht ausraubte - vermögend. Wahrscheinlich hatte er keine Verbindung zu einem magischen Orden, denn er hatte bei seinen Taten keinerlei Magie angewandt. Obendrein war er sicher nicht verrückt, weil Geisteskrankheit - wie sich erwiesen hatte - einen schwachen, aber nachweisbaren Geruch hinterlässt, und dieser Geruch war an keinem Tatort zu spüren.

»Es sieht so aus, Max, als würdest du ein epochales Ereignis erleben«, sagte Juffin und legte endlich die Tabakspfeife weg, die er die letzten fünf Stunden in der Hand gehabt hatte. »Bei diesem Fall verstehe ich nämlich absolut nichts. Wir haben sieben Leichen innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden, wir haben einen Haufen Beweismaterial, das uns kein bisschen weiterbringt, und wir können sicher sein, dass keine Magie im Spiel ist - weder erlaubte noch unerlaubte. Vielleicht ist es Zeit, all diese Fälle wieder an die Behörde von General Bubuta zu übergeben und unser Versagen zu beschweigen.«

»Sie wissen doch, dass es nie ...«, begann ich vorsichtig«

»Ja, ich weiß. Aber es riecht hier nach keiner Unsauberkeit. Kann man wirklich Magie für solch grausame Morde benutzen? Das vermag ich mir einfach nicht vorzustellen. Wenn der Täter geisteskrank wäre ... Aber danach hat es, wie gesagt, nicht gerochen.«

»Wir sollten zum Mittagessen gehen, Juffin«, seufzte ich. »Die Wände müssen sich ein wenig von uns erholen.«

Doch auch im Fressfass war die Stimmung irgendwie schlecht. Madame Zizinda schien gerade geweint zu haben. Das Essen übertraf wie immer unsere Erwartungen, doch wir waren nicht fähig, es wirklich zu genießen. Juffin bestellte eine Flasche Dschubatinischen Säufer, roch gedankenverloren daran und stellte sie zur Seite.

»Das ist wohl nicht das, was man nach einer schlaflosen Nacht braucht«, bemerkte er.

Wahrscheinlich war das der schlimmste Tag seit meiner Ankunft in Echo. Na eben: seit meiner Ankunft. Das war noch nicht lang her. Ich hätte wirklich früher auf den Gedanken kommen können, dass sich nicht nur Touristen aus den Nachbarstädten, sondern auch Bewohner fremder Welten hier herumtreiben mochten - genau wie ich einer war. Sündige Magister!

»Juffin«, flüsterte ich. »Vielleicht ist der Mörder ja ein Landsmann von mir?«

Mein Chef zog die Augenbrauen hoch und nickte verständnisvoll. »Wir müssen zurück zum Haus an der Brücke. So ein Gespräch ist nicht für fremde Ohren bestimmt. Sag Madame Zizinda, sie soll mir Kamra und noch ein stärkeres Getränk ins Büro schicken - aber nicht dieses Zeug hier«, sagte er und zeigte hasserfüllt auf den Dschubatinischen Säufer.

In seinem Arbeitszimmer musterte Juffin mich eindringlich und fragte: »Warum?«

»Weil es alles erklärt. Erstens ist keine Magie im Spiel, jedenfalls keine sichtbare. Zweitens können sich außer mir doch auch andere fremde Gäste in Echo befinden. Egal wie sehr man eine Tür verbarrikadiert - solange das Haus steht, bleibt es eine Tür. Und drittens, Juffin, haben Sie immer gesagt, dass man in Echo so niemanden umbringt. Aber dort, wo ich geboren wurde, kommt das bei Verrückten bisweilen vor. Bei manchen Verrückten jedenfalls. Das ist mein drittes und stärkstes Argument. Dass es solche Morde gibt, weiß ich genau, weil ich darüber oft Berichte im Fernsehen gesehen habe.«

»Wo hast du diese Berichte gesehen?«

»Ach, egal«, meinte ich, weil ich nicht wusste, wie ich jemandem, der so ein Gerät noch nie gesehen hatte, kurz und bündig erklären sollte, was ein Fernseher ist. Dann aber raffte ich mich auf: »Sagen wir so: Es handelt sich um die Möglichkeit, zu Hause zu sitzen und zu sehen, was in anderen Ecken der Welt passiert. Natürlich nicht alles, sondern nur die wichtigsten Ereignisse. Und dazu noch Spielfilme. All das geschieht mit Hilfe eines speziellen Geräts. Es gibt also keine Magie. Aber wer weiß, wie stark Ihr Zeiger neben einem Fernseher ausschlagen würde.«

»Hättest du doch einen dieser Fernseher mitgenommen! Scheinbar ist das ein interessantes Gerät.«

»Und was halten Sie von meiner Theorie?«, versuchte ich, meinen Chef wieder auf das anstehende Problem zu lenken. »Könnte ein Landsmann von mir der Täter sein?«

»Na ja, diese Version ist zwar nicht gerade hübsch, aber logisch oder wenigstens nach deinem Geschmack.

Man muss auch in diese Richtung ermitteln. Ich fahre jetzt zu Maba Kaloch - und du ... kommst mit, um ihn kennenzulernen. Maba kennt deine Geschichte. Also brauchst du mit deiner Barbarenlegende gar nicht erst anzufangen.«

»Sir«, rief ich empört. »Das ist nicht meine, sondern Ihre Legende und das hübscheste Werk der Gattung Künstliche Falsifikation: »Sir Max, der aus dem Grenzgebiet zwischen der Grafschaft Wuk und den Leeren Ländern stammt; ein furchtbarer Barbar, aber ein genialer Detektiv.-«

»Ja, diese Legende stammt von mir«, seufzte Juffin. »Siehst du, ich tauge doch noch zu etwas. Gehen wir!«

Doch jetzt muss ich Ihnen erzählen, wie ich nach Echo geraten bin, weil das - so seltsam es klingen mag - große Bedeutung für das weitere Geschehen hat. Nach neunundzwanzig Jahren eines verworrenen Lebens schob der Max, der ich mal war, als Redakteur vom Dienst Nachtschicht bei einer großen Zeitung. Dieser Max hatte sich längst daran gewöhnt, seinen Träumen große Bedeutung beizumessen, denn im Laufe der Zeit hatte sich seine Lage so entwickelt, dass er des Lebens nicht froh wurde, wenn es ihm in seinen Träumen nicht gut ging. Träume erschienen mir damals viel realer und wichtiger als die Wirklichkeit. Ich bemerkte kaum einen Unterschied zwischen beiden Welten und nahm meine Probleme oft aus dem Traum in die Wirklichkeit (und umgekehrt) mit. Manchmal allerdings hatte ich auch das Glück, dass auf diesem Wege angenehme Ereignisse die Welten wechselten.

So unterschiedlich meine Träume auch waren - ein paar Orte tauchten erstaunlich regelmäßig auf. Zum Beispiel eine Stadt in den Bergen, die nur über eine Drahtseilbahn mit der Außenwelt verbunden war; ein schattiger Landschaftsgarten, den ein murmelnder Bach teilte; ein paar Sandstrände an einer düsteren Meeresküste. Und dann war da noch eine Stadt, deren Mosaikgehsteige mich vom ersten Moment an betörten. In dieser Stadt hatte ich auch mein Lieblingslokal, an dessen Namen ich mich nach dem Aufwachen aber nicht zu erinnern vermochte. Erst als ich später ins echte Fressfass kam, begriff ich, dass ich das Lokal schon lange kannte. Ich fand sogar meinen Lieblingsplatz wieder: einen Tisch zwischen der Theke und dem Fenster zum Hof.

In diesem Lokal hatte ich mich gleich wie zu Hause gefühlt. Die wenigen Kunden versammelten sich an der langen Theke. Alle Anwesenden kamen mir wie alte Freunde vor, und ihre exotische Kleidung befremdete mich nicht. Im Übrigen betrachteten auch sie meine Kleider ohne Verwunderung. Echo ist die Hauptstadt eines großen Landes und zudem einer der größten Flusshäfen dieser Welt. Da ist es schwierig, die Bewohner zu verblüffen, und mit exotischer Kleidung klappt es erst recht nicht.

Im Laufe der Jahre hatte einer der Stammgäste begonnen, mich zu grüßen, und ich grüßte zurück. Wer hätte sich nicht über solche Streicheleinheiten im Schlaf gefreut?

Später begann dieser Stammgast, bei dem es sich natürlich um Sir Juffin Halli handelte, sich an meinen Tisch zu setzen und sich ein wenig mit mir zu unterhalten. Juffin hat wie kein anderer die Gabe, mit jeder beliebigen Person Kontakt zu knüpfen, und so trafen wir uns eine ganze Weile zum Plaudern in diesem Cafe. Manchmal erzählte ich meinen Freunden in der realen Welt ein paar der außergewöhnlichen Geschichten, die ich von meinem neuen Bekannten gehört hatte. Sie rieten mir, alles aufzuschreiben, doch das habe ich irgendwie nicht geschafft. Ich spürte, dass manche Sachen nicht aufs Papier gehörten, und ehrlich gesagt war ich auch zu faul, mich Tag für Tag hinzusetzen und ein Traumprotokoll zu führen.