»Irgendeiner muss es schließlich tun«, murmelte Sir Juffin.
»Nicht irgendeiner, sondern du - das stimmt wohl. Willst du, dass ich mir anschaue, wie alles gelaufen ist?«
»Natürlich. Wenn jemand aus einer anderen Welt durch Echo irrt, muss ich wissen, ob er nur zufällig hierhergeraten ist.«
»Nenn die Dinge doch beim Namen, Juffin! Vor allem interessiert dich, wie viele unbekannte Gäste dir noch in die Hände fallen können.«
»Du hast mich mal wieder durchschaut. Natürlich interessiert mich das. Schließlich ist das meine Arbeit.«
»Na schön. Wenn ihr noch ein Tässchen trinken wollt: Der Krug steht auf dem Tisch. Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht bei mir. Ich jedenfalls ...«
Mit diesen Worten verschwand Sir Maba unterm Tisch. Ich sah Juffin schockiert an.
»Was soll das?«
»Schau nach, dann weißt du's.«
Ich blickte unter das Möbelstück. Natürlich war dort niemand. Was hatte ich denn erwartet!?
»Die Tür zwischen den Welten kann überall sein, Max«, sagte Juffin sanft. »Also kann sie sich auch unter dem Tisch befinden. Welchen Unterschied macht das schon? Aber wer diese Tür öffnen will, muss sich vor fremden Blicken schützen. Maba braucht dafür eine Sekunde. Ich würde dafür etwa zwei Minuten benötigen. Wie lange hast du eigentlich auf die merkwürdige Bahn gewartet, mit der du in mein Schlafzimmer gereist bist?«
»Ungefähr eine Stunde.«
»Gar nicht schlecht für einen Anfänger. Das ist alles nur eine Frage der Übung, mein Junge. Schenk mir noch eine Tasse von diesem Zeug ein. Anscheinend hab ich gefunden, was ein müder Mensch wirklich braucht.«
»Es wäre nicht schlecht, das Rezept zu bekommen«, meinte ich gedankenverloren.
»Ein Rezept dafür? Das gibt es nicht. Ich weiß doch, wie Maba kocht. Der nimmt alles, was ihm unter die Finger gerät, und so was kommt dann dabei heraus.«
»Sündige Magister! Juffin, das geht mir zu weit.«
»Mir auch. Jedenfalls im Moment. Aber das mag sich ändern - schließlich lebe ich ja schon etwas länger in Echo als du. Und ich verschwende meine Zeit nicht umsonst. Das Problem besteht darin, Max, dass hier alles sehr langsam passiert.«
»Mein Problem ist, dass hier alles sehr schnell passiert.«
»Dann hast du eben Glück. Akzeptier das einfach.«
In einer entfernten Ecke des Zimmers knallte eine Tür. Sir Maba Kaloch kehrte an den Tisch zurück und war lebensfroh wie immer.
»Vielen Dank, Juffin! Ich hab es richtig genossen, die von euch geöffnete Tür zu betrachten - und die lustige Welt dahinter. Köstlich war das.«
»Schön, dass es dir so gut gefallen hat. Aber wenn ich höre, was Max davon erzählt, gefällt mir seine Welt immer weniger.«
»Ich hab auch nicht behauptet, sie wäre nach meinem Geschmack. Aber es war wirklich köstlich. So was Lustiges hab ich schon lange nicht mehr erlebt. Max, bist du eigentlich froh, davongelaufen zu sein?«
»Inzwischen vermag ich mir nicht mal mehr vorzustellen, dass es hätte anders sein können. Aber am Anfang ist es mir sehr schwergefallen, mich hier einzuleben.«
Sir Maba Kaloch nickte, machte es sich in seinem Sessel bequem und zog gedankenverloren einen Korb mit Brötchen unter dem Tisch hervor. Er probierte eins, nickte beifällig und stellte seine Beute auf den Tisch.
»Durchaus essbar. Ich will eure Geduld nicht auf die Folter spannen. Also erzähl ich euch, wie alles gelaufen ist. Erstens, Max, hast du völlig richtig vermutet: Tatsächlich ist ein Landsmann von dir in Echo aufgetaucht. Juffin, unter uns gesagt: Ich sehe zum ersten Mal einen Menschen seines Alters mit so gut entwickelter Intuition!«
»Ich auch«, nickte mein Chef bestätigend, und ich wurde vor Stolz ganz rot.
»Glückwunsch euch beiden! Greift zu! Keine Angst! Ich kann zwar nicht erklären, woher ich sie habe, aber das besagt nichts.«
»Giftmörder«, murmelte Juffin und schob sich ein Brötchen in den Mund. »Jetzt du, Max. Wenn man sterben soll, dann am besten zusammen.«
Das Gebäck war ausgezeichnet. Sein Geschmack kam mir bekannt vor - aber woher?
»Ich weiß nicht, wie ihr es geschafft habt, Kinder«, fuhr Sir Maba Kaloch fort, »doch ihr habt die blödeste Methode gewählt, von einer Welt in die andere zu gelangen, von der ich je gehört habe.«
»Was heißt hier >wir<? Das hat Juffin eingefädelt. Ich hab nur seine Anweisungen erfüllt«, versuchte ich zu protestieren. Ich brauchte keine fremden Lorbeeren - ich hatte an meinen genug.
»Aber Max«, seufzte Juffin. »Wie hätte ich diese merkwürdige Straßenbahn denn erschaffen sollen? Ich hab doch noch immer keine Ahnung, worum es sich dabei handelt! Irgendwann begreifst du bestimmt, dass deine Überfahrt unser gemeinsames Werk war. Bis dahin musst du einfach daran glauben.«
»Und versuch zu akzeptieren, dass du die nächsten paar hundert Jahre nicht wissen wirst, was du eigentlich machst«, ergänzte Sir Maba. »Das wird dir nur anfangs schwierig Vorkommen - später erscheint einem diese Ahnungslosigkeit richtig interessant. Aber jetzt zurück zu meinen Reiseerlebnissen. Ich habe mich in die dunkle Straße begeben, wo sich für dich die Tür zwischen den Welten geöffnet hat. Dort ist jemand ziellos umhergestreift, der von Mordgedanken besessen war. Das ist an sich nichts Besonderes, aber Besessene faszinieren mich nun mal, Max. Egal wie primitiv sie sind - sie haben stets ein Gespür für das Wunderbare. Was allerdings den ziellos umherstreifenden Mann anlangt, war mir gleich klar, dass er bereits eines Wunders teilhaftig war. Ein merkwürdiger Wagen namens Straßenbahn näherte sich ihm. In meinem ganzen Leben hab ich nichts Hässlicheres gesehen! Ein Transportmittel sollte doch überall fahren können, statt ausschließlich auf einen dünnen Pfad angewiesen zu sein. Und jeder davon endet doch sicher auch irgendwo.«
»Diesen Pfad nennt man Schienen«, sagte ich.
»Vielen Dank, Max. Das ändert die ganze Sache natürlich von Grund auf. Als ich begriff, wie dieser merkwürdige Wagen gebaut ist und wozu man ihn braucht, lachte ich mich beinahe über ihn tot. Aber das Auftauchen der Straßenbahn war auch für den Besessenen eine Überraschung. Schließlich wusste er, dass es in dieser Straße eigentlich keine Schienen gibt. Sündige Magister! Wie schnell manche Leute doch den Verstand verlieren.«
»Sag mal, Maba«, begann Juffin, und seine Miene verfinsterte sich, »wie groß ist eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass die Straßenbahn auf Leute trifft, die die Welten gar nicht wechseln wollen?«
»Die Chance liegt bei annähernd null. Erstens hängt das Erscheinen dieses Wunders mit den hiesigen Mondphasen und der Stellung der dortigen Planeten zusammen, und es kommt nur sehr selten vor, dass beide Konstellationen so übereinstimmen, dass der Wechsel der Welten überhaupt möglich wird. Zweitens ist die Straße, in der Max eingestiegen ist, nachts fast immer menschenleer. Und drittens und vor allem ist der Durchgang zwischen den Welten speziell für ihn geschaffen worden.« Bei diesen Worten nickte er mir zu. »Normalverbraucher bekommen von diesem Durchgang nichts mit und können ihn daher auch nicht nutzen. Nur Eingeweihte oder völlig Verrückte können auf diesem Weg in eine fremde Welt geraten. Also keine Sorge, Juffin - solche Zufälle sind extrem selten. Es sei denn, es hätten sich ein paar hiesige Magister dorthin verlaufen, und das ist ja immer möglich!«
»Umso mehr, als es dort keine Magister gibt«, ergänzte ich.
»Du solltest nicht immer so vorschnell urteilen«, sagte Sir Maba Kaloch vorwurfsvoll. »Oder kennst du alle Bewohner deiner Welt persönlich?«
»Natürlich nicht, aber ...«
»Na eben! Dass du bisher noch keinen Magister getroffen hast, bedeutet nicht, dass es sie dort nicht gibt. Glaub mir: Uns Magister gibt es überall.«
»Dann wird es also keine Invasion geben?«, fragte Juffin sichtlich erleichtert.