»Natürlich nicht. Ein interessantes Detail aber gibt es: In dieser Straßenbahn hat ein Fahrer gesessen. Schade, dass ich nicht genug Zeit hatte, den Charakter dieses Wesens zu erforschen. Das werde ich bestimmt demnächst in der Freizeit nachholen!«
»Handelte es sich etwa um einen euphorischen Dicken mit dünnem Schnauzbart?«, fragte ich mit angststarren Lippen. »Er hatte ein ganz einzigartiges Gesicht - unvergesslich.«
»Natürlich. Wer hätte es sonst sein können? Es handelt sich bei ihm um das erste von dir erschaffene Wesen, Max. Eigentlich solltest du einen persönlicheren Bezug zu ihm haben. So ein Wesen hab ich auch noch nie gesehen!«
»Was für ein Fahrer denn?«, fragte Juffin erstaunt. »Davon hast du mir gar nichts erzählt, Max.«
»Ich dachte, Sie wüssten auch ohne mich über alles Bescheid. Außerdem wollte ich ihn so schnell wie möglich vergessen. Beinahe wäre ich gestorben, so sehr hatte mich sein Anblick erschreckt. Den Magistern sei Dank, dass er gleich darauf verschwunden war.«
»Du hast also gedacht, dieser Mann wäre ein guter Freund von mir? Tolle Idee! Ich hätte dich wirklich genauer über deine Reise befragen sollen. Mein praktischer Sinn hat mich in die Irre geführt: Ich dachte, wenn du erst mal hier bist, ist alles andere egal. Maba - um was für ein Wesen handelt es sich bei diesem Mann eigentlich?«
»Ich hab doch gesagt, dass ich das selber noch nicht weiß. Ich kann nur wiederholen, dass ich so was noch nie erlebt habe. Wenn ich mehr Zeit habe, forsche ich genauer nach und teile euch das Ergebnis meiner Recherchen mit. Aber du bist sehr streng gegenüber dem Wesen, das du selbst geschaffen hast, Max. Der Besessene nämlich war von dem Fahrer der Straßenbahn schlicht entzückt. Er hat mit ihm gesprochen und dabei unter anderem erfahren, wie es möglich war, dass die Tram durch eine Straße fuhr, durch die sie eigentlich unmöglich hätte fahren können. Er hat sich auch gedacht, dass er sich mit dem Fahrer befreunden könnte. Streng genommen waren beide besessen, jeder auf seine Weise. Na ja, die Tram hielt, und der Junge ist eingestiegen und hat den Fahrer gegrüßt. Dann fuhr die Bahn weiter. Ich kann euch leider keine schockierenden Details von der gemeinsamen Reise liefern, weil ich zu faul war, sie genauer zu erforschen. Doch nach einiger Zeit ist der Besessene in Echo aufgetaucht, und zwar im Hinterhof vom Fressfass. Er war hungrig und verängstigt und hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
»Tassen? Was für Tassen? Und welcher Schrank?«, fragte Juffin.
»Einfache weißblaue Tassen in einem Holzschrank«, antwortete Sir Maba, setzte aber gleich hinzu: »Das war nur ein Scherz. Ich habe mich seiner eigenen Formulierung bedient, um möglichst genau zu sein. In so einem Fall hat jede Kleinigkeit eine Bedeutung. Max, kannst du uns den Ausdruck mit den Tassen und dem Schrank erklären?«
»Na ja«, antwortete ich gedankenverloren. »Nicht mehr alle Tassen im Schrank zu haben bedeutet, ziemlich wunderlich zu sein und Dinge zu tun, über die andere nur den Kopf schütteln können. Offen gesagt benutze ich diesen Ausdruck selbst.«
»Das hast du wirklich gut erklärt«, meinte Sir Maba Kaloch sichtlich zufrieden. »Aber was später geschehen ist, wisst ihr beide besser als ich, weil sich die Tür zwischen den Welten geschlossen hat und ich das Interesse an eurem Freund verloren habe.«
»Hör mal, Maba, sollte man nicht vielleicht ...«, begann Juffin.
»Nein, das sollte man nicht.«
»Na gut, vergiss es. Aber erzähl uns bitte alles, was du über das merkwürdige Wesen mit Schnauzbart in Erfahrung bringst.«
»Dann komm in einem Dutzend Tagen vorbei - oder schon früher. Aber nicht mit so einem besorgten Gesicht. Und du, Max, kannst mich auch besuchen kommen, ob nun mit Juffin oder allein - vorausgesetzt, du findest mich. Dabei kann ich leider keinem helfen. Also gut, Herrschaften, es war mir ein Vergnügen, mich mit euren Problemen zu beschäftigen - und wann kann man das schon sagen! Na dann ...«
Sir Maba Kaloch warf den Tisch, an dem wir gesessen hatten, mit großer Geste um, und das Geschirr landete klirrend auf dem Boden. Ich zuckte instinktiv zurück und brachte dadurch auch meinen Stuhl zum Kippen. Gleich darauf landete ich - nach einem idiotischen Salto ä la Melifaro - auf allen vieren.
Noch einen Moment später begriff ich, dass ich nicht auf dem Boden im Wohnzimmer gelandet war, sondern auf einem dünnen, grasbewachsenen Pfad im Garten. Erschrocken sah ich mich um. Neben mir kicherte Juffin vor Vergnügen.
»Maba überrascht Neuankömmlinge gern. Als ich ihn kennenlernte, hat er mich auf den Grund eines Sees versetzt, wo ich dann auf allen vieren gekrochen bin und nach einer Leiter geschrien habe. Ich hatte kurzfristig vergessen, dass ich schwimmen kann. Mehr noch: Ich hatte keinerlei Vorstellung mehr davon, dass es überhaupt so etwas wie Schwimmen gab, und brauchte Stunden, um ans Ufer zu kommen. Und ein paar Jahre, um mich daran zu erinnern, wie ich in diese Lage geraten war. Und bis dahin war mein Zorn auf Maba verraucht. Glaub mir, Max - dich hat er überaus human behandelt.«
»Human nennen Sie das? Aber wie dem auch sei - Sir Maba hat mir von Anfang an sehr gefallen.«
»Schön, dass wir einen so ähnlichen Geschmack haben. Und jetzt lass uns fahren. Du kannst dich ans Steuer setzen. Den Rückweg zu finden ist kein Problem.«
»Worüber haben Sie eigentlich zum Schluss mit Maba gesprochen, Sir Juffin?«, fragte ich, als ich nach dem Abschied vom Großen Magister wieder zu Kräften gekommen war. »Worauf wollten Sie mit der Frage hinaus, die er so rüde mit dem Bescheid »Nein, das sollte man nicht* abgewürgt hat? Entschuldigen Sie meine Neugier, aber das interessiert mich nun mal sehr.«
Sir Juffin Halli winkte ab. »Das ist kein Geheimnis! Ich hatte ihn eigentlich fragen wollen, ob sich dein Landsmann nicht viel schneller finden ließe, wenn man ... na ja ... wenn man dich als Muster nähme. Gibt es vielleicht in deiner Welt einen Duft, den ich nicht zu riechen vermag, weil ich nicht von dort komme? Oder etwas Ähnliches, um die Suche nach dem Mörder zu beschleunigen?«
»Und? Gibt es so ein Lockmittel?«
»Nein, das hast du doch gehört.«
»Riecht meine Heimat also nach nichts Besonderem? Das wäre mir unangenehm. Verstehen Sie das?«
»Sie kann durchaus einen Duft haben. Nur du, Max, eignest dich nicht mehr dafür, als Spürhund eingesetzt zu werden.«
»Sie beleidigen mich«, murmelte ich empört.
»Im Gegenteil. Die Beschäftigung mit Wirklicher Magie hat dich verändert. Vielleicht hast du das noch nicht bemerkt, aber glaub mir: Wenn man dich als Muster nähme, käme man womöglich auf einen wie mich ... oder wie Maba Kaloch.«
»Das passt ja ganz gut«, meinte ich. »Schließlich haben Sie selber gesagt, es sei kein Zuckerschlecken, bei ihm zu Gast zu sein.«
»Ich würde vorschlagen, dass wir zuerst den Besessenen finden und uns dann den anspruchsvolleren Dingen des Lebens zuwenden - zum Beispiel dem Schlaf. Oh, wir sind ja schon da!«
»Und die Kleidung des Besessenen?«, fragte ich beim Aussteigen. »Die ist für den Aufenthalt in Echo bestimmt denkbar schlecht geeignet - so wie die Hose, in der ich damals angekommen bin.«
Ich war enttäuscht, als mein Chef achselzuckend fragte: »Was redest du da? Wir sind schließlich in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs. Hier gibt es sehr viele Zugereiste. Für niemanden ist es ein Geheimnis, dass mindestens die Hälfte der Welt Hosen trägt. Sogar die Bewohner der Stadt Gazin - ganz abgesehen von deinen Lieblingen aus den Grenzgebieten. Mit einer Hose kannst du hier wirklich keinen schockieren. Die Zeiten, als man in Echo jedes exotische Kleidungsstück angestarrt hat, sind lange vorbei. Inzwischen setzt so ein Quatsch niemanden mehr in Erstaunen. Aber da kommt ja Melifaro! Wie geht's?«
»So lala. Es sind keine neuen Leichen aufgetaucht«, meldete Melifaro rasch. »Der Täter hat sich offenbar verausgabt. Sir Juffin, sind Sie bereit, mein Leben vor diesem Gift speienden Monster zu schützen? Er hat mir gestern mit dem Tode gedroht.«