»Hat er das gebraucht?«, wunderte ich mich naiv.
»Aus Gier nach Kraft und Macht sind viele Menschen bereit, alles zu tun!«, erklärte Juffin und zuckte gleichgültig die Achseln. »Wir beide haben mehr Glück, denn wir leben in einer vernünftigeren Zeit. Die Opposition beklagt sich zwar ständig über die Tyrannei des Königs und der Siebenblätter, hat anscheinend aber vergessen, was die Tyrannei einiger Dutzend mächtiger magischer Orden bedeutet - auch wenn keiner dieser Orden Reisende bespitzelt oder Bedürftigen lasterhafte Ambitionen verwehrt.«
»Wieso haben die Orden die Welt damals eigentlich nicht in Fetzen gerissen?«
»Sie waren nah dran, Max, ganz nah dran. Wir werden darüber noch ausführlich reden. Heute Nacht soll es aber allein darum gehen, dir zu zeigen, wie du arbeiten sollst. Also nimm die Tasse weg ...«
Alles lief zu gut, um von Dauer zu sein. Die Idylle endete am dritten Tag, als Kimpa meldete, Sir Makluk sei gekommen.
»Merkwürdig«, meinte Juffin. »Seit zehn Jahren sind wir Nachbarn, aber erst jetzt würdigt er mich eines Besuchs. Mein Gefühl sagt mir, dass Arbeit auf mich zukommt.«
Damit hatte er richtig gelegen.
»Ich wollte nicht per Stummer Rede mit Ihnen in Kontakt treten, denn ich bin in Bedrängnis und möchte Sie um einen großen Gefallen bitten«, rief Makluk schon am Eingang. Die eine Hand hielt er vor die Brust, mit der anderen gestikulierte er wild umher. »Ich bitte um Verzeihung, Sir Juffin, aber ich brauche dringend Ihre Hilfe.«
Die beiden schauten sich lange an. Offenbar benutzte der Alte jetzt Stumme Rede. Nach einiger Zeit wurde die Miene von Sir Juffin traurig. Makluk zuckte schuldbewusst die Achseln.
»Gehen wir«, sagte Juffin und stand auf. »Max, du kommst mit. Du brauchst dich nicht herauszuputzen - es ist dienstlich.«
Zum ersten Mal sah ich Sir Juffin im Einsatz. Das Tempo, in dem er die Wiese querte, lag über der Höchstgeschwindigkeit seines A-Mobils. Ich kümmerte mich derweil um Sir Makluk, der sich ohne seine Sänftenträger offenbar unwohl fühlte. Wir legten den Weg in normalem Tempo zurück, und das war für seine schwachen Knie genau das Richtige. Makluk ließ sich dazu herab, mir - dem intelligenten Barbaren - unterwegs eine Kurzfassung des Geschehenen zu geben. Wie mir schien, wollte er sich dadurch vor allem ablenken.
»Ich habe einen Diener, vielmehr: Ich hatte ihn. Sein Name war Krops Kulli. Ein guter Junge, den ich demnächst - also in fünfzehn bis zwanzig Jahren - bei Hof unterbringen wollte, nachdem er bei mir ein wenig Schliff und Erfahrung erworben hätte, weil man ja ohne ... Aber zur Sache: Vor ein paar Tagen ist er einfach verschwunden. Er hat eine Freundin am Rechten Flussufer. Man ist nur einmal jung, dachten seine Kollegen natürlich und alarmierten mich nicht. Wissen Sie - auch das einfache Volk ist imstande, edel zu handeln und gewisse Geheimnisse zu bewahren. Erst heute habe ich von dem Vorfall erfahren, weil Linus, seine Freundin, meinen Koch auf dem Markt getroffen und mit Fragen gelöchert hat, warum Krops sich bei ihr so lange nicht habe blicken lassen. Er habe doch sicher manchmal einen freien Tag? Gleich gerieten alle in heftige Erregung. Wo und warum mochte Krops Kulli verschwunden sein? Vor einer halben Stunde dann begannen Maddi und Schuwisch, das Zimmer von Sir Makluk-Olli, meinem verstorbenen Cousin, aufzuräumen. Ja, Sir Max, ich hatte einen Cousin, eine echte Nervensäge, unter uns gesagt. Zehn Jahre lang hatte er vor zu sterben, und vorletztes Jahr hat er es endlich getan, übrigens gleich nach dem Tag der Fremden Götter. Ach, ja. Und dort im Zimmer fanden sie den armen Herrn Kulli. In einem Zustand ...« Sir Makluk zuckte so gereizt die Achseln, als wollte er zum Ausdruck bringen, ein solches Versagen habe er vom armen Krops Kulli nie erwartet, nicht einmal im Tod.
In diesem Augenblick gelangten wir an eine kleine Tür, die der normale Eingang in Makluks luxuriöses Haus war. Nachdem er mir alles erzählt hatte, beruhigte er sich sichtbar. Die Stumme Rede! Nicht umsonst empfehlen Psychotherapeuten ihren Patienten, laut zu erzählen! Wir warteten nicht auf die Sänften, sondern gingen gleich ins Schlafzimmer des verstorbenen Sir Olli.
Der ungemein weiche Teppich - wohl Standard in Echo - bedeckte fast die Hälfte des Bodens. Ein paar mit Intarsien geschmückte kleine Tische standen ungeordnet um das riesige Bett herum. Eine Wand bestand nur aus einem großen Fenster mit Blick auf den Obstgarten. An der gegenüberliegenden Wand hing ein alter Spiegel, neben dem ein kleiner Frisiertisch stand.
Schade, dass dies nicht der gesamte Inhalt des Zimmers war. Leider gehörte noch etwas dazu: Zwischen Spiegel und Fenster lag eine Leiche, die eher einem schmutzigen und durchgekauten Gummiband als einem Menschen ähnelte. Seltsamerweise sah sie überhaupt nicht schrecklich aus, eher sinnlos oder absurd. Das entsprach nicht meiner Vorstellung von einem unglücklichen Mordopfer. Statt Blutflecken, zerplatztem Hirn und starr blickenden Augen fand ich nur ein jämmerliches Stück Kautabak vor.
Ich bemerkte Sir Juffin nicht gleich. Er stand in der hintersten Ecke, und seine schmalen Augen leuchteten im Halbdunkel. Schließlich verließ er seinen Wachtposten und kam mit besorgtem Gesicht zu uns.
»Bis jetzt habe ich zwei schlechte Nachrichten, aber ich fürchte, es werden noch mehr. Die erste: Hier handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Mord, denn mit bloßen Händen kann man niemanden so zurichten. Die zweite: Ich habe keine Spur von verbotener Magie entdeckt. Ich hatte erst den Spiegel im Verdacht, weil er der Leiche so nah hängt. Aber bei seiner Herstellung wurde Schwarze Magie zweiten, höchstens dritten Grades verwendet. Und das ist lange her ... « Nachdenklich drehte Juffin eine kleine Tabakspfeife in Händen, die einen Zeiger besaß, der Aufschluss über die Magie lieferte, mit der sie konfrontiert worden war.
Der Zeiger war auf Zwei hängen geblieben. Zwar zuckte er etwas und wollte auf Drei springen, doch die im Spiegel eingeschlossene Magie reichte für den höheren Grad nicht aus.
»Ich gebe Ihnen einen guten Rat, lieber Nachbar: Gehen Sie sich erholen. Aber sagen Sie Ihren Dienern vorher bitte, dass Max und ich uns hier noch etwas umschauen werden und sie unsere Ermittlungen unterstützen sollen.«
»Sind Sie wirklich sicher, dass ich Ihnen nicht behilflich sein kann?«
»Ja«, seufzte Juffin. »Vielleicht können Ihre Diener uns helfen - Sie bestimmt nicht. Egal was passiert ist - es gibt keinen Grund, Ihre Gesundheit zu gefährden.«
»Vielen Dank«, sagte der Alte, »mir reicht es für heute wirklich.«
Makluk wandte sich erleichtert zur Tür, wo inzwischen ein sehr bunt gekleideter Mann aufgetaucht war, der sein Altersgenosse zu sein schien. Das Gesicht des Fremden hätte zu einem Großinquisitor gepasst. Den Neuankömmling als Diener einzustufen, schien mir unsinnig, aber ich habe die Welt nicht erschaffen und kann keine Plätze anweisen.
»Lieber Gowins«, wandte sich Sir Makluk an den Großinquisitor, der sich damit als sein Haushofmeister erwies. »Seien Sie so nett und unterstützen Sie die beiden Herren in allem. Das ist Sir Juffin Halli, unser Nachbar, und er ...«
»Wie könnte ich den Ehrwürdigen Leiter nicht kennen? Als treuer Leser unserer Zeitungen?«, sagte Gowins und strahlte über das ganze Gesicht.
»Großartig«, meinte Sir Makluk beinahe flüsternd.
»Gowins bringt alles in Ordnung. Er ist in viel besserer Verfassung als ich, obwohl wir im gleichen Jahr zur Welt gekommen sind, damals, in der alten, gesegneten Zeit ...«
Mitten in dieser sentimentalen Erinnerung packten die Träger, die anscheinend einen starken Drang nach Betätigung spürten, Sir Makluk bei den Armen, steckten ihn in die Sänfte und trugen ihn in sein Schlafzimmer.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, unterhalte ich mich später ein paar Minuten mit Ihnen«, sagte Sir Juffin zu Gowins. »Ich hoffe, Sie wissen selbst, dass wir unser Gespräch eigentlich ... in einer Besenkammer führen sollten.« Er schenkte Gowins sein unwiderstehliches Lächeln.