Выбрать главу

Auf der breiten Holztheke lag mein Landsmann. Glücklicherweise gehörte er nicht zu meinen Schulfreunden - das wäre was gewesen! Er schien eher im Alter meines Vaters zu sein. Vielleicht aber hatte auch ein schweres Leben ihm tiefe Falten ins Gesicht gegraben. Er sah ziemlich schrecklich aus: Sein Mantel war schmutzig, seine Hose zerknittert, seit Tagen hatte er sich nicht rasiert, und er hatte tiefe Ringe unter den Augen. Der Arme! Obendrein hatte er sichtlich zu viel Rekreationssuppe gegessen. Sein flacher Atem zeigte, dass es ihm körperlich alles andere als gut ging. Wäre er in unserer Anwesenheit gestorben, hätte mich das nicht überrascht.

Angewidert verzog Juffin das Gesicht: »Und um dieses Naturwunder zu finden, haben wir den ganzen Tag vergeudet? Na prima! Max, nimm ihn mit und lass uns gehen. Tschemparkaroke! Kannst du noch was zu dieser Geschichte beitragen?«

Der rothaarige Wirt zuckte die Achseln: »Was soll ich sagen, Ehrwürdiger Leiter? Das ist keine schöne Geschichte. Am Anfang war er noch lustig, aber dann hat er zu röcheln und zu stöhnen begonnen und einen Unsichtbaren durchs ganze Wirtshaus verfolgt. Die Leute waren mit seiner Show zufrieden, denn sie mögen Sonderlinge - auch wenn sie nicht bei Trost sind. Dann aber ist er auf die Bank gekracht und sofort eingeschlafen. Ich dachte, er würde jeden Moment zu den Dunklen Magistern gehen. Für so was hab ich ein Gespür. Gleich zappelt er ein paar Mal mit den Beinen - und aus die Maus, hab ich gedacht.«

»Vielen Dank für deine Auskunft«, sagte Sir Juffin. »Ich hätte nichts dagegen, wenn er jetzt sterben würde. Und du, Tschemparkaroke, bist sehr tapfer.«

Der Wirt wirkte sehr zufrieden, obwohl er nicht recht verstand, wofür er gelobt worden war. Juffin sah mich müde an.

»Nimm ihn, Max. Worauf wartest du? Tanzen wird er demnächst sowieso nicht mehr.«

Seufzend machte ich die mir schon vertraute Handbewegung, und der halbtote Manische landete zwischen Daumen und Zeigefinger meiner Linken - dort also, wo einige Zeit zuvor schon Lonely-Lokley gesessen hatte. Tschemparkaroke fiel vor Staunen die Kinnlade runter. Er war in der Blütezeit der Epoche des Gesetzbuchs nach Echo gekommen und an solche kleinen Wunder nicht gewöhnt. Angewidert verzog ich das Gesicht, und wir gingen. Als Krönung des Ganzen musste ich mit meiner ekligen Hand auch noch unser A-Mobil steuern!

Im Saal der allgemeinen Arbeit befreite ich mich schnell von meiner leichten, aber unangenehmen Last, indem ich meinen Landsmann kurzerhand auf den Teppich warf. Dann ging ich mir die Hände waschen. Ich bin ein typischer Neurastheniker, und solche Ereignisse werfen mich immer aus der Bahn. Dieser manische Typ gefiel mir ganz und gar nicht. Das lag bestimmt auch daran, dass uns etwas verband - so unappetitlich er auch aussah. Seufzend kam ich zurück.

»Ob man ihn wiederbeleben sollte?«, überlegte Juffin gedankenverloren und sah sich unseren Fang mit Abscheu an. »Es ist viel passiert, aber ich möchte doch gern wissen, ob ...«

Ich konnte mir einigermaßen vorstellen, was mein Chef wissen wollte. Vielleicht aber auch nicht.

»Nimm das alles nicht so ernst, Max«, sagte Juffin heiter.

Normalerweise weiß er schneller als ich, was mit mir los ist. Diesmal aber kam sein Trost zu spät.

»Du solltest in dem, was hier passiert, keine Zerreißprobe für deine Nerven sehen, sondern zufrieden damit sein - schließlich haben wir jetzt die Chance, etwas völlig Neues zu erfahren. Kopf hoch, mein Junge!«

»Ich glaube nicht, dass diese Neuigkeiten meinen Zustand bessern werden«, murmelte ich.

Kofa und Melifaro sahen uns an, ohne zu begreifen, wovon wir sprachen.

»Das sind nur Kindereien«, sagte Juffin ihnen zur Erklärung. »Besser gesagt: familiäre Probleme. Ich werde mich jetzt ein wenig mit unserem frisch verhafteten Schönling beschäftigen.«

»Ich fürchte, ihm ist nicht mehr zu helfen«, meinte ich. »Immerhin wäre ich schon an einem Teller Rekreationssuppe fast gestorben - und er hat drei davon verputzt!«

»Ich habe nicht vor, ihm zu helfen, aber wer weiß - vielleicht beichtet er ja ein wenig«, meinte Juffin, hockte sich neben den Mann und begann, ihm erst die Ohren, dann den Hals zu massieren, doch seine rhythmischen Bewegungen verzauberten nur mich.

»Dreh dich lieber um«, hörte ich Juffins lautlosen Rat. »Es ist besser für dich, wenn du an dieser Sache nicht beteiligt bist.«

Mühsam wandte ich den Blick ab. Wie so oft tat Sir Juffin etwas, das ich von so einem soliden und respektheischenden älteren Gentleman nie erwartet hätte. Mit einem schrillen Schrei sprang er dem Unglücklichen auf den Magen, stieß sich von ihm wie von einem Sprungbrett ab und landete nach einem Salto wieder auf den Füßen.

»So prächtig hab ich mich schon lange nicht mehr amüsiert«, stellte Juffin fest. »Jetzt wird er sich bestimmt mit uns unterhalten.«

Mein Landsmann rührte sich tatsächlich ein wenig.

»Kela«, rief er. »Bist du das, Kela? Ich hab doch gewusst, dass wir uns irgendwann Wiedersehen.«

Wie in Trance näherte ich mich dem hässlichen Wesen.

»Wie heißt du?«, fragte ich.

Das war dumm von mir, ich weiß. Was ging mich sein Name schon an? Aber es war der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam.

»Keine Ahnung. Hier nennt mich niemand beim Namen. Hast du vielleicht etwas Suppe für mich? Sie lindert tatsächlich alle Schmerzen.«

»Das würde ich nicht gerade sagen«, gab ich zurück und blieb hartnäckig bei meiner Meinung über dieses Gericht. »Außerdem kannst du daran sterben.«

»Quatsch! Ich bin doch schon tot, aber jemand hat mich erweckt. Wer mag das gewesen sein?«

»Ich bin das gewesen«, meldete sich Sir Juffin Halli. »Und du brauchst dich dafür nicht mal bei mir zu bedanken.«

»Kann mir jemand sagen, wo ich bin?«, fragte das unglückliche Wesen. »Der Mensch hat doch wohl das Recht zu wissen, wo er gestorben ist.«

»Du bist zu weit von zu Hause entfernt, als dass dir der Name unserer Stadt etwas sagen würde«, bemerkte ich.

»Egal - ich möchte es einfach nur wissen.«

»Du befindest dich in Echo.«

»Liegt das nicht in Japan? Aber hier gibt's gar keine Schlitzaugen ... Du machst dich über mich lustig, stimmt's? Das machen ja hier alle. Ich war sehr lange hierher unterwegs und weiß nicht mehr, warum. Die alten Schachteln haben mir auch nicht sagen wollen, wo ich bin. Sie waren bestimmt froh, dass ich in der Klemme saß. Aber dort, wohin ich sie geschickt habe, geht es ihnen auch nicht besser.«

Erstaunt stellte ich fest, dass dieser zielstrebige Mann unerschütterlich von der Richtigkeit seiner Taten überzeugt war. Er war also doch besessen - genau wie Sir Maba Kaloch gesagt hatte.

»Kela hat mir versprochen, ich würde hier Sterbehilfe bekommen«, meldete sich der Fremde unerwartet wieder zu Wort. »Wie ist es jetzt? Willst du mir helfen?«

»Wer ist eigentlich Kela?«, erkundigte ich mich.

»Der Straßenbahnfahrer. Ich kenne ihn zwar nicht näher, doch er hat mir versichert, hier wäre alles bald vorbei. Er hat mich eigentlich selber töten wollen, es sich dann aber anders überlegt und gesagt, das würden andere tun. Kela ist mein Freund. Als Kind hatte ich auch nur einen, aber dem hab ich den Hund getötet. Doch Kela ist mein allerbester Freund«, sagte er, versuchte aufzustehen und sah mich dabei weder ängstlich noch freundlich an. »Dein Gesicht kenn ich doch! Dich hab ich doch schon irgendwo gesehen! Damals hast du allerdings noch nicht diesen Kittel getragen. Richtig - ich hab dich im Traum gesehen! Genau!«

Seine Kräfte verließen ihn. Er schloss die Augen und schwieg.

»Wo will er mich gesehen haben?«, fragte ich erstaunt.

»Das spielt jetzt keine Rolle«, murmelte Sir Kofa. »Merkst du nicht, dass mit ihm etwas passiert, was wir nicht begreifen? Es gibt langsam keine Hoffnung mehr.«

»Alles halb so schlimm, Kofa. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt«, meldete sich Juffin heiter zu Wort, wandte sich dann an mich und meinte: »Er hat dich im Traum gesehen - wo denn sonst? Ob es dir gefällt oder nicht: Zwischen euch existiert eine feste Verbindung. Eine gefährliche Verbindung, würde ich sagen. Und das ist das Problem, Max. Es tut mir leid, aber du wirst ihn wohl umbringen müssen.«