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»Was!?«

Ich war schockiert und wollte meinen Ohren nicht trauen. Die Welt ringsum geriet ins Rutschen - wie ein Sandhaufen, an dem der Bagger nagt.

»Warum soll ich ihn denn umbringen, Juffin? Die Todesstrafe ist doch längst abgeschafft. Das haben Sie mir selbst erzählt. Außerdem lebt er sowieso nicht mehr lange.«

»Darum geht es nicht. Sondern um dich. Dieser Fremdling hat deinen Eingang zu unserer Welt benutzt. Ich kann dir hier und jetzt nicht alles erklären, aber eins sollst du wissen: Wenn dieser Mensch eines natürlichen Todes stirbt, wird er für dich eine neue Tür zu unserer Welt öffnen. Diese Tür wird irgendwo auf dich warten. Niemand weiß, wie sie aussehen wird, und du hast zu wenig Erfahrung, um die Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Hinter dieser Tür zu unserer Welt jedenfalls wird der Tod auf dich warten, weil auch er hierherkommen will. Nur indem du deinen Landsmann tötest, zerstörst du diese sinnlose, dumme, nicht von dir gewollte Schicksalsverbindung. Und denk daran: Du hast keine Zeit zum Überlegen. Er stirbt. Also ...«

»Verstanden, Juffin«, sagte ich nickend. »Sie haben recht.«

Die Welt um mich herum erzitterte, verlor ihre Stabilität und zerstob in Millionen kleiner Funken. Alles ringsum wurde leuchtend und trüb zugleich, und ich sah tatsächlich, nein, ich fühlte einen Korridor, der mich mit dem Besessenen verband. Ich zweifelte sehr daran, dass wir zwei voneinander getrennte Wesen waren. Wir schienen siamesische Zwillinge zu sein, wie sie auf dem Jahrmarkt von Schaulustigen begafft werden. Es gab nur einen Unterschied: Uns verband nichts Körperliches, sondern ein für andere unsichtbarer spiritueller Bezug. Das hatte ich zwar nicht von Anfang an gewusst, doch kaum war ich mir die Hände waschen gegangen - als ob mir das hätte helfen können! war es mir aufgefallen. Dann hatte ich dieses gruselige Wissen verdrängt, bis Juffin es schließlich ausgesprochen hatte.

Ich fiel neben meinem schrecklichen Zwilling auf die Knie, zog das hübsche Küchenmesser - Edelstahl, rostfrei - aus der Innentasche seines Mantels und stach es ihm in den Solarplexus, ohne mir weiter Gedanken zu machen.

Eigentlich war ich nicht stark - eher im Gegenteil -, doch dieser Vorfall ließ mich meine Kräfte neu beurteilen, denn das Messer fuhr ihm in den Leib wie in ein Stück Butter.

»Du hast es geschafft, mein Freund«, röchelte der Fremdling.

Seine letzten Worte waren vernünftiger, als der Ablauf dieses merkwürdigen Tages hätte erwarten lassen. Ich ging mir erneut die Hände waschen. Nur so konnte ich mich für meine Tapferkeit belohnen.

Als ich an den Ort zurückkehrte, an dem ich den Mann getötet hatte, waren dort schon viele junge Mitarbeiter mit Eimern und Putzlappen versammelt. Die Leiche allerdings fehlte. Aus dem Büro von Sir Juffin drang das Klappern von Geschirr - meine Kollegen waren offenbar zum gemütlichen Teil des Tages übergegangen.

»Vielen Dank, dass ihr den Toten so schnell beseitigt habt«, sagte ich und setzte mich. »Ihr werdet lachen, aber ich habe nie zuvor jemanden umgebracht - nicht mal aus Spaß an der Freud. Die eine Puppe von Dschuba Tschebobargo, die ich mit eigenen Händen auf dem Gehsteig zerschmettert habe, zählt nicht. Jetzt hab ich meine Unschuld verloren - also habt Geduld mit mir.«

»Niemand hat ihn beseitigt, mein Junge«, sagte Kofa leise. »Er ist verschwunden, als du das Zimmer verlassen hast. Nur die Blutlache ist geblieben. Darum wird der Boden jetzt geputzt.«

»Wie geht's, Max?«, fragte Juffin und gab mir eine Tasse heiße Kamra.

»So lala. Ich fühle mich noch immer reichlich seltsam - als liefe durch die Erde ein Riss.«

»Verstehe, aber das geht vorbei. Du hast alles richtig gemacht. Ich hatte nicht erwartet, dass es dir so gut gelingen würde.«

»Immerhin trage ich den Todesmantel«, sagte ich lachend, denn Lachen ist mein einziger Weg, wieder zu mir zu finden.

»Sir Juffin, ich muss dringend was trinken«, meldete sich Melifaro. »Ich dachte, ich hätte mich in diesem Tollhaus inzwischen an alles gewöhnt, aber jetzt muss ich so schnell wie möglich was trinken.«

»Ich hab schon im Fressfass Bescheid gesagt«, beruhigte ihn Juffin. »Ich hoffe, du hältst noch zwei Minuten durch.«

»Schwer zu sagen. Erst praktizieren Sie diese merkwürdigen Riten. Dann verschwindet das Hauptbeweisstück. Und dennoch fühlen Sie sich nicht verpflichtet, etwas zu erklären?«

»Nein. Das täte ich zwar gern, aber ... Jedenfalls war diese Bluttat notwendig. Glaub mir, mein Junge.«

»Ja? Vielleicht ist das ja bloß ein neues Gesellschaftsspiel, von dem ich noch nichts mitbekommen habe. Sir Kofa, vielleicht kannst du mich beruhigen?«

»Ich muss auch was trinken«, sagte Kofa Joch mit wohlwollendem Lächeln. »Danach stehe ich dir zu Diensten.«

»Das ist kein Geheimer Suchtrupp, sondern ein Kindergarten«, warf ich ein. »Ich hab einen Mann getötet, merkt euch das. Und dann ist er verschwunden. So was gibt einem doch zu denken! Obwohl... - ich glaube, ich muss auch was trinken.«

»Meine Abteilung dürfte über die Stränge schlagen«, stellte Juffin fest. »Bleibt nur zu hoffen, dass sich wenigstens Lonely-Lokley beherrscht. Wo ist er eigentlich?«

»Haben Sie mich gerufen, Sir?«, fragte Schürf und stand unvermittelt in der Tür. »Ist der Mörder etwa noch immer nicht gefunden?«

Wir vier blickten uns an und lachten. Erst sah das wie ein hysterischer Anfall aus, doch nach ein paar Sekunden waren wir tatsächlich fröhlich. Schürf trat in Juffins Büro, setzte sich, musterte uns interessiert, wartete, bis wir uns beruhigt hatten, und fragte erneut: »Wie läuft's denn mit dem Serienmörder?«

»Mit dem ist alles in Ordnung - Max hat ihn getötet, und die Leiche ist verschwunden«, sagte Melifaro und lachte erneut.

Ich allerdings hatte keine Kraft mehr, mich seiner Freude anzuschließen. In diesem Moment klopfte glücklicherweise der Bote vom Fressfass. Er kam wirklich wie gerufen!

Nie im Leben hätte ich vermutet, eine ganze Tasse auf einen Zug auszutrinken. Und schon gar keine Tasse Dschubatinischen Säufer! Aber der Körper weiß am besten, was er braucht. Und wenn es so weit ist, vollbringt er wahre Wunder.

»Sir Juffin«, begann Lonely-Lokley gelassen, »sagen Sie mir wenigstens

»Es ist wirklich alles so gelaufen, wie Melifaro gesagt hat, Sir Schürf - vorausgesetzt, man lässt ein paar pikante Details aus.«

»Max, warum haben Sie den Täter ganz allein getötet? Dazu noch auf so primitive Art?«, fragte mich unser Profikiller nun, über meine dilettantische Pfuscherei empört.

»Ich bin eben manchmal blutrünstig, Sir Schürf«, antwortete ich schuldbewusst. »Mitunter kann ich mich einfach nicht beherrschen.«

In diesem Moment brach Juffin in lautes Gelächter aus - ein Gelächter der Erleichterung, wie ich hoffte.

Denn nun war ihm klar, dass mit mir wieder alles in Ordnung war.

»Das ist aber schlimm, Max«, sagte Lonely-Lokley erschrocken. »Angesichts Ihrer Neigungen müssen Sie sich beherrschen können. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen ein paar einfache Atemübungen, die Selbstkontrolle und innere Ruhe fördern.«

Meinem offiziellen Freund gegenüber wollte ich seriös wirken.

»Vielen Dank, Schürf. Das könnte mir wirklich nicht schaden. Doch ehrlich gesagt habe ich bloß gescherzt. Ich erzähle Ihnen später genau, was passiert ist, fürchte aber, es wird ziemlich viel sein.«

»Wenn etwas davon geheim bleiben soll, sollten Sie mich in Unkenntnis lassen. Ausgeplauderte Geheimnisse schaden der Wahrheit.«

»Hast du das gehört, Melifaro?«, fragte Sir Kofa. »Das ist auch für dich die Antwort auf alle Fragen.«

»Mir reicht's!«, gab Melifaro angeheitert zurück. »Ich hab was getrunken, und jetzt geht's mir besser. Zu den Magistern mit euch und all euren schrecklichen Geheimnissen - auch ohne sie bleibt das Leben schön! Doch solange Sir Schürf noch hier ist... Du denkst doch, ich hätte euch beide verschaukelt, du blutrünstiges Wesen! Max, damit meine ich dich!«