»Stimmt«, sagte ich kühl. »Und auch mir reicht's langsam.«
»Dann musst du aber Sir Manga, meinen Vater, kennenlernen, um dich davon zu überzeugen, dass ich nicht gelogen habe. Juffin, können Sie uns beiden einen freien Tag geben - nur einen einzigen?«
»Wozu sollte ich euch noch brauchen?«, meinte Sir Juffin und zuckte die Achseln. »Von mir aus könnt ihr sofort verschwinden. Aber ihr habt nur einen Tag frei, nicht länger. Verstanden? Und nun zu euch, Sir Kofa und Sir Schürf: Ihr beide seid morgen für die Sicherheit des Vereinigten Königreichs verantwortlich. Heute Nacht passt Kurusch ganz allein auf. Stimmt's, mein kluger Vogel?«, sagte Juffin und streichelte das Tier zärtlich am wolligen Genick. »Ich habe vor, jetzt vierundzwanzig Stunden zu schlafen. Lady Melamori trinkt bestimmt gerade exquisite Weine in Gesellschaft ihres trefflichen Großvaters, und Max und Melifaro gehen die Katzen im Umland erschrecken. Eine tolle Truppe hab ich da beisammen! Einen Garanten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung!«
»Was ist mit dir los, Max?«, fragte mich Melifaro. »Wenn wir heute Nacht abreisen, sind wir in ein paar Stunden am Ziel. Und wenn du dich ans Steuer setzt, brauchen wir sogar nur eine Stunde. Da draußen erwarten uns Landluft, viel gutes Essen und mein Vater. Das alles ist etwas Besonderes - das kannst du mir glauben. Obwohl meine Mutter auch nicht von Pappe ist.«
»Viel essen und die Eltern besuchen - das klingt gut«, stellte ich träumerisch fest. »Und die schnelle Fahrt dorthin klingt noch besser. Du bist ein Genie, Melifaro, und ich stehe ewig in deiner Schuld. Vielen Dank auch Ihnen, Juffin. Ihr beide habt mir das Leben gerettet.«
Ich hatte nicht übertrieben. Ein Tapetenwechsel war das Einzige, was ich gerade brauchte, aber ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich so viel Glück haben würde.
»Na, gehen wir?« Melifaro stand schon auf der Türschwelle und scharrte mit den Hufen. Er mochte es nicht besonders, zu lange auf einem Fleck zu hocken. Schon gar nicht, wenn er gerade einen Plan geschmiedet hatte.
»Ja, wir gehen doch gleich. Juffin, sagen Sie mir nur noch, ob ich diese tollen Klamotten auch in der Freizeit tragen muss.« Es kam mir unpassend vor, einen Familienbesuch im Todesmantel zu absolvieren.
»Tja, du hast schon wieder Glück«, lächelte Juffin maliziös. »Deinen Mantel musst du nur innerhalb der Stadt tragen. Aber ich hatte gedacht, dein Kostüm gefiele dir ausnehmend gut.«
»Stimmt. Ich will bloß vermeiden, dass die Hühner aufhören, Eier zu legen ... Was ist? Hab ich schon wieder was Falsches gesagt?«
»Sündige Magister! Es gibt schon wieder ein Geheimnis zu lüften«, sagte Melifaro, klatschte in die Hände und seufzte. »Was redest du da von Hühnern? Eier legen doch nur Puten - das kannst du einem Dorfjungen wie mir ruhig glauben!«
Melifaro sah sich meine Behausung lange an und versuchte herauszufinden, ob er es mit einem Asketen oder einem Geizkragen zu tun hatte. In der Zwischenzeit schaffte ich es, meine beiden Kätzchen Armstrong und Ella auf den Schoß zu nehmen und ausgiebig zu streicheln. Ich flüsterte ihnen alle möglichen Zärtlichkeiten ins Ohr, die mir gerade durch den Kopf gingen, und genoss ihr intensives Schnurren. Dann lief ich ins Schlafzimmer und suchte im Schrank nach Klamotten, die meinen Vorstellungen von Freizeitkleidung entsprachen. Mit halb gefüllter Reisetasche kehrte ich ins Wohnzimmer zurück.
»Fertig! Ich fürchte allerdings, du hast keinen allzu guten Eindruck von meinen Lebensumständen gewonnen. Aber es hilft nichts: Ich liebe mein Nest.«
»Was redest du da?«, fragte Melifaro verblüfft. »Natürlich gibt es hier keinen Luxus. Das ist ja nur die normale Wohnung eines einsamen Helden. Unsinn, Max, du hast dich sehr romantisch eingerichtet.«
»Möchtest du was trinken, bevor wir fahren? Manchmal glaube ich, der am wenigsten gastfreundliche Mensch von ganz Echo zu sein. Ich hab nichts. Wir müssten etwas im Gesättigten Skelett bestellen.«
»Den Magistern sei Dank! Ich hab im Haus an der Brücke viel zu kräftig zugelangt - zu viel Alkohol, zu viel Kamra und zu viel von allem anderen. Wir fahren, Max. Sonst falle ich noch vor Müdigkeit um. Und du bestimmt auch.«
»Bei mir ist das anders - vergiss nicht, dass ich ein Nachtantlitz bin. Meine Zeit beginnt erst jetzt. Gehen wir!«
»Weißt du, Max, du hast etwas Unheilverkündendes an dir«, bemerkte Melifaro und setzte sich ins A-Mobil. »Deine Vorliebe für das Nachtleben, dein riskantes Fahren, dein etwas irrer Blick und dein schwarzer Lochimantel... Du isst nicht mal Rekreationssuppe! Von deiner merkwürdigen Gewohnheit gar nicht zu reden, schutzlose Staatsfeinde mit bloßen Händen zu töten. Das ist ganz schön viel für einen Einzelnen. Kein Wunder, dass Lady Melamori Angst vor dir hat.«
»Angst! ?«
»Na klar. Hast du das noch nicht gemerkt? Als ich sah, wie sie dich anhimmelt, dachte ich: fetzt hab ich einen ernsthaften Konkurrenten bekommen. Dann stellte ich fest, dass alles nur halb so schlimm war wie anfangs vermutet. Die Lady hat vor dir so viel Angst wie vor Alpträumen.«
»Unsinn! Warum sollte sie denn Angst vor mir haben? Sie ist doch kein Dummerchen.«
»Genau darum geht es ja. Sie hat eine bessere Menschenkenntnis als alle anderen hier, wirklich. Frag sie doch selbst! Darf ich ein Nickerchen machen, solange wir unterwegs sind?«
»Wir werden aber ziemlich lange brauchen. Der einzige Weg, den ich ohne deinen Rat finden kann, führt in die Leeren Länder.«
Das war natürlich gelogen - noch nicht mal dorthin kannte ich den Weg!
»Und ich dachte immer, du weißt alles - genau wie Juffin.«
»Fast alles - bis auf Adressen, Geburtsdaten und andere sinnlose Details.«
»Solche Kleinigkeiten sind wirklich unnütz. Außerdem sollte man von anderen nicht zu viel wissen. Aber gut - ich werde dir den Weg zeigen. Du hast mir übrigens noch nichts von deinem jüngsten Fall erzählt. Es ist zwar wichtig, Geheimnisse zu bewahren, aber ich sterbe beinahe vor Neugier.«
»Der Mörder war mein unehelicher Bruder«, flüsterte ich unheilschwanger. »Wir sind beide Anwärter auf das Erbe unseres Vaters. Auf uns warten zwei Stuten und jede Menge Pferdeäpfel. Ich habe meine dienstliche Position genutzt, um meinen Rivalen zu beseitigen.«
»Seltsam«, meinte Melifaro betrübt. »Und das soll ein großes Geheimnis gewesen sein?«
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es keins sein müssen«, murmelte ich. »Aber seltsam ist das schon - und reichlich uninteressant.«
»Schlimme Geschichte«, meinte Melifaro leichthin. Anscheinend verfügte er über einen unerschöpflichen Vorrat an guter Laune. »Na ja, zu den Magistern mit deinem Geheimnis. Hier müssen wir links abbiegen. Du hättest wirklich Rennfahrer werden sollen, mein Junge.«
»Wie sieht es eigentlich bei dir zu Hause aus?«, wollte ich wissen. »Juffin hat mich mal auf Besuch zum alten Makluk mitgenommen. Dort hätte mich beinahe der Schlag getroffen. So viele Sänften und Lakaien! Ich hoffe, so was gibt es bei dir nicht.«
»Max, schau mich an! Bin ich etwa der Sohn von Leuten, bei denen penible Ordnung herrscht? Meine Mutter behauptet, der Gast habe nur eine Verpflichtung: satt zu sein. Und mein Vater verachtet dumme und überflüssige Regeln. Weißt du, seinetwegen muss ich ohne einen Vornamen leben.«
»Wirklich? Ich hab nie verstanden, warum du nur beim Nachnamen gerufen wirst. Ich hab dich immer fragen wollen, dachte aber, du hast vielleicht einen schrecklichen Vornamen ...«
»... den niemand erfahren sollte? Keine Sorge! Das ist kein wunder Punkt - ich hab einfach keinen Vornamen. Bei meiner Geburt machte mein Vater gerade seine berühmte Reise. Meine Mutter meldete sich jeden Tag bei ihm, um zu fragen, wie sie mich nennen sollte. Und jeden Tag hatte er eine neue Idee. Also hat sie ihn immer aufs Neue gefragt. Als ich drei Jahre alt war, hatte sie die ewige Fragerei satt und erkundigte sich ein allerletztes Mal, diesmal in aller Schärfe, doch Sir Manga war damals sehr beschäftigt. Womit, weiß ich nicht. Jedenfalls meinte er: -Wofür braucht das Kind eigentlich einen Vornamen? Bei dem Nachnamen!« Meine Mutter hatte ihre eigenen Vorstellungen von ehelicher Harmonie und sagte: »Wie du willst, mein Lieber. Später wirst du noch darüber jammern.« Sie wollte einfach nicht weiterstreiten. Schließlich ging es ja nicht um ihren Namen, sondern um meinen. So bin ich um einen Vornamen herumgekommen - und beklage mich darüber nicht.«