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»Bei mir ist es genau umgekehrt: Mit dem Vornamen hatte ich Glück - er ist das Einzige, wofür ich meinen Eltern dankbar bin.«

»Eben, du hast nur einen Vornamen!«, rief Melifaro nickend. »Ist das bei euch so üblich?«

»Eigentlich nicht, aber du hast doch mein Zuhause gesehen. Ich steh nicht so auf Luxus.«

»Und das ist auch gut so! Hier vorne rechts - und versuch mal, etwas langsamer zu fahren. Der Weg ist jetzt schlimm.«

»Langsamer? Niemals!«, rief ich kühn und raste über Schlaglöcher dahin.

»Wir sind da!«, stellte Melifaro erleichtert fest, als plötzlich eine hohe, dicht bewachsene Mauer auftauchte. »Leben wir noch? Max, du bist wirklich seltsam. Und so einen schrägen Vogel bringe ich mit nach Hause!

Aber zum Umkehren ist es zu spät. Nicht mal Juffin kann ich um Hilfe bitten - der ist nämlich noch schlimmer. Aber gehen wir, Sir Nachtalptraum.«

Die Bewohner des großen Hauses schliefen schon. Deshalb gingen wir leise in die Küche und vertilgten dort alles, was uns in die Hände geriet. Dann führte mich Melifaro in ein kleines, aber sehr gemütliches Zimmer.

»Wenn ich als Kind krank oder traurig war, hab ich immer hier geschlafen. Das ist der hübscheste Ort im ganzen Haus, glaub mir. Mach es dir bequem. Dieses Zimmer wirkt Wunder bei allen, die gerade einen schlimmen Tag hinter sich haben - so wie du. Erstens wirst du sehr schnell einschlafen, ganz anders, als du es gewöhnt bist. Und zweitens ... Aber das wirst du selber sehen. Diesen Teil des Gebäudes hat mein berühmter und hochgelehrter Großvater Philo Melifaro entworfen. Und er war nicht das letzte Mitglied im Orden des Geheimen Krauts.«

»Wirklich? Juffin hat mir mal ein Armband des Großen Magisters dieses Ordens geschenkt.«

»Na, da hast du Glück gehabt! Du solltest es immer dabeihaben, denn seine Wirkung ist stark. Ich gehe jetzt. Wenn ich nicht sofort ins Bett komme, sterbe ich vor Müdigkeit. Bis morgen, mein Wunder!«

Ich blieb allein zurück. Angenehme Müdigkeit umhüllte mich wie eine weiche Decke. Ich zog mich aus und inspizierte meinen Traumsalon. Dann schlug ich die Bettdecke zurück und schlüpfte in die warme Dunkelheit. Ich fühlte mich ruhig und gut. Schlafen wollte ich auf keinen Fall, sondern auf dem Bett liegen und nachdenklich an die Decke schauen. Was hätte ich auch Besseres tun sollen?

Die dunklen Balken über mir sahen herrlich aus. Ich hatte den Eindruck, sie zitterten leicht - wie kleine Wellen eines ruhigen Meers. Ihre rhythmische Bewegung schaukelte mich langsam in den Schlaf. Im Traum sah ich all die Orte, die ich besonders mochte: eine Stadt in den Bergen, einen Park im englischen Stil, Sandstrände. Nur von Echo träumte ich nicht. Aber das war auch kein Wunder: Die Stadt war längst Zentrum meines neuen Lebens geworden, und durch ihre Straßen spazierte ich Tag für Tag.

In dieser Nacht glitt ich leicht und nach Wunsch von einem Traum zum anderen. Nachdem ich lange genug durch den englischen Park spaziert war, wechselte ich an den Strand. Nach einer langen Zeit in den Dünen landete ich in einer Drahtseilbahn. Ein paar Mal hörte ich in der Nähe das leise Lachen von Maba Kaloch. Ihn selbst allerdings konnte ich nicht ausfindig machen. Doch allein sein Lachen empfand ich als bemerkenswertes Ereignis.

Kurz vor Mittag wachte ich auf und fühlte mich glücklich und frei. Die jüngsten Ereignisse erschienen mir wie ein Abenteuerfilm, vor der Zukunft hatte ich keine Angst, und die Gegenwart stellte mich rundum zufrieden. Ich wusch mich, zog eine strohgelbe Skaba und einen gleichfarbigen Lochimantel an, die ich am Vortag als Kontrast zu meiner Unheil verkündenden Arbeitskleidung eingepackt hatte, und meldete mich per Stummer Rede bei Melifaro.

»Schon aufgestanden? Du bist ja eine Rakete! Ich bleib noch ein wenig im Bett. Geh schon mal runter und trink Kamra mit meinem Vater. Oder trink sie allein, falls er schon weg ist. In einer halben Stunde komm ich zu dir.«

Ich ging ins Wohnzimmer, wo ich eine merkwürdige Szene erlebte. Ein hünenhafter junger Mann stampfte mit den Füßen auf den Boden, stützte sich dabei auf der Tischplatte ab und jammerte nach Leibeskräften: »Vater, warum?«

»Weil es so besser ist«, antwortete sein Gesprächspartner mit der Stimme eines Menschen, der viel gelitten hat. Es handelte sich um einen nicht besonders großen, elegant gekleideten Mann, dessen rotes Haar zu einem fantastischen Zopf geflochten war, der - das schwöre ich! - bis auf den Boden reichte. Nach einer Schrecksekunde war mir klar, dass Sir Manga Melifaro vor mir stand, der Verfasser der von mir so geliebten Enzyklopädie.

»Guten Tag, meine Herrschaften.«

Vor Zufriedenheit strahlend kam ich ins Zimmer, was ziemlich seltsam war, da ich Leuten gegenüber, die ich gerade erst kennenlerne, normalerweise sehr vorsichtig bin.

»Guten Tag, Sir Max. Begrüß unseren Gast, Bachba.«

»Guten Tag, Sir Max«, wiederholte der betrübte Riese brav.

»Und jetzt geh endlich zum Händler, mein Junge! Aber pass auf: Wir brauchen nur sechs Pferde. Sechs, also kein Dutzend! Wenn es nach mir ginge, bräuchten wir kein Einziges. Nur weil du so darum bettelst... Aber kein Dutzend! Verstanden?«

»Natürlich, Vater. Auf Wiedersehen, Sir Max. Sie haben mir Glück gebracht«, sagte der Riese und verließ sichtlich erfreut das Wohnzimmer.

»Das war mein Ältester«, stellte Sir Manga deutlich verwundert fest. »Ein Kind jugendlicher Leidenschaft, wie man so sagt. Es ist mir noch immer ein Rätsel, wie das passieren konnte.«

»Sie sind wirklich ein leidenschaftlicher Mensch, Sir Manga«, sagte ich lächelnd und goss mir eine Tasse Kamra ein, die noch besser schmeckte als im Fressfass - Ehrenwort!

»Kaum zu glauben, doch außer ihm und Melifaro habe ich noch einen Sohn, um mein Vaterherz zu ruinieren: Andschifa, den mittleren der drei. Er ist - ich schäme mich, es zu sagen - Pirat, und zwar einer der Schlimmsten, wenn man den Gerüchten im Hafen glauben kann. Und das, obwohl er ebenso unansehnlich ist wie ich.«

»Seemann zu sein, ist prima«, meinte ich. »Reisen macht Spaß. Man soll nicht immer hinterm Ofen hocken - davon wird man nur dick.«

»Sie passen wirklich gut zu meinem Jüngsten«, sagte Sir Manga und lächelte. »Sie haben eine genauso scharfe Zunge wie er.«

»Obendrein hat er nur den Nachnamen, ich nur den Vornamen. Aus uns beiden ließe sich ein vollständiger Bürger machen.«

»Stimmt. Sind Sie wirklich an der Grenze zwischen der Grafschaft Wuk und den Leeren Ländern geboren? Einen wie Sie hab ich dort noch nie getroffen.«

»Ich auch nicht!«, gab ich zurück und zuckte kaltblütig die Achseln. »Ich bin ein echtes Original.«

»Allerdings. Sir Max, ich muss Sie um Verzeihung bitten ...«

»Sündige Magister - wofür!?«

»Während Melifaro schläft, vertraue ich Ihnen ein Geheimnis an. Vor einiger Zeit hat er mich nach Sitten und Gebräuchen Ihrer Landsleute gefragt. Jetzt begreife ich, warum.«

»Wollte er etwas über die Riten der Freundschaft erfahren?«

»Genau. Hat Melifaro schon etwas Schrilles getan?«

»Er nicht, aber ein anderer.«

»Wissen Sie, Sir Max, ich bin ein eitler Mensch. Und wenn ich etwas nicht weiß ... Na ja, ich konnte mich doch nicht vor meinem Jüngsten blamieren. Also hab ich mir aus den Fingern gesogen, dass man in Ihrer Heimat um Mitternacht merkwürdige Lieder auf der Straße singen muss.«

»Er hat sie allerdings um zwölf Uhr mittags gesungen. Nachts bin ich im Dienst und hätte von dem Konzert nichts mitbekommen. Aber wir haben schon alles geklärt. Er hat mir versprochen, sich auf die Musik zu beschränken, die aus seinem makellosen Herzen kommt.«