»Ihr treuer Diener erwartet Sie jederzeit im kleinen Wohnzimmer - mit der besten Kamra der Hauptstadt.« Damit verschwand der Alte im Halbdunkel des Korridors.
Wir blieben allein - von dem Toten abgesehen, der uns nichts mehr erzählen konnte.
»Max«, begann Juffin mit deutlich gedämpfter Lebenslust. »Ich habe noch eine schlechte Nachricht: Kein einziger Gegenstand hier will seine Vergangenheit preisgeben. Sie alle sind ... wie soll ich sagen ... Ach, probieren wir es lieber noch mal zusammen! Dann wirst du es besser verstehen.«
Gemeinsam versuchten wir, das Gedächtnis der Dinge anzuzapfen, und konzentrierten uns dabei auf eine kleine, runde Dose mit Handcreme, die wir willkürlich vom Frisiertisch genommen hatten. Nichts! Schlimmer noch: Mir wurde plötzlich unheimlich wie in einem Alptraum, in dem man sich nicht rühren kann, weil SIE sich aus dem Dunkel nähern. Ich war mit den Nerven am Ende, und die Dose glitt mir aus der Hand. Im gleichen Moment ließen auch Juffins Finger locker, und die Handcreme fiel auf den Boden, prallte kurz hoch, rollte dann aber zu unserer Überraschung nicht Richtung Fenster, sondern zum Korridor. An der Türschwelle blieb sie mit einem kläglichen Klirren stehen und sprang noch mal schwach in die Höhe. Wie verzaubert hatten wir uns das Ganze angesehen.
»Sie haben recht, Sir«, brachte ich flüsternd hervor. »Die Dinge schweigen und haben Angst.«
»Ich wüsste nur gern, wovor. Es gibt zwar ähnliche Fälle, doch für die braucht man mindestens Magie hundertsten Grades. Aber hier ...«
»Welchen Grades?«
»Das hast du doch gerade gehört! Gehen wir. Wir müssen noch mit dem Haushofmeister und seinen Dienstboten reden. Hier können wir ohnehin nichts mehr ausrichten.«
Herr Gowins erwartete uns im kleinen Wohnzimmer, das für hiesige Verhältnisse wirklich bescheiden, nämlich etwas kleiner als eine Turnhalle war. Auf einem Tischlein dampften Becher mit Kamra. Juffin taute etwas auf.
»Gowins, ich muss alles über das Haus wissen, wirklich alles. Fakten - Klatsch und Tratsch - Gerüchte. Am besten aus erster Hand.«
»Ich bin hier der älteste Bewohner«, begann der Alte und lächelte schwach. »Was auch immer passiert ist - ich war dabei. Ich kann Ihnen, Ehrwürdiger Leiter, versichern, dass das Zimmer, in dem der Tote liegt, ein ganz gewöhnlicher Raum ist. Dort sind nie Wunder geschehen - weder erlaubte noch unerlaubte. Soweit ich mich erinnern kann, ist es immer ein Schlafzimmer gewesen, das mal bewohnt, mal unbewohnt war. Niemand hat sich je über Gespenster beklagt, und bis auf Sir Makluk-Olli ist dort niemand gestorben. Und Sir Olli hat fünf Jahre länger gelebt, als ihm prophezeit war.«
»Woran ist er eigentlich gestorben?«
»Da hat vieles zusammengewirkt. Schon als Kind hatte er ständig gesundheitliche Probleme - ein schwaches Herz, einen empfindlichen Magen, zerrüttete Nerven. Und vor zehn Jahren hat er seinen Funken verloren.«
»Sündige Magister! Im Ernst?«
»Absolut. Er hat trotzdem eine erstaunliche Seelenkraft besessen. Sie wissen vermutlich, dass Leute, die den Funken verloren haben, danach selten länger als noch ein Jahr leben. Man sagte Sir Olli, wenn er das Haus nicht verlasse und faste, habe er noch fünf Jahre vor sich - vorausgesetzt, er finde eine gute Heilerin. Er ist zehn Jahre in seinem Schlafzimmer geblieben und hat gefastet. Außerdem hat er zwölf dumme, aber erfahrene alte Gesundbeterinnen engagiert, die seinen Schatten die ganze Zeit abwechselnd bewacht haben. Damit hat Sir Olli einen Familienrekord aufgestellt. Weil die alten Frauen nur bei sich zu Hause gezaubert haben, ist in seinem Schlafzimmer in all den Jahren nie etwas Besonderes passiert.«
Sir Juffin vergaß nicht, mir per Stummer Rede eine Erklärung zu schicken: »Den Funken zu verlieren bedeutet, sich nicht mehr vor dem Bösen schützen zu können. Ein ganz normales Essen kann für so einen unglücklichen Menschen Gift sein, und ein Schnupfen kann ihn innerhalb weniger Stunden umbringen. Was es damit auf sich hat, dass die heilkundigen Frauen seinen Schatten bewachten, erkläre ich dir später - das ist nämlich etwas komplizierter.«
»Der arme Sir Makluk-Olli hat ein sehr ruhiges Leben geführt«, fuhr Gowins fort. »Nur einmal - vor gut zwei Jahren - ist er unvermittelt aus der Haut gefahren und hat mit der Waschschüssel nach seinem Diener Maddi geworfen, weil das Wasser an jenem Tag etwas heißer war als üblich. Wegen dieses Vorfalls habe ich Maddi eine Prämie gezahlt. Aber auch ohne Geld hätte der Diener keinen Krach geschlagen. Allen hat es wirklich leidgetan, den armen Sir Olli so zu erleben. Andere Diener haben solche Fehler übrigens nicht begangen, und Sir Olli hat danach nie wieder randaliert. Mehr fällt mir dazu eigentlich nicht ein.«
Juffin schaute ihn finster an. »Vor mir brauchst du nichts zu verbergen, mein Alter. Deine Loyalität zu diesem Haus schätze ich sehr. Nur habe ausgerechnet ich Sir Makluk vor anderthalb Jahren geholfen, einen unangenehmen Fall zu klären. Damals hat sich ein junger Mann aus Gazin in diesem Haus die Kehle durchgeschnitten. Also gieß Balsam auf mein müdes Herz und verrate mir, was im Schlafzimmer passiert ist.«
Der alte Diener nickte.
»Wenn du glaubst, Gowins' Aussage werde die Lage klären, irrst du dich«, sagte mir Juffin in Stummer Rede und zwinkerte mir zu. »Er will nur den Anschein erwecken, bei der Aufklärung des Falls mitzuhelfen, versucht in Wirklichkeit aber, uns auf eine falsche Spur zu führen. Das riecht nach Magie aus der Epoche der Alten Orden - egal was der Pfeifenzeiger dazu sagt. Na ja, umso besser, wenn im Leben nicht alles den Erwartungen entspricht.«
Juffin wandte sich an Gowins. »Ich will den Diener sprechen, der den Toten heute gefunden hat. Und ich möchte mit dem reden, der den Mann mit der durchgeschnittenen Kehle entdeckt hat. Außerdem will ich die heilkundigen Frauen sehen, die bei Sir Makluk-Olli Wache gehalten haben. Und lass bitte für alle Anwesenden einen Becher von dieser vortrefflichen Kamra bringen. Und - na ja, auf jeden Fall soll das unglückliche Opfer häuslicher Gewalt erscheinen. Du weißt schon: der, den die Waschschüssel getroffen hat.«
Gowins nickte noch, da tauchte in der Tür schon ein grau gekleideter Mann mittleren Alters auf, der ein Tablett voller Kamra-Becher trug. Das war Herr Maddi - das Opfer des Schüsselwurfs und obendrein der Hauptzeuge des heutigen Verbrechens. Triumph der Ökonomie! Davon können Sie noch was lernen, meine Herrschaften! Eine Person kommt rein, und gleich sind drei von fünf Wünschen erfüllt!
Maddi wurde rot vor Verlegenheit, bewahrte aber Haltung, verneigte sich und meldete kurz und bündig, heute Abend als Erster ins ehemalige Schlafzimmer von Sir Makluk-Olli gekommen zu sein. Zunächst habe er aus dem Fenster geschaut, weil die Sonne gerade glühend untergegangen sei. Dann habe er die Augen gesenkt und entdeckt, was nicht zu übersehen gewesen sei. Er habe sich sofort entschieden, nichts zu berühren. Stattdessen habe er Herrn Gowins gerufen.
»Meinem Kollegen Schuwisch habe ich befohlen, im Korridor zu bleiben. Er ist zu jung, um so etwas zu sehen**, sagte Maddi und zuckte schuldbewusst die Achseln, als fürchtete er, seine Kompetenzen überschritten zu haben.
»Du hast also keinen Lärm gehört?«
»Lärm, Sir? Das Schlafzimmer ist schallisoliert. Sir Olli hatte das so gewollt. Man kann schreien, so laut man will, und stört doch niemanden. Natürlich wird man auch von niemandem gestört.«
»Das ist mir schon klar. Und was für einen Streit hattest du damals mit Sir Olli? Du sollst dabei ja reichlich nass geworden sein.«
»Einen Streit, Ehrwürdiger Leiter? Er war ein kranker Mann, und man konnte ihm nichts recht machen. Er hat mir immer wieder ausführlich erklärt, wie warm sein Wasser sein soll, hatte es sich aber bis zum nächsten Tag anders überlegt. Jedes Mal habe ich getan, wie mir befohlen, doch eines Tages ist er zornig geworden und hat mit der Waschschüssel nach mir geworfen. So kräftig, dass er fast daran gestorben wäre. *< Begeistert schüttelte Maddi den Kopf.