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Aber Sie befänden sich doch im Krieg, meinen Sie? Ja, da haben Sie nicht unrecht. Ich befand mich mit Amerika nicht im Krieg. Ganz und gar nicht: Ich war das Produkt einer amerikanischen Universität, ich bekam ein lukratives amerikanisches Gehalt, ich war in eine Amerikanerin verliebt. Warum wünschte also ein Teil von mir, dass Amerika Schaden zugefügt wurde? Damals wusste ich das noch nicht; ich wusste nur, dass meine Empfindungen für meine Kollegen nicht hinnehmbar sein würden, und ich tat alles, sie vor ihnen zu verbergen. Als mein Team abends dann in Jims Zimmer zusammenkam, gab ich mich ebenso schockiert und gequält, wie ich es auf den Gesichtern um mich herum sah.

Doch als ich sie von ihren Angehörigen sprechen hörte, schweiften meine Gedanken zu Erica, und da brauchte ich dann nicht mehr zu heucheln. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass sich das Sterben auf den begrenzten Raum dessen beschränkte, was später Ground Zero heißen sollte. Ebenso wenig wusste ich, dass Erica zu Hause in Sicherheit war, als die Angriffe stattfanden. Ich war fast erleichtert, dass ich mich um sie sorgte und nicht schlafen konnte; das gestattete mir, die Besorgnis meiner Kollegen zu teilen und mein anfängliches Gefühl der Freude eine Zeitlang zu ignorieren.

Wir konnten Manila mehrere Tage nicht verlassen, da die Flüge gestrichen waren. Am Flughafen wurde ich von bewaffneten Sicherheitsleuten in einen Raum gebracht, wo ich mich bis auf meine Boxershorts ausziehen musste – peinlicherweise hatte ich eine pinkfarbene mit Teddybären darauf angezogen, doch deren Enthüllung entlockte den strengen Mienen der Beamten keine Reaktion –, daher war ich der Letzte, der an Bord unseres Flugzeugs ging. Mein Erscheinen löste bei vielen Mitreisenden besorgte Blicke aus. Auf dem Flug nach New York war mir mein eigenes Gesicht unbehaglich: Ich spürte, dass man mich misstrauisch beobachtete, ich fühlte mich schuldig, daher versuchte ich, so lässig wie möglich zu sein, was natürlich dazu führte, dass ich steif und befangen wurde. Jim, der neben mir saß, fragte mich mehrmals, ob alles in Ordnung sei.

Nach unserer Ankunft wurde ich bei der Passkontrolle von meinen Kollegen getrennt. Sie stellten sich in die Schlange für US-Bürger, ich mich in die für Ausländer. Die stämmige Beamtin, die meinen Pass überprüfte, trug eine Pistole an der Hüfte und beherrschte das Englische schlechter als ich; ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu entwaffnen. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?«, fragte sie mich. »Ich lebe hier«, antwortete ich. »Danach habe ich Sie nicht gefragt, Sir«, sagte sie. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?« Unser Wortwechsel ging so mehrere Minuten lang. Schließlich wurde ich zu einer Untersuchung in einen Raum gebracht, wo ich dann neben einem tätowierten Mann in Handschellen auf einer Metallbank saß. Mein Team wartete nicht auf mich; als ich endlich wieder in der Abfertigungshalle war, hatten sie schon ihr Gepäck geholt und waren gegangen. Folglich fuhr ich an dem Abend sehr allein nach Manhattan.

Wovor zucken Sie zurück? Ah ja, die Fledermäuse, sie fliegen ziemlich tief. Sie werden uns nichts tun, diesbezüglich kann ich Sie ganz und gar beruhigen. Das wissen Sie, sagen Sie? Aber warum so kurz angebunden? Ich verstehe ja, dass ich Sie beleidigt, vielleicht sogar verärgert habe. Aber überrascht habe ich Sie vermutlich doch nicht ganz. Bestreiten Sie das? Nein? Das ist für mich von nicht unerheblichem Interesse, denn wir sind uns vorher noch nicht begegnet, und dennoch scheinen Sie zumindest einiges über mich zu wissen. Vielleicht ziehen Sie gewisse Schlüsse aus meinem Äußeren, meinem schimmernden Bart; vielleicht sind Sie dem Bogen meiner Geschichte lediglich mit dem unheimlichen Geschick eines Skeetschützen gefolgt, vielleicht haben Sie auch ... Aber genug mit diesen Spekulationen! Jetzt sollten wir erst einmal einen Blick auf die Speisekarte werfen; ich habe zu viel geredet, und ich fürchte, ich habe meine Gastgeberpflichten vernachlässigt. Außerdem möchte ich doch auch mehr von Ihnen hören: was Sie nach Lahore führt, bei welcher Firma Sie arbeiten und so weiter und so fort. Die Nacht senkt sich immer tiefer um uns herum, und trotz der Lichter über dem Markt liegt Ihr Gesicht weitgehend im Schatten. Da unsere Augen von immer geringerem Nutzen sind, wollen wir es den Fledermäusen nachtun und uns unserer anderen Sinne bedienen. Ihre Ohren sind wahrscheinlich erschöpft und es wird Zeit, dass Sie Ihre Zunge gebrauchen – zum Schmecken, wenn schon zu nichts anderem, obwohl ich hoffe, dass ich Sie zum Sprechen bewegen kann!

6

Sie zögern, Sir; ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen. Wenn Sie noch nicht bereit sind, den Zweck Ihrer Reise hierher zu enthüllen – und Ihr Benehmen schließt die Möglichkeit, dass Sie als Tourist ziellos durch diesen Teil der Welt streifen, praktisch aus –, will ich nicht darauf bestehen. Ah, offenbar haben Sie einen Geruch wahrgenommen. Ihnen entgeht nichts; Ihre Sinne sind so scharf wie die eines Fuchses in freier Wildbahn. Recht angenehm, nicht wahr? Ja, Sie haben recht: Es ist Jasmin. Er kommt, wie Sie, Ihrem Blick nach zu urteilen, schon vermuten, vom Nachbartisch, wo die Familie sich gerade zum Essen niedergelassen hat.

Welch ein Kontrast: die Blässe dieser Blüten, die mit Nadel und Faden zu einem lockeren Armband gefügt sind, auf der dunklen Haut der Dame! Und welch ein Kontrast auch das: die Zartheit ihres Dufts gegen den deftigen Geruch des bratenden Fleischs! Es ist wahrhaft bemerkenswert, dass wir Menschen fähig sind, uns am Lockruf einer Blume zu erfreuen, während wir noch von den verkohlten Kadavern unserer Mitgeschöpfe umgeben sind – aber wir sind ja auch bemerkenswerte Wesen. Vielleicht liegt es in unserer Natur, unbewusst das Bindeglied zwischen Sterblichkeit und Fortpflanzung zu erkennen, zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen sozusagen, und tatsächlich werden wir von den Mahnungen des Einen angetrieben, das Andere zu suchen.

Ich weiß noch, wie ich beim Tod meiner Großmutter mütterlicherseits den Auftrag erhielt, solche Blumen zu kaufen. Ich war damals sechzehn und in Besitz eines gefälschten Anfängerführerscheins für Motorfahrzeuge – er gehörte meinem Bruder –, und ich fand es so aufregend, am Steuer eines Automobils zu sitzen, dass meine Familie mir regelmäßig Dinge zu erledigen gab, die sonst vielleicht der Chauffeur gemacht hätte. Unser Toyota Corolla war liebevoll gewartet, kam aber in die Jahre und neigte daher – wie auch in jenem konkreten Fall – zum Überhitzen. Bis zum heutigen Tag erinnere ich mich noch an das berauschende Aroma der Stränge aufgefädelten Jasmins, die sich auf meinen Armen türmten, als ich, in der Sommersonne schwitzend, zum Friedhof ging.

Nach der Zerstörung des World Trade Center trug New York Trauer, und in den Schreinen für die Toten und Vermissten, die während meiner Abwesenheit aufgestellt worden waren, spielten Blumenmotive eine große Rolle. Ich schaute sie mir häufig an, wenn ich daran vorbeiging: Fotos, Sträuße, Worte der Anteilnahme – an Straßenecken, zwischen Geschäften und an die Geländer öffentlicher Plätze geschmiegt. Sie erinnerten mich an meine unfreundliche, ja, unmenschliche Reaktion auf die Tragödie, und ich bildete mir ein, beständig ein vorwurfsvolles Gemurmel von ihnen zu hören.

Andere Vorwürfe waren viel lauter. Nach den Anschlägen eroberte die Fahne Ihres Landes New York; sie war überall. Kleine, an Zahnstocher befestigte Fahnen steckten an den Schreinen, Fahnensticker schmückten Windschutzscheiben und Fenster, große Fahnen flatterten an Gebäuden. Allesamt schienen sie zu verkünden: Wir sind Amerika – nicht New York, was meiner Ansicht nach etwas völlig anderes bedeutet –, die mächtigste Zivilisation, die die Welt jemals gesehen hat; ihr habt uns gekränkt; hütet euch vor unserem Zorn. Wenn ich zu den aufragenden Türmen der Stadt hinaufblickte, fragte ich mich, was für Heere aus einer so großmächtigen Burg hervorbrechen würden.