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Wo war ich stehen geblieben? Richtig, ich habe Ihnen von Erica und meiner Rückkehr nach New York erzählt. Nachdem sie in meiner Wohnung geschlafen hatte, ging sie mit erfreulicher Regelmäßigkeit mit mir aus. Ich begleitete sie zu Spendenaktionen, wo sie Geld für die Opfer des World Trade Center sammelte, zu Essen in den Häusern ihrer Freunde – und es waren tatsächlich Häuser, Brownstones, die als Einfamilieninseln im Manhattaner Wohnungsmeer erhalten waren –, zu Eröffnungen und privaten Besichtigungen für Förderer der Künste. Ich wurde praktisch ihr offizieller Begleiter bei den Events der New Yorker Society.

Diese Rolle gefiel mir sehr. Ich war tatsächlich so vermessen zu glauben, dass mein Leben genau so sein sollte, dass es gewissermaßen unausweichlich war, mit den richtig Reichen in solch gehobenen Sphären zu verkehren. Erica bürgte dafür, dass ich ihrer Kreise würdig war; meine Art des Auftretens zeugte – so redete ich mir ein – von meiner tadellose Kinderstube, und bei denen, die weitere Fragen stellten, genügten stets mein Abschluss in Princeton und meine Visitenkarte von Underwood Samson, um ein respektvolles, zustimmendes Nicken zu ernten.

Rückblickend erkenne ich nun, dass dieser Situation eine gewisse Symmetrie anhaftete: Ich spürte, dass ich in New York in genau die soziale Schicht eintrat, aus der meine Familie in Lahore zunehmend herausfiel. Vielleicht erklärte das zu einem Großteil das Behagen und die Befriedigung, die ich in meiner neuen Umgebung fand. Doch ein noch größerer Teil meines Glücks jener Tage ging darauf zurück, dass ich regelmäßig in Ericas Gesellschaft war. Ich konnte sie, ungelogen, stundenlang betrachten. Der Stolz in ihrer Haltung, die muskulöse Schlankheit ihrer Arme und Schultern, das Unvermögen ihrer Kleider, die Erinnerung an die nackten Brüste zu verhüllen, die ich in Griechenland gesehen hatte: All das erfüllte mich mit Begehren.

Doch ebenso erfüllte mich Fürsorglichkeit. Häufig, wenn wir inmitten einer makellos gekleideten Menge standen oder saßen, beobachtete ich, dass sie völlig losgelöst war, versunken in ihre eigene Welt. Ihr Blick war nach innen gerichtet, und Bemerkungen ihrer Begleiter waren ihrem Gesicht nur indirekt abzulesen, so wie Wolkenschatten, die über einen See gleiten. Sie lächelte, wenn man sie darauf aufmerksam machte, dass sie abwesend wirkte, und sagte, sie sei mal wieder geistig weggetreten. Doch ich vermutete zunehmend, dass ihre Pausen nicht lediglich der Geistesabwesenheit geschuldet waren; nein, sie kämpfte gegen einen Strom an, der sie mitzureißen drohte, und ihr Lächeln enthielt die Furcht, sie könnte in ihre eigenen Tiefen abgleiten, wo sie gefangen wäre und nicht atmen könnte. In diesen Momenten wünschte ich, ich könnte ihr Anker sein, ohne so geschmacklos zu sein, sie spüren zu lassen, dass dies eine Rolle war, die meiner Meinung nach irgendwer bei ihr übernehmen musste. Ich fand heraus, dass ich ihr dies am besten vermittelte, indem ich eine Berührung mit ihr provozierte, zum Beispiel meine Hand auf den Tisch so dicht wie möglich an ihre legte, ohne dabei Kontakt herzustellen, und dann darauf wartete, dass sie sich meiner körperlichen Präsenz bewusst würde, worauf sie, als erwachte sie aus einem Traum, den Kopf schütteln und die Kluft zwischen uns mit einer kleinen Zärtlichkeit überbrücken würde.

Vielleicht hielt mich aber gerade diese Fürsorglichkeit davon ab, Erica zu küssen; ebenso mochten es Schüchternheit und Ehrfurcht gewesen sein, die Begleiter der ersten Liebe. Wie auch immer, mehrere Wochen vergingen, bis Erica mich eines Abends, nach einem burmesischen Essen im East Village, ihre Freunde winkten schon Taxis heran und gingen auseinander, zurückhielt. »Ich muss dir was erzählen«, sagte sie. »Ich möchte feiern.« »Warum?«, fragte ich. »Weil«, sagte sie breit lächelnd und drückte die Fingerspitzen zusammen, »weil ich einen Agenten habe!« Ihre anfänglichen Versuche, ihr Manuskript wahllos anzubieten, seien erfolglos geblieben, erklärte sie. Unlängst habe sie es aber an eine Agentur geschickt, die einen Freund der Familie vertrat, und nun habe eben am Nachmittag ein Junioragent eingewilligt, sie anzunehmen. Bedenken habe er nur bezüglich der Länge – da die Novellenform, so seine Worte, eine knifflige Sache sei –, doch nach einigem Nachdenken sei er zu dem Schluss gekommen, sich bei einigen Verlagen dafür starkzumachen. Ich gratulierte ihr und sagte, ich wolle sie liebend gern bei jedem Abenteuer begleiten, das sie für den Abend vorhabe; sie schlug vor, eine Magnumflasche Champagner zu kaufen und damit in meine Wohnung zu gehen, die gleich um die Ecke lag.

Das sagte sie, als sei es das Natürlichste auf der Welt; ich bekundete ebenso locker lächelnd – so gut ich eben konnte – meine Zustimmung. Aber uns beiden war klar, das kann ich wohl mit Sicherheit sagen, dass allem, was wir taten, nun eine gewisse Schwere anhaftete. Ich jedenfalls stellte mich ungewöhnlich ungeschickt an, als ich in meiner Tasche kramte, erst in einem Spirituosenladen nach Geld, später auf der Treppe vor meinem Haus nach den Schlüsseln. Es war ein frischer Oktobertag, und Erica trug warme Sachen; drinnen zog sie ihre ärmellose Jacke und ihren Baumwollpullover aus, streifte eine Schicht nach der anderen ab, bis sie nur noch ihre Lieblingskleidung trug: T-Shirt und Jeans. Mangels einer Kerze schaltete ich den Fernseher an und drückte die Stummtaste, wodurch ich den Raum in ein matt flackerndes Licht tauchte. Wir tranken aus zwei schön verzierten Silberbechern, ein Examensgeschenk eines Onkels, weswegen der Champagner einen metallischen, aber nicht unangenehmen – und eigentlich ziemlich exotischen – Geschmack annahm.

»Mich hat’s heute beim Taekwondo erwischt«, sagte Erica. »Wir waren beim Sparring, und ich musste gegen eine Frau antreten, die richtig schnell ist. Sie hat mich direkt unter der Achselhöhle erwischt. Da« – sie berührte die Stelle –, »ich spüre es noch beim Atmen. Eine ziemlich heftige Prellung.« Sie sah mich an. Ich betastete mein Knie, folgte der Narbe von meiner Operation. Dann sagte Erica: »Willst du mal sehen?« Ich musterte sie, versuchte herauszufinden, ob sie vielleicht scherzte; offenbar nicht. Also nickte ich nur, unfähig, meiner Stimme zu vertrauen. Ich hatte geglaubt, sie werde lediglich ihr T-Shirt hochziehen, doch sie zog es ganz aus und hob den Arm. Ich starrte sie an. Ich hatte sie schon vorher im Bikini gesehen – ja, sogar oben ohne –, doch wie sie da so im BH auf meinem Futon saß, war mir, als hätte ich sie noch nie so nackt gesehen. Ihr Körper hatte seine Bräune verloren und erschien im Schein des Fernsehers fast blau, und sie war sogar noch durchtrainierter als in meiner Erinnerung. Sie schien wie aus einer anderen Welt; sie hätte mitten aus einem pornografischen Roman sein können. Ich befahl mir, mich auf ihren Bluterguss zu konzentrieren; er saß fett und dunkelrot oberhalb ihres Brustkorbs, zweigeteilt vom Träger des BH.

Unwillkürlich streckte ich die Hand aus. Dann zögerte ich. Erica erwiderte wachsam meinen Blick, doch ihr Ausdruck blieb unverändert, also berührte ich sie, legte die Finger auf den Bluterguss. Sie hob die Hand zum Hinterkopf, als ich die Rippenlinie nachzog. Ich spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam, und ich zog sie an mich, umarmte sie sanft und küsste sie erst auf die Stirn, dann auf die Lippen. Sie reagierte nicht, sie wehrte sich nicht, sie ließ es einfach geschehen, dass ich sie auszog. Zuweilen spürte ich, wie sie sich an mir festhielt, oder ich hörte ein ganz leises Stöhnen. Hauptsächlich aber war sie stumm und reglos, doch mein Begehren war so stark, dass ich die wachsende Wunde, die ihr Verhalten meinem Stolz zufügte, unbeachtet ließ und weitermachte. Ich fand es schwierig, in sie einzudringen, es war, als wäre sie nicht erregt. Sie sagte nichts, während ich in ihr war, doch mir blieb ihr Unbehagen nicht verborgen, also zwang ich mich aufzuhören.

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Nein, mir tut es leid«, sagte ich. »Es gefällt dir nicht?« »Ich weiß nicht«, sagte sie, und zum ersten Mal in meiner Gegenwart füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich werde einfach nicht feucht. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.« Ich hielt sie in den Armen, und während wir dalagen, erzählte sie mir, ich sei der erste Mann, mit dem sie seit Chris zusammen gewesen sei – überhaupt der einzige außer Chris. Seit seinem Tod, sagte sie, habe ihre Sexualität weitgehend geruht. Sie habe nur einmal einen Orgasmus bekommen, und auch nur, als sie es sich mit ihm vorstellte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte sie trösten, sie in ihr Inneres begleiten und ihr gestatten, weniger allein zu sein. Also bat ich sie, mir von ihm zu erzählen, wie es dazu gekommen war, dass sie sich küssten, dass sie sich liebten. »Das willst du wirklich wissen?«, fragte sie. Ich bejahte, und so erzählte sie es mir.