»Die Wirtschaft ist ein Tier«, fuhr Jim fort. »Sie entwickelt sich. Erst brauchte sie Muskeln. Dann strömte alles verfügbare Blut in ihr Gehirn. Und da wollte ich sein. Im Finanzwesen. Im Koordinierungsgeschäft. Und da sind auch Sie. Sie sind Blut, das von einem Körperteil herangeschafft wurde, das für die Spezies keine Funktion mehr hat. Vom Steißbein. Wie ich auch. Wir kamen von Stellen, die langsam verkümmerten.« Ich hatte den Reifen gewechselt, also schloss ich den Kofferraum und entriegelte die Türen. »Den meisten ist das nicht klar, mein Junge«, sagte er, während er sich neben mich zwängte und mit dem Kopf auf das dunkle Gebäude zeigte, das wir verlassen hatten. »Die versuchen, sich dem Wandel zu widersetzen. Mächtig wird man, wenn man selbst zum Wandel wird.«
Ich ließ mir durch den Kopf gehen, was Jim gesagt hatte – an dem Abend auf der Fahrt nach Manhattan und auch in den Wochen darauf. Seine Worte enthielten etwas Wahres, aber ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass der Ort, von dem ich kam, zum Absterben verdammt war. Also verweilte ich lieber bei dem positiven Aspekt seiner kleinen Predigt: bei dem Gedanken, dass ich mir mit meinem Ehrgeiz einen Bereich gesucht hatte, der von immer größerer Bedeutung für die Menschheit sein und mir daher wahrscheinlich ein immer weiter steigendes Einkommen bescheren würde. Auch fand ich mich besser gerüstet, die Abneigung, die um uns brodelte, als wir in jenem Herbst in der Firma in New Jersey unserer Arbeit nachgingen, als töricht oder wenigstens kurzsichtig anzusehen.
Aber es wäre nicht richtig zu sagen, dass ich völlig unbeschwert war. Unter den Mitarbeitern der Kabelfirma waren auch Ältere. Manchmal saß ich in der Caféteria in ihrer Nähe – wenn auch nie am selben Tisch; die Plätze neben unserem Team blieben immer leer –, und ich stellte mir vor, dass viele von ihnen Kinder in meinem Alter hatten. Wenn das Englische eine respektvolle Form des du hätte – wie wir im Urdu –, dann hätte ich sie, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, damit angeredet. So aber ließ mir der Rahmen unserer Begegnungen nur minimalen Raum, ihnen meine Achtung – oder gar Sympathie – zu bezeugen. An einem der vielen Wochenendabende, die wir im Büro verbrachten, sprach ich darüber mit Wainwright, und der sagte: »Mann, du arbeitest für den Boss. Hat dir das keiner bei der Einweisung gesagt?« Dann lächelte er mich müde an und fuhr fort: »Aber ich verstehe, was du sagen willst. Denk nur immer daran, dass deine Projekte erledigt werden, ob du nun daran mitarbeitest oder nicht. Und immer an die Fundamentals denken.«
An die Fundamentals denken. Das war bei Underwood Samson das Leitprinzip, das uns vom ersten Arbeitstag an eingetrichtert worden war. Es forderte eine unbeirrbare Konzentration auf die finanziellen Feinheiten, darauf, den wahren Gehalt der Faktoren herauszufieseln, die den Wert eines Assets bestimmen. Und genau das tat ich weiterhin, meistens mit Geschick und Begeisterung. Denn ganz ehrlich, Sir, Mitleid für die bald an die Luft gesetzten Beschäftigten stellte sich nicht übermäßig häufig ein; unsere Arbeit erforderte einen Einsatz, der für solcherlei Ablenkungen wenig Zeit ließ.
Dann aber geschah in der zweiten Oktoberhälfte etwas, was meinen Gleichmut erschütterte. Es war kurz nachdem Erica und ich ergebnislos versucht hatten, miteinander zu schlafen – vielleicht ein, zwei Tage danach, genau erinnere ich mich nicht mehr daran. Afghanistan wurde schon seit vierzehn Tagen bombardiert, und ich hatte die Abendnachrichten gemieden, da ich mir die parteiische Berichterstattung, die sich wie die eines Sportereignisses ausnahm, angesichts des Missverhältnisses zwischen den amerikanischen Bombern mit ihrer Bewaffnung des einundzwanzigsten Jahrhunderts und den schlecht ausgerüsteten und schlecht versorgten afghanischen Stammesangehörigen am Boden, nicht anschauen wollte. Sah ich mich dann doch einmal mit solchen Programmen konfrontiert – etwa in einer Bar oder am Eingang der Kabelfirma –, fühlte ich mich an den Film Terminator erinnert, allerdings mit vertauschten Rollen, so dass die Maschinen die Helden waren.
Was mich so mitnahm, ereignete sich, als ich selbst den Fernseher anschaltete. Ich war nach Mitternacht von New Jersey nach Hause gekommen und zappte durch die Kanäle auf der Suche nach einer beruhigenden Sitcom, als ich auf eine Nachrichtensendung mit gespenstischen Nachtsichtbildern von amerikanischen Truppen stieß, die gerade in Afghanistan eindrangen, um dort, wie es hieß, einen wagemutigen Überfall auf einen Kommandoposten der Taliban durchzuführen. Meine Reaktion traf mich unvorbereitet; Afghanistan war das Nachbarland Pakistans, mit uns befreundet und außerdem ebenfalls ein muslimisches Land, und vom Anblick dessen, was ich als den Beginn der Invasion durch Ihre Landsleute begriff, zitterte ich plötzlich vor Wut. Ich musste mich setzen, um mich zu beruhigen, und ich weiß noch, dass ich ein Drittel einer Flasche Whiskey verputzte, bis ich schließlich einschlafen konnte.
Am nächsten Tag kam ich zum ersten Mal zu spät zur Arbeit. Ich hatte verschlafen und erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen. Meine Wut hatte nachgelassen, doch sosehr ich mir einredete, ich hätte mir das alles nur eingebildet – einer solch gründlichen Selbsttäuschung war ich nicht mehr fähig. Immerhin sagte ich mir, ich hätte überreagiert, ich könne ja ohnehin nichts tun, und diese ganzen Weltereignisse spielten sich auf einer Bühne ab, die für mein persönliches Leben ohne Bedeutung sei. Doch ich merkte, wie die Glut weiterhin in mir glomm, und an dem Tag hatte ich Schwierigkeiten, mich auf die Fundamentals zu konzentrieren, was mir normalerweise so gut gelang.
Aber da! Haben Sie das gehört, Sir, dieses gedämpfte Grollen wie von einem jungen Löwen, der in einem Jutesack gefangen gehalten wird? Das war mein Magen, der dagegen protestiert, dass er nichts zu essen bekommt. Wollen wir nicht unser Abendessen bestellen? Sie möchten lieber warten und bei Ihrer Rückkehr im Hotel essen? Aber ich bestehe darauf! Eine solch authentische Einführung in die Cuisine Lahores dürfen Sie sich nicht entgehen lassen; sie wird mit den Gerichten, für die dieser Markt zu Recht bekannt ist, ein rein karnivores Festmahl werden – da aus einer Zeit, als das Wissen um Cholesterin den Menschen noch keine Angst vor seiner Beute einflößte – und darum desto köstlicher sein.
Vielleicht weil es uns gegenwärtig an Reichtum, Macht oder auch nur – ungeachtet gelegentlich hervorragender Leistungen unseres Kricket-Teams – sportlichem Ruhm mangelt, wie es unserem Status als dem Land mit der sechstgrößten Bevölkerung entspräche, legen wir Pakistani auf unser Essen außerordentlichen Wert. Hier in Alt-Anarkali besteht er in der Reinheit der dargebotenen Kost; kein einziger dieser würdigen Gastwirte würde es auch nur in Erwägung ziehen, ein westliches Gericht auf die Speisekarte zu setzen. Nein, wir sind vielmehr umgeben von Kebab vom Lamm, dem Tikka vom Huhn, dem gedämpften Fuß der Ziege, dem scharf gewürzten Hirn des Schafs! Das, Sir, sind Köstlichkeiten des Jägers, Köstlichkeiten, durchtränkt von einem Hauch Luxus und wollüstiger Hingabe. Wir haben nichts übrig für die vegetarischen Rezepte, die man jenseits der Grenze im Osten findet, auch nicht für das sterilisierte, behandelte Fleisch, das in Ihrer Heimat so verbreitet ist! Hier sind wir nicht so zimperlich, wenn es darum geht, uns den Folgen unseres Appetits zu stellen.