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In dem Dunkel um uns herum und dem ausdruckslosen Umriss Ihres Gesichts ist es kaum zu erkennen, Sir, aber ich vermute, dass Sie mich mit einer gewissen Abscheu betrachten; ich jedenfalls würde Sie so ansehen, wenn Sie mir gerade so etwas erzählt hätten. Aber ich hoffe, Ihr Ekel hat Ihnen nicht den Appetit verdorben, denn ich will gerade den Kellner rufen, damit er unsere Bestellung aufnimmt. Ich kann Ihnen versichern, dass unser Mahl alles andere als fade sein wird – da kommt er auch schon. Hallo!

8

Irgendetwas, Sir, muss an unserem Kellner sein, das Sie weiterhin beunruhigt. Ich gebe zu, er ist ein einschüchternder Bursche, größer noch als Sie. Doch die Härte seines wettergegerbten Gesichts lässt sich leicht erklären: Er stammt aus unserem gebirgigen Nordwesten, wo das Leben alles andere als einfach ist. Und falls Sie meinen, er habe eine Abneigung gegen Sie, so möchte ich Sie bitten, darüber hinwegzusehen; das Gebiet seines Stammes erstreckt sich zu beiden Seiten unserer Grenze mit dem benachbarten Afghanistan, und er hat unter den Offensiven gelitten, die Ihre Landsleute durchgeführt haben.

Ob er betet, fragen Sie? Nein, Sir, keineswegs! Was er da aufsagt – rhythmisch, formelhaft, aus dem Gedächtnis und aus diesem Grund in der Tat einem Gebet nicht unähnlich –, ist in Wirklichkeit der Versuch, unsere Speisefolge zu übermitteln, ganz so, wie man in Ihrem Land die Tagesgerichte gesagt bekommt. Hier gibt es natürlich keine Tagesgerichte; das hervorragende Haus, dessen Gäste wir heute Abend sind, bereitet aller Wahrscheinlichkeit nach seit vielen Jahren immer die gleichen Gerichte zu. Ich könnte es Ihnen übersetzen, aber vielleicht ist es besser, wenn ich ein paar Köstlichkeiten auswähle, die wir beide uns dann teilen. Wollen Sie mir diese Ehre gewähren? Vielen Dank. So, schon erledigt, und weg ist er.

Ich hatte Ihnen von meiner Unruhe in der Nacht erzählt, als ich schließlich mit Erica schlief – eine Nacht, die, hätten wir eine normalere Beziehung gehabt, eine große Freude hätte sein sollen. Sie ging noch vor Tagesanbruch. Schreckte aus dem Schlaf hoch und wollte trotz meiner Bitten, doch zu bleiben, unbedingt nach Hause. Erneut verging eine ganze Weile, bis ich wieder von ihr hörte; meine Anrufe wurden nicht entgegengenommen, meine Nachrichten nicht beantwortet. Ich hatte meine Lektion gelernt und unterließ weitere Bemühungen, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Doch nachdem zwei Wochen verstrichen waren, versuchte ich es erneut und wurde mit einer Antwort belohnt. Sie entschuldigte sich wie zuvor, dass sie auf diese Weise verschwunden sei, sagte, sie halte es für das Beste, vielleicht für sie, aber ganz gewiss für mich, wenn wir versuchten, einander nicht zu oft zu sehen, und sie entsprach meiner Bitte um ein Treffen. »Aber komm zu mir«, sagte sie, »mir ist nicht nach Weggehen.«

An Ericas Wöhnungstür begrüßte mich ihre Mutter; sie geleitete mich in ein Vorzimmer – in dem zwischen antikem Zierrat auch ein Bonsai und ein Cembalo standen – und sagte: »Ich glaube, wir sollten uns einmal unterhalten. Erica hat Ihnen ihre Geschichte erzählt, oder?« Ich nickte. »Nun, ihr Zustand hat sich wieder verschlechtert. Es ist ernst. Im Moment braucht sie Stabilität. Keine Gefühlsaufwallungen, Sie verstehen? Sie sind ein netter junger Mann, und ich weiß, dass Sie ihr etwas bedeuten. Aber Sie müssen einsehen, dass sie im Augenblick krank ist. Sie braucht einen Freund, einen platonischen.« Sie schaute mich flehend an. »Ich verstehe, Madam«, sagte ich. »Ich will tun, was Ihrer Meinung nach das Beste für sie ist.« »Danke«, sagte sie. Dann lächelte sie und fügte hinzu: »Man versteht sofort, warum sie Sie mag.«

Dieses Gespräch hinterließ einen tiefen Eindruck auf mich, weniger das, was sie sagte – auch wenn mich diese düstere Charakterisierung von Ericas Zustand bestürzte –, sondern vielmehr, wie sie es sagte; die Tonlage von Ericas Mutter war stille Verzweiflung, und das machte mir Angst. Zögernd betrat ich Ericas Zimmer und versuchte mich dagegen zu wappnen, was dort auf mich zukommen würde. Und das war zunächst nicht sonderlich beängstigend: Erica lag auf dem Bett, blass, ja, als hätte sie Fieber, und ihre Haare waren seit einiger Zeit nicht mehr gewaschen worden, doch sie schien guter Laune zu sein. Sie klopfte auf den Platz neben sich und bot mir, als ich mich setzte, ihre Stirn zum Kuss.

Wir unterhielten uns eine Weile, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen und als begegneten wir uns unter völlig normalen Umständen. Ich erzählte ihr von meinem Projekt in New Jersey – von der negativen Reaktion der Angestellten der Kabelfirma auf unsere Anwesenheit, von Jims Ratschlägen – und von den alltäglichen Begebenheiten in meinem Leben, seit sie mich zuletzt gesehen hatte. Sie erzählte mir von ihrem Arzt und ihren Medikamenten, wie sie es ihr erschwerten, sich zu konzentrieren, und wie ihr die Tage so dahingingen, ohne dass sich etwas ereignete. Angesichts der entspannten Art, mit der sie das beschrieb, hätte man es einem Beobachter nachsehen können, wenn er ihren Zustand für nicht ernst gehalten und sie auf dem Wege der Besserung gesehen hätte – bis ich sie nach ihrem Roman fragte.

Sogleich bedauerte ich es. Ihre Augen begannen umherzuschweifen, und ihre Stimme wurde weniger sicher: »Irgendwie kann ich nicht daran arbeiten«, sagte sie. »Jedes Mal, wenn ich es versuche, rege ich mich nur auf. Und die Anrufe meines Agenten habe ich gar nicht entgegengenommen. Der Ärmste. Bestimmt hält er mich für verrückt.« Ich bemerkte, man wisse ja von Autoren, dass sie exzentrisch seien, daher sei es unwahrscheinlich, dass ihr Agent besonders beunruhigt sei, dann wollte ich das Thema wechseln, doch sie ließ es nicht zu. »Es hilft mir nicht mehr«, sagte sie. »Es hat mir immer geholfen, das Schreiben, wenn etwas rausmusste, was in mir festsaß. Aber ich krieg’s nicht mehr raus. Es zieht mich hinein, verstehst du? Ich grüble darüber nach, statt darüber zu schreiben.« Ich versuchte die Frage zu unterdrücken, was mit es gemeint sei – ob ich glaubte, es würde sie aufwühlen oder vielmehr mich, weiß ich jetzt nicht mehr –, aber ich schaffte es nicht. »Es geht darum, ob noch etwas übrig ist«, erklärte sie, plötzlich beunruhigend gefasst, »oder ob alles schon passiert ist.«

Wie kann ich Ihnen beschreiben, Sir, wie sehr ihre Worte mich mit Sorge erfüllten? Sie wandte den Blick ab, und ich sah, wie sie sich in sich zurückzog. Ich legte meine Hand neben ihre in der Hoffnung, sie, wie schon zahllose Male zuvor, aus ihren Gedanken zu locken. Ich sah, wie unsere Haut – meine gesund und braun, ihre ein fahles Weiß – durch eine Entfernung, nicht größer als die Breite eines Verlobungsrings, getrennt war, doch sie nahm mich gar nicht wahr. Ich wartete, dass meine Nähe sich ihr mitteilte; so verging eine Minute. Dann zog sie ihre Hand weg und legte sie, ohne auch nur in meine Richtung zu schauen, über die andere in ihren Schoß.

Als kurz darauf Ericas Mutter hereinkam, hatte ich nicht das Gefühl, dass sie etwas unterbräche. Nein, sie verhinderte keineswegs die Fortsetzung eines Gesprächs zwischen ihrer Tochter und mir, sie beendete lediglich meine Störung eines Gesprächs, das Erica mit Chris führte – eines Gesprächs, das auf einer Ebene stattfand, die ich nicht erreichen oder auch nur richtig erkennen konnte. Erica winkte mir zum Abschied, als ich ihr Zimmer verließ, doch sie tat es mit abgewandtem Gesicht, so dass ich ihrem Blick nicht begegnen konnte. Ihre Mutter dankte mir, dass ich gekommen war, und bat mich, mit einem Besuch zu warten, bis Erica sich von selbst meldete. Und damit und mit einem sanften Kuss auf die Wange schloss sie die Fahrstuhltür vor mir, und ich fuhr den Schacht hinab, allein.