Ich kehrte in meine Wohnung zurück und verbrachte die Nacht im Halbdunkel, im Schein der Stadtlichter, der durch meine Fenster hereindrang, und ich fragte mich, so wie ich mich noch Monate später fragte – ja, manchmal noch bis zum heutigen Tag –, wo Ericas Reise hinging. Ich habe nie erfahren, was ihren Verfall auslöste – war es das Trauma des Angriffs auf ihre Stadt? Dass sie ihr Buch auf der Suche nach einem Agenten herumschickte? Waren es die Echos, die unsere gemeinsame Nacht in ihr auslöste? Alles zusammen? Nichts davon? –, aber ich glaube, ich wusste schon damals, dass sie in eine machtvolle Nostalgie verschwand und nur sie selbst bestimmen konnte, ob sie daraus wieder zurückkehrte.
Denn es war klar, dass Erica etwas brauchte, das ich – selbst wenn ich einwilligte, die Rolle eines Mannes zu spielen, der ich nicht war – ihr nicht geben konnte. Sehr wahrscheinlich sehnte sie sich nach ihrer Adoleszenz mit Chris, nach der Zeit, bevor sein Krebs ihr Unbeständigkeit und Sterblichkeit bewusst machte. Vielleicht war die Wirklichkeit ihrer gemeinsamen Zeit tatsächlich so wunderbar gewesen, wie sie sie mir mehr als einmal beschrieben hatte. Vielleicht war ihre Vergangenheit auch desto stärker, weil sie nur in ihrer Vorstellung existierte. Ich wusste nicht, ob ich an die Wahrheit ihrer Liebe glaubte; sie war eben eine Religion, die mich als Bekehrten nicht akzeptierte. Aber ich wusste, dass sie daran glaubte, und ich empfand mich als klein, weil ich ihr nichts von vergleichbarer Pracht bieten konnte.
In dem Jahr sah ich Erica nicht mehr. Thanksgiving wich bald der Dezemberkälte, und jede Woche – jeden Tag – überlegte ich, ob ich sie anrufen sollte, hielt mich aber immer zurück. Ihre Mutter hatte mich ja gebeten, dem Drang zu widerstehen, und vermutlich dachte ich, wenn ich mich ihr in ihrem inneren Kampf aufdrängte, würde ihr das nur schaden. Doch muss ich zugeben, dass meine Motive nicht ausschließlich edel waren; in mir waren mindestens noch Spuren des Zorns und der verletzten Eitelkeit, die den verschmähten Liebhaber kennzeichnen, und diese unwürdigen Empfindungen halfen mir, Abstand zu wahren. Dennoch sorgte ich mich weiter um Ericas Wohlergehen – und verharrte auch in einer gewissen, wahrscheinlich irrationalen Hoffnung –, weshalb die ständige Aufgabe, mich jeglicher Kommunikation zu enthalten, dem Kampf eines Mannes ähnelte, der versucht, sich von einer Sucht zu befreien.
Vielleicht lag es ja an meinem Gemütszustand, aber es schien mir, dass sich zu jener Zeit auch Amerika zunehmend einer gefährlichen Nostalgie ergab. Die Fahnen und Uniformen, die Generäle, die in Kommandozentralen in Kameras sprachen, die Schlagzeilen der Zeitungen mit Begriffen wie Pflicht und Ehre, das alles hatte etwas unbestreitbar Rückwärtsgewandtes. Ich hatte Amerika immer als eine Nation gesehen, die nach vorn schaute; zum ersten Mal fiel mir nun seine Entschlossenheit auf, zurückzuschauen. Das Leben in New York war auf einmal wie in einem Film über den Zweiten Weltkrieg; ich als Ausländer blickte nun auf ein Set, das nicht in Technicolor, sondern in einem grobkörnigen Schwarzweiß betrachtet werden sollte. Wonach sich Ihre Landsleute sehnten, war mir nicht ganz klar – nach einer Zeit unbestrittener Herrschaft? Der Sicherheit? Moralischer Gewissheit? Ich wusste es nicht –, aber dass sie sich danach drängten, die Kostüme einer anderen Ära anzulegen, war offensichtlich. Ich kam mir wie ein Verräter vor, weil ich mich fragte, ob diese Ära fiktiv war und ob sie – wenn sie denn tatsächlich belebt werden konnte – auch eine Rolle bereithielt, die für einen wie mich geschrieben war.
Aber was ist das? Ah, Ihr ungewöhnliches Telefon, das um Ihre Aufmerksamkeit piepst. Nein, Sir, es macht mir nicht das Mindeste aus; tippen Sie ruhig Ihre Antwort. Mir fällt auf, dass Sie mit der Präzision einer alten Kirchenglocke kontaktiert werden, womit ich meine, immer genau zur vollen Stunde – kontrolliert Sie etwa Ihre Firma? Nein, nein, Sie brauchen nichts zu erwidern. Nun, da Ihre Antwort abgeschickt ist, wollen Sie nicht einen Blick auf den Grill werfen, auf den gerade eben unsere entbeinten Hühnerteile zum Rösten gelegt werden? Sehen Sie nur die Funken, wie sie zornig und rot von der Kohle stieben, wenn unser Koch die Flamme anfacht. Ist doch schön anzusehen, oder? Und gleich – da, riechen Sie es? – zieht ein Aroma vorüber, bei dem Ihnen bestimmt das Wasser im Mund zusammenläuft.
Ich hatte Ihnen von der Nostalgie erzählt, die sich zu Beginn des letzten Winters, den ich in Ihrem Land verbringen sollte, in meiner Umgebung so stark ausbreitete. Aber ein rühmliches Bollwerk widerstand diesem Eindruck nach wie vor: Underwood Samson, das mich von früh bis spät ausfüllte und – als Einrichtung – überhaupt nicht nostalgisch war. Bei der Arbeit verfolgten wir die Aufgabe, die Zukunft ohne große Rücksicht auf die Vergangenheit zu gestalten, und meine eigene Effektivität wuchs weiterhin in dem Maße, wie ich mich in das Projekt bei der Kabelfirma vertiefte, wobei ich hoffte, die vielen Sorgen, die mich bedrückten, wenn ich meinen Gedanken freien Lauf lassen konnte, dabei hinter mir zu lassen.
Vermutlich war ich beim Streben nach den Fundamentals nie besser als da; ich analysierte Daten, als hinge mein Leben davon ab. Unser Kredo legte den größten Wert auf maximale Produktivität, und ein solches Kredo war für mich doppelt beruhigend, weil es in Zeiten großer Unsicherheit quantifizierbar – und daher fassbar – war und weil es von der Möglichkeit eines Fortschritts nach wie vor absolut überzeugt war, während andere sich nach einer Art klassischer Periode sehnten, die schon längst vergangen war, wenn es sie überhaupt jemals gegeben hatte. Ich nahm eine Veränderung in meiner Haltung gegenüber den Kollegen wahr, ein größeres Verständnis dafür, was sie veranlasste, sich so total auf ihr Berufsleben zu konzentrieren, und vielleicht lag es daran, dass es eine Zeitlang so aussah, als gehe es mit meiner Beliebtheit im Büro bergauf.
Doch selbst bei Underwood Samson entkam ich der wachsenden Bedeutung des Begriffs Stamm nicht vollständig. Einmal, ich ging zu meinem Mietwagen auf dem Parkplatz der Kabelfirma, trat ein mir unbekannter Mann an mich heran. Er machte eine Reihe unverständlicher Geräusche – vielleicht »acbala-malachala« oder »chalapal-cha-lapala« – und kam mit dem Gesicht erschreckend nahe an meines. Ich drehte ihm meine Seite zu und hob die Hände auf Schulterhöhe, dachte, er sei verrückt oder betrunken oder wolle mich vielleicht ausrauben, weswegen ich mich darauf einstellte, mich zu verteidigen oder zuzuschlagen. In dem Moment erschien ein weiterer Mann, auch er starrte mich finster an, fasste aber seinen Freund am Arm und zog ihn fort, wobei er sagte, es lohne sich nicht. Widerstrebend ließ sich der erste wegführen. »Scheißaraber«, sagte er.
Ich bin natürlich kein Araber. Auch bin ich von Natur aus nicht besonders streitlustig. Doch da pochte mir das Blut in den Schläfen, und ich rief ihm nach: »Sag’s mir ins Gesicht, du Feigling, und nicht, während du davonläufst.« Er blieb stehen. Ich schloss den Kofferraum auf und holte einen Schraubenschlüssel heraus; das kalte Metall seines Schafts lag hungrig in meiner Hand, und in dem Augenblick fühlte ich mich vollkommen in der Lage, ihn mit entsprechender Wucht zu schwingen, um meinem Gegenüber den Schädel einzuschlagen. Ein paar mörderische Sekunden lang standen wir starr da, dann wurde mein Widersacher weitergezerrt, und er verschwand, einen Schwall Obszönitäten ausstoßend. Als ich im Wagen saß, zitterten mir die Hände; in den Trikots der verschiedenen Mannschaften, in denen ich gespielt habe, hatte ich durchaus den einen oder anderen Kampf ausgefochten, doch diese Begegnung war von einer Intensität, wie ich sie noch nicht erlebt hatte, und es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder für fahrtauglich hielt.