Doch als ich mich wieder akklimatisiert hatte und meine Umgebung mir wieder vertraut wurde, erkannte ich, dass das Haus sich während meiner Abwesenheit gar nicht verändert hatte. Ich hatte mich verändert; ich sah mich mit den Augen eines Fremden um, nicht irgendeines Fremden, sondern jenes besonderen Typus des anmaßenden, unsympathischen Amerikaners, über den ich mich so ärgern konnte, wenn ich ihm in den Seminarräumen und an den Arbeitsplätzen der Elite Ihres Landes begegnete. Diese Erkenntnis machte mich zornig; und als ich so auf mein Abbild in meinem fleckigen Badezimmerspiegel starrte, beschloss ich, die unwillkommene Empfindlichkeit, die von mir Besitz ergriffen hatte, zu exorzieren.
Erst danach sah ich mein Haus wieder, wie es tatsächlich war, konnte seine beständige Vornehmheit schätzen, seine unverwechselbare Persönlichkeit, seinen idiosyn-kratischen Charme. Mughal-Miniaturen und alte Teppiche zierten seine Wohnräume, an die Veranda grenzte eine hervorragende Bibliothek. Es war keineswegs ärmlich, es war vielmehr überaus geschichtsträchtig. Ich fragte mich, wie ich nur so kleinlich – und so blind – gewesen sein konnte, je anders darüber gedacht zu haben, und es verstörte mich, was das über mich selbst verriet: dass ich einer war, dem es an Substanz mangelte und der sich daher schon durch einen kurzen Aufenthalt in der Gesellschaft anderer so leicht beeinflussen ließ.
Doch weit bedeutsamer als diese nach innen gerichteten Grübeleien war die äußere Wirklichkeit – die Bedrohung meines Zuhauses. Mein Bruder hatte mich vom Flughafen abgeholt; er umarmte mich so kräftig, dass er mir beinahe den Brustkorb eindrückte. Beim Fahren wuschelte er mir durch die Haare. Plötzlich kam ich mir ganz jung vor – vielleicht wurde ich mir auch nur meines tatsächlichen Alters bewusst: ich war eher ein kindlicher Zweiundzwanzigjähriger als von jenem beständig mittleren Alter, das sich dem Mann anheftet, der allein lebt und dadurch Bestätigung erfährt, dass er in einer Stadt, in der er nicht geboren ist, einen Anzug trägt. Es war einige Zeit her gewesen, seit ich so entspannt, so vertraut angefasst worden war, und ich lächelte. »Wie geht’s euch?«, fragte ich ihn. Er zuckte die Achseln. »Im Landhaus eines Freundes, eine halbe Stunde von hier, hat eine Artilleriebatterie Stellung bezogen, und in seinem Gästezimmer hat sich ein Oberst einquartiert«, antwortete er, »also nicht so gut.«
Meinen Eltern schienen wohlauf, sie waren gebrechlicher geworden, seit ich sie zuletzt gesehen hatte, aber in ihrem Alter war das nach einem Jahr nicht anders zu erwarten. Meine Mutter strich mir mit einem Hundert-Rupien-Schein um den Kopf, um meine Rückkehr zu segnen; später ging er als Spende an die Wohlfahrt. Die Augen meines Vaters glänzten feucht und braun. »Kontaktlinsen«, sagte er und tupfte sie mit einem Taschentuch ab. »Ganz schick, wie?« Ich sagte, sie stünden ihm gut, und so war es auch; er hatte seine Brille erst spät im Leben bekommen, und sie hatte die Kraft seines Gesichts verborgen. Weder er noch meine Mutter wollten über die Möglichkeit eines Krieges sprechen; sie wollten mich unbedingt füttern und von meinem Leben in New York und meinen Fortschritten bei der Arbeit in allen Einzelheiten hören. Es war eigenartig, hier von dieser Welt zu sprechen, so wie es eigenartig wäre, in einer Moschee zu singen; was an einem Ort natürlich ist, kann an einem anderen unnatürlich sein, und manche Konzepte sind nur schwer übertragbar, wenn überhaupt. Beispielsweise vermied ich jede Erwähnung von Erica wie auch von allem, was sie beunruhigen konnte.
Doch an jenem Abend wurde mir zu Ehren ein Familienbankett abgehalten, und da war der Konflikt mit Indien das beherrschende Thema. Es gab unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Männer, die das indische Parlament überfallen hatten, etwas mit Pakistan zu tun hatten, doch war man sich einig darin, dass Indien alles unternehmen werde, uns zu schaden, und dass die Amerikaner trotz der Unterstützung, die wir ihnen in Afghanistan gewährt hatten, nicht an unserer Seite kämpfen würden. Schon mache die indische Armee mobil, und Pakistan habe auch bereits reagiert: Lastwagenkonvois mit Nachschub für unsere Grenztruppen führen durch die Stadt, wie man mir sagte; beim Essen hörten wir Militärhubschrauber dicht über uns hinwegfliegen; es ging das Gerücht, bald werde der Verkehr auf der Autobahn gestoppt, damit unsere Kampfflugzeuge die Landung darauf üben könnten, falls alle unsere Flugplätze bei einem atomaren Schlagabtausch zerstört würden.
Die Vorstellung, in Pendlerentfernung zu einer Million feindlicher Truppen zu wohnen, die jeden Moment eine groß angelegte Invasion beginnen könnten, mag Ihnen seltsam erscheinen, da Sie aus einem Land kommen, das seit Menschengedenken keinen Krieg mehr auf eigenem Boden hatte, von gelegentlichen hinterhältigen Angriffen oder terroristischen Gräueln einmal abgesehen. Mein Bruder reinigte seine Flinte. Ein Onkel bunkerte Wasserflaschen und Dosennahrung. Unser Teilzeitgärtner wurde zur Reserve eingezogen. Aber sonst schienen die Menschen weitgehend ihrem normalen Leben nachzugehen; Lahore war die letzte Großstadt in einem durchgehenden Streifen muslimischer Länder, der im Westen bis Marokko reichte, und zeigte daher jene latente Kraftmeierei, wie sie Frontstädten eigen ist.
Doch ich war besorgt. Ich fühlte mich machtlos; ich war wütend auf unsere Schwäche, darauf, dass wir von unserem – zugegebenermaßen viel größeren – Nachbarn im Osten so leicht einzuschüchtern waren. Ja, wir hatten Nuklearwaffen, ja, unsere Soldaten würden nicht weichen, aber dennoch wurden wir bedroht, und mir blieb nichts anderes, als im Bett zu liegen, aber schlafen konnte ich nicht. Ich würde sogar bald wieder fort sein und meine Familie und mein Zuhause zurücklassen, und das machte mich in meinen Augen zu einer Art Feigling, einem Verräter. Was ist das für ein Mann, der seine Leute in einer solchen Lage im Stich lässt? Und wofür ließ ich sie im Stich? Für einen gut bezahlten Job und eine Frau, nach der ich mich sehnte, die mich aber nicht einmal sehen wollte? Immer wieder rang ich mit diesen Fragen.
Als es Zeit wurde, nach New York zurückzukehren, sagte ich zu meinen Eltern, ich würde länger bleiben, aber die wollten nichts davon hören. Vielleicht spürten sie, dass ich selbst gespalten war, dass etwas mich nach Amerika zurückrief, vielleicht wollten sie auch einfach nur ihren Sohn schützen. »Und rasier dich, bevor du gehst«, sagte meine Mutter. »Warum?«, fragte ich und zeigte auf meinen Vater und meinen Bruder, »die haben doch auch einen Bart.« »Die«, entgegnete sie, »haben nur einen, weil sie von der Tatsache ablenken wollen, dass sie eine Glatze haben. Außerdem bist du noch ein Junge.« Sie strich mit den Fingern über meinen Flaum und setzte hinzu: »Damit siehst du aus wie eine Maus.«
Auf dem Flug fiel mir auf, wie viele meiner Mitreisenden in meinem Alter waren: Studenten und junge Männer mit gehobenen Berufen, die nach den Ferien zurückflogen. Das empfand ich als Ironie; vor drohenden Schlachten sollten Kinder und Ältere fortgeschickt werden, hier aber gingen die Stärksten und Klügsten, diejenigen, die früher am ehesten hätten bleiben sollen. Verachtung mir selbst gegenüber erfüllte mich, so sehr, dass ich mich nicht zu Gesprächen oder zum Essen überwinden konnte. Ich schloss die Augen und wartete, und die Stunden enthoben mich sogar der Verantwortung zu fliehen.
Die Beklemmungen, die einem bewaffneten Konflikt vorausgehen, sind Ihnen nicht unbekannt, sagen Sie? Aha! Dann haben Sie also gedient, Sir, ganz wie ich vermutet hatte! Finden Sie nicht auch, dass das Warten darauf, was geschehen wird, das Schwierigste von allem ist? Ja, natürlich, nicht so schwierig wie die Zeit des Gemetzels selbst – so, Sir, spricht der wahre Soldat. Aber warum hören Sie denn auf zu essen, warten Sie vielleicht auf frisches Brot? Hier, nehmen Sie die Hälfte von meinem. Nein, ich bestehe darauf; der Kellner bringt uns gleich mehr.
Bei Ihrer Vorgeschichte haben Sie bestimmt schon das eigentümliche Phänomen erlebt, aus einer Umgebung, in der die Aussicht auf ein gewaltiges Blutvergießen sehr real ist, in eine mehr oder weniger friedliche zurückzukehren. Das ist ein merkwürdiger Übergang. Meine Kollegen nahmen meine Rückkehr in die Firma mit erheblicher – wenn auch häufig etwas unterdrückter – Bestürzung auf. Denn trotz der Bitte meiner Mutter und obwohl ich um die Schwierigkeiten wusste, die ich damit bei der Einreise voraussichtlich haben würde, hatte ich meinen zwei Wochen alten Bart nicht abrasiert. Vielleicht war es für mich eine Form des Protests, ein Symbol meiner Identität, vielleicht wollte ich damit aber auch die Wirklichkeit, die ich gerade zurückgelassen hatte, in Erinnerung behalten; meine genauen Beweggründe sind mir entfallen. Ich wusste nur, dass ich mich nicht der Armee glatt rasierter junger Männer, die meine Mitarbeiter darstellten, anpassen wollte und dass ich im Innern aus einer Vielzahl von Gründen zutiefst zornig war.