Was mich am meisten an ihrer Erklärung bestürzte, war die Bestimmtheit, mit der sie mich in die Vergangenheitsform setzte. Ich spürte, wie die Hoffnung in mir erlosch. Zwar sagte ich noch: »Sei nicht dankbar, sei lustvoll – komm mit mir zurück nach New York«, aber ohne jene innere Überzeugung, die Worten Macht verleiht; sie lehnte flüchtig den Kopf an meine Schulter, sah sich aber zu keiner Antwort veranlasst. Auf unserem Rückweg zum Hauptgebäude betrachtete ich sie aus den Augenwinkeln und überlegte, wie viel von ihrem distanzierten und scheinbar asketischen Zustand eine Folge der Medikamente war, die sie nahm. Einen Augenblick lang packte mich die wilde Vorstellung, sie zu entführen und in meinem Mietwagen mitzunehmen, da meine Zuwendung sie gewiss mit mehr Erfolg in die Wirklichkeit zurückholen würde als die Chemikalien, denen sie sich aussetzte. Doch die Absurdität einer solchen Tat – und die Respektlosigkeit ihr gegenüber – wurden mir sogleich klar, und ich tat nichts Derartiges.
»Fährst du Ski?«, fragte sie mich. »Nein«, sagte ich, »das habe ich nie gemacht.« »Chris und ich«, sagte sie, »waren jeden Winter Ski fahren – meistens in Colorado, manchmal auch in Vermont. Als Kinder haben wir hin und wieder sogar auch ein bisschen Langlauf im Central Park gemacht. Wir bekamen jeder ein Paar Ski geschenkt und sind dann losgezogen, ohne jemandem etwas zu sagen. Natürlich kriegten wir Schwierigkeiten. Unsere Eltern riefen die Polizei. Trotzdem hat es Spaß gemacht. Diese Gegend hier erinnert mich jedenfalls daran. Besonders der Schnee auf dem Hang da. Er ist so sanft und wirkt so weich. Solltest du mal machen.« Wir hatten den Kies der Zufahrt erreicht. »Nimm mich doch mal mit«, sagte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht«, sagte sie, »aber geh trotzdem. Versuch, glücklich zu sein, ja? Das alles tut mir so leid. Bitte pass auf dich auf.«
Sie umarmte mich, dann stand sie da und schaute mich an. Aber er ist doch tot!, wollte ich schreien. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, sie nicht zu küssen; vielleicht hätte ich es tun sollen. Ich musste mich entscheiden, ob ich weiterhin versuchen sollte, sie für mich zu gewinnen, oder ihren Wunsch akzeptieren und gehen, und schließlich wählte ich Letzteres. Vielleicht, sagte ich mir, als ich davonfuhr, war das ja ein Test, und ich bin durchgefallen, vielleicht hätte ich es riskieren sollen. Fast wäre ich umgekehrt und zurückgefahren, aber dann tat ich es doch nicht. Alles hätte sich ganz anders entwickeln können, wenn ich kehrtgemacht hätte, aber es hätte auch ganz genauso kommen können.
Danach gab ich im Büro eine klägliche Figur ab, war wütend und mit meinen Gedanken bei Erica und zu Hause. Ich vernachlässigte meine Verwaltungstätigkeiten und unternahm rein gar nichts, um mir eine neue Aufgabe zu suchen. Fast erwartete ich, dass jemand mit einem blauen Brief zu meinem Schreibtisch kam und mich aus meinem Elend erlöste. Stattdessen rief Jim mich zu sich, um mir einen überraschenden Beweis seiner Anerkennung zu liefern. »Hören Sie, junger Mann«, sagte er, »hier finden manche, dass Sie ein bisschen abgerissen herumlaufen. Der Bart und so. Mir ist das, ehrlich gesagt, scheißegal. Was zählt, ist Ihre Performance, und in Ihrer Klasse sind Sie bei weitem der beste Berater. Außerdem weiß ich, dass es hart für Sie sein muss, was da gerade in Pakistan abgeht. Sie brauchen Beschäftigung, was zugegebenermaßen nicht einfach ist, wenn wir so eine Flaute haben wie jetzt. Aber ich habe ein neues Projekt, die Bewertung eines Buchverlags in Valparaiso, Chile. Es wird ein kleines Team sein müssen, nur ein Vizepräsident und ein Berater. Normalerweise würde ich es einem mit mehr Erfahrung anbieten. Aber ich biete es Ihnen an. Was halten Sie davon?« »Vielen Dank, Sir«, murmelte ich. Er lachte. »Ein bisschen mehr Begeisterung, bitte«, sagte er. »Das bedeutet eine Menge Verantwortung. Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein.« »Sie können sich auf mich verlassen«, sagte ich, diesmal mit, wie ich hoffte, deutlich mehr Nachdruck. Ich weiß jedoch nicht, ob es mir gelang, denn Jim lächelte zwar, wirkte aber doch etwas verwirrt.
Aber Sie haben ja aufgehört zu essen, Sir. Kann es denn sein, dass Sie schon satt sind? Nun gut, ich will Sie nicht drängen, dennoch möchte ich uns gern einen Nachtisch bestellen, ein wenig Milchreis mit Mandelsplittern und Kardamom, die ideale Süße für einen Abend wie den unseren, der nun eher bitter zu werden droht. Solche Gerichte sind normalerweise vielleicht nicht ganz nach Ihrem Geschmack, aber ich möchte Sie ermutigen, wenigstens ein Häppchen davon zu kosten. Man liest ja auch, dass die Soldaten Ihres Landes mit Schokolade in ihren Tagesrationen in die Schlacht geschickt werden, daher dürfte Ihnen die Aussicht, sich noch vor der blutigsten Aufgabe die Zunge zu verzuckern, nicht ganz fremd sein.
10
Wenn Sie so dasitzen, Sir, den Arm um die Lehne des leeren Stuhls neben sich gelegt, beult sich der leichte Stoff Ihres Anzugs ein bisschen, und zwar auf Höhe des Brustbeins, genau an der Stelle, wo die Sicherheitsbeamten unseres Landes – ja, und wahrscheinlich auch die aller anderen Länder – gern das Achselholster für ihre Seitenwaffe tragen. Nein, nein, wegen mir brauchen Sie sich doch nicht anders hinzusetzen! Ich wollte Ihnen keinesfalls unterstellen, dass Sie damit ausgerüstet sind; gewiss ist es in Ihrem Fall lediglich der Umriss einer jener Reisebrieftaschen, in denen man als umsichtiger Mensch seine Wertsachen verstaut, damit sie weniger leicht von Dieben entdeckt werden.
Ich habe solche Vorsichtsmaßnahmen auf meiner Reise nach Chile ebenfalls getroffen. Wir flogen damals wieder in der relativen Annehmlichkeit der First Class, doch der Luxus unserer Kabine begeisterte mich nicht mehr; anders als Jim, der uns wie üblich zum Beginn des Projekts begleitete, und der Vizepräsident, der während der ganzen Dauer dieser Tour mein unmittelbarer Vorgesetzter sein sollte, lehnte ich die zahlreichen Champagnerangebote unserer Flugbegleiterin ab. Während der vielen Stunden, die wir in der Luft waren, konnte ich weder essen noch schlafen; ich war in Gedanken ganz bei den Angelegenheiten anderer Kontinente als dem, der gerade unter uns lag, und mehr als einmal bedauerte ich, überhaupt mitgeflogen zu sein.
Ich überlegte, was ich tun konnte, um Erica zu helfen. Sie so zu sehen wie beim letzten Mal – abgezehrt, distanziert und derart ohne Leben – tat mir weh; ich musste dabei an den Hund denken, den wir hatten, als ich klein war, an seine Passivität und sein Verlangen nach Einsamkeit in jenen letzten Tagen, bevor er der Leukämie erlag, die er von einem Zeckenpulver bekommen hatte, das wir, wie uns später ein Tierarzt sagte, niemals hätten anwenden sollen. Doch Erica hatte keine Leukämie, es gab keinen physischen Grund für ihr Leiden, außer vielleicht einer biochemischen Disposition zu derartigen Nervenstörungen. Nein, es war eine Krankheit des Geistes, und ich war in einer Umgebung groß geworden, die zu stark von einer Tradition gemeinsamer mystischer Rituale erfüllt war, um zu akzeptieren, dass ein Geisteszustand nicht von der Fürsorge, der Zuneigung und dem Begehren anderer beeinflusst werden konnte. Wesentlich für mich war der Versuch zu verstehen, warum ich die Membran, mit der sie ihre Psyche schützte, nicht hatte durchdringen können; meine direkteren Versuche, mich ihr zu nähern, waren zurückgewiesen worden, doch mit genügend Einsicht mochte ich vielleicht doch noch durch einen Osmoseprozess aufgenommen werden. Ich konnte mir keine andere Möglichkeit vorstellen, als es zu versuchen; trotz der Monate unserer nahezu vollkommenen Trennung war meine Sehnsucht nach ihr ungebrochen.
In einer solchen Geistesverfassung traf ich in Santiago ein. Von dort reisten wir auf der Straße weiter – kamen gut voran bis auf einen kleinen Stau, wo die Schaufelbagger von Ausbesserungstrupps große Happen jener roten Erde aushoben, die Chiles Valle Central kennzeichnet –, und wir rochen unseren Zielort, noch bevor wir ihn sahen; Valparaiso lag am salzigen Pazifik und war von einer Hügelkette unserem Blick verborgen.