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Sie erwartete ihn zum Abendessen. Zu seiner Überraschung stand Wein auf dem Tisch.

»Die Leute haben Geschenke für Euch gebracht, um Euch eine Freude zu machen«, sagte sie. »Und ich möchte Euch um Vergebung bitten, daß ich so ungerecht war.« »Inwiefern ungerecht?« wunderte sich Elia. »Seht Ihr denn nicht, daß alles zum Ratschluß Gottes gehört?« Die Witwe lächelte, ihre Augen leuchteten, und er bemerkte, wie schön sie war. Sie war mindestens zehn Jahre älter als er, doch er empfand eine tiefe Zärtlichkeit für sie. Es war ein ungewohntes Gefühl und es machte ihm angst. Er erinnerte sich an Isebels Augen und seine Bitte an Gott, ihm eine Libanesin zur Frau zu geben.

»Obwohl mein Leben unnütz war, habe ich zumindest meinen Sohn. Und seine Geschichte wird nie vergessen werden, denn er kam aus dem Reich der Toten zurück«, sagte die Frau.

»Euer Leben ist nicht unnütz. Ich kam auf Geheiß des Herrn nach Akbar, und Ihr habt mich aufgenommen. Wenn die Geschichte Eures Sohnes nicht vergessen werden wird, so wird gewiß auch Eure Geschichte nicht vergessen werden.« Die Frau füllte die beiden Gläser. Sie tranken auf die Sonne, die sich verbarg, und auf die Sterne am Himmel.

»Ihr kamt aus einem fernen Land, folgtet den Zeichen eines Gottes, den ich nicht kannte. Doch jetzt ist Er auch mein Herr.

Mein Sohn ist aus einem fernen Land zurückgekommen, und er wird seinen Enkeln eine schöne Geschichte zu erzählen haben.

Die Priester werden seine Worte aufnehmen und sie an die kommenden Generationen weitergeben.« Die Städte kannten ihre Geschichte, ihre Eroberungen, ihre alten Götter, die Krieger, die das Land mit ihrem Blut verteidigt hatten, aus der Überlieferung der Priester. Auch wenn es jetzt neue Formen gab, um die Vergangenheit festzuhalten, war die Erinnerung der Priester das einzige, an das die Bewohner von Akbar glaubten. Jeder kann schreiben, was er will, doch niemand kann sich an etwas erinnern, das es nie gegeben hat.

»Und was werde ich zu erzählen haben?« fuhr die Frau fort.

»Ich habe weder Isebels Macht noch ihre Schönheit. Mein Leben gleicht den anderen. Meine Heirat wurde von meinen Eltern arrangiert, als ich noch ein Kind war. Die Hausarbeit, als ich erwachsen wurde, die Riten an den heiligen Tagen, der Ehemann, der immer anderweitig beschäftigt war. Solange er lebte, haben wir nie über etwas Wichtiges gesprochen. Er lebte für seine Geschäfte, und ich kümmerte mich um den Haushalt, und so haben wir die besten Jahre unseres Lebens verbracht.

Nach seinem Tode blieben mir nur die Armut und die Erziehung meines Sohnes. Wenn er erwachsen ist, wird er über die Meere fahren, und ich werde für niemanden mehr wichtig sein. Ich habe weder Haß noch Groll, ich bin mir nur meiner Nutzlosigkeit bewußt.« Elia schenkte sich ein zweites Glas ein. Sein Herz begann Alarmsignale auszusenden. Es gefiel ihm, bei dieser Frau zu sein. Die Liebe konnte eine erschreckendere Erfahrung sein, als vor einem Soldaten Ahabs zu stehen, der mit einem Pfeil auf sein Herz zielte. Wenn der Pfeil ihn traf, war er tot. Wenn ihn jedoch die Liebe träfe, müßte er die Folgen tragen.

>Ich habe mich immer nach Liebe gesehnt<, dachte er. Doch jetzt, wo er sie vor sich hatte – und er hatte sie vor sich, alles was er tun mußte, war, nicht vor ihr Reißaus zu nehmen –, überlegte er nur, wie er sie so schnell wie möglich vergessen könnte.

Seine Gedanken kehrten zu dem Tag zurück, an dem er in Akbar angekommen war. Nach seinem Exil am Bach Krith war er so müde und durstig gewesen, daß er sich an nichts erinnern konnte außer an den Augenblick, als er aus seiner Ohnmacht erwachte und sie sah, wie sie seine Lippen mit Wasser benetzte. Sein Gesicht war ihrem sehr nah gewesen, so nah wie nie zuvor in seinem Leben dem Gesicht einer Frau. Ihm war aufgefallen, daß sie die gleichen grünen Augen wie Isebel hatte, nur daß ihr Glanz anders war, als könnten sie die Zedern widerspiegeln, den Ozean, von dem er immer geträumt und den er noch nie gesehen hatte, ja sogar seine eigene Seele.

>Ich würde ihr das so gern sagen<, dachte er. >Doch ich weiß nicht wie. Es ist einfacher, von der Liebe Gottes zu sprechen.< Elia trank noch ein wenig. Sie bemerkte, daß etwas, was sie gesagt hatte, ihm nicht gefallen hatte, und beschloß daher das Thema zu wechseln.

»Ihr seid auf den Fünften Berg gestiegen?« Er nickte.

Sie hätte ihn gern gefragt, was er dort oben gesehen hatte und wie es ihm gelungen war, dem himmlischen Feuer zu entgehen.

Doch er fühlte sich sichtlich unbehaglich.

>Er ist ein Prophet. Er liest in meinem Herzens dachte sie.

Seit der Israelit in ihr Leben getreten war, hatte sich alles verändert. Sogar die Armut war leichter zu ertragen, denn dieser Fremde hatte etwas in ihr geweckt, das sie zuvor nicht gekannt hatte: die Liebe. Als ihr Sohn krank geworden war, hatte sie gegen ihre ganze Nachbarschaft gekämpft, um den Fremden bei sich im Haus zu behalten.

Sie wußte, daß für ihn von allem, was unter dem Himmel geschah, der Herr am wichtigsten war. Ihr war bewußt, daß er ein unerreichbarer Traum war, denn dieser Mann vor ihr konnte jeden Moment weggehen, Isebels Blut vergießen und niemals zurückkehren, um ihr zu berichten, was geschehen war.

Dennoch würde sie ihn weiter lieben, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren hatte, was Freiheit war. Sie konnte ihn lieben, selbst wenn er es niemals erfahren sollte. Sie brauchte nicht seine Erlaubnis, um sich nach ihm zu sehnen, den ganzen Tag an ihn zu denken, ihn zum Abendessen zu erwarten und sich zu ängstigen, was für ein Komplott wohl gegen ihn im Gange war.

Dies war die Freiheit: fühlen, was ihr Herz begehrte, egal was die anderen davon halten mochten. Sie hatte schon mit Freunden und Nachbarn über die Anwesenheit des Fremden in ihrem Hause gekämpft. Gegen sich selbst brauchte sie nicht zu kämpfen.

Elia trank etwas Wein, entschuldigte sich und ging in sein Zimmer. Sie trat hinaus, freute sich an ihrem Sohn, der vor dem Hause spielte, und beschloß, einen kurzen Spaziergang zu machen.

Sie war frei, denn die Liebe befreit.

Elia starrte lange auf die Wand in seinem Zimmer. Dann endlich beschloß er, seinen Engel anzurufen.

»Meine Seele ist in Gefahr«, sagte er.

Der Engel schwieg. Elia wußte nicht recht, ob er das Gespräch fortsetzen sollte, doch nun war es bereits zu spät: Er konnte ihn nicht grundlos anrufen.

»Wenn ich vor dieser Frau stehe, fühle ich mich nicht wohl.« »Ganz im Gegenteil«, antwortete der Engel. »Und das macht dich unsicher. Du könntest sie am Ende lieben.« Elia schämte sich, weil der Engel seine Seele kannte.

»Die Liebe ist gefährlich«, sagte er.

»Sehr gefährlich«, antwortete der Engel. »Und wenn schon!« Dann verschwand er.

Sein Engel war nicht von den Zweifeln geplagt, die seine Seele bestürmten. Ja, er kannte die Liebe. Er hatte gesehen, wie der König von Israel seinen Gott wegen Isebel aufgegeben hatte, wegen einer Prinzessin aus Sidon, die sein Herz erobert hatte.

Die Tradition berichtete, daß König Salomo seinen Thron wegen einer fremdländischen Frau verloren hatte. König David hatte einen seiner besten Freunde in den Tod geschickt, weil er sich in seine Frau verliebt hatte.

Dalilas wegen war Samson gefangengenommen worden und hatten die Philister ihm die Augen ausgestochen.

Wie konnte er da die Liebe nicht kennen? Die Geschichte war voll von tragischen Beispielen, auch unter seinen Freunden – und den Freunden seiner Freunde –, die nächtelang gewartet und gelitten hatten. Hätte er in Israel eine Frau, so hätte er seine Stadt kaum verlassen, als es ihm der Herr befahl, und er wäre jetzt tot.

>Ich kämpfe eine nutzlose Schlacht<, dachte er. >Die Liebe wird diesen Kampf gewinnen, und ich werde sie bis ans Ende meiner Tage lieben. Herr, schick mich wieder zurück nach Israel, damit ich dieser Frau niemals sagen muß, was ich für sie empfinde. Denn sie liebt mich nicht und wird mir sagen, daß ihr Herz mit dem ihres heldenhaften Mannes begraben wurde.< Am folgenden Tag traf sich Elia wieder mit dem Kommandanten. Er erfuhr, daß noch einige Zelte mehr aufgebaut worden waren.

»Wie groß ist jetzt die Anzahl der Krieger?« fragte er. »Einem Feind von Isebel gebe ich keine Auskunft.« »Ich bin Berater des Stadthauptmanns«, entgegnete Elia. »Er hat mich gestern nachmittag zu seinem Gehilfen ernannt, und Ihr wißt es, und daher schuldet Ihr mir eine Antwort.« Der Kommandant hatte nicht übel Lust, dem Leben des Fremden ein Ende zu bereiten.

»Auf zwei Soldaten der Assyrer kommt einer von uns«, antwortete er schließlich.

Elia wußte, daß der Feind eine viel größere Übermacht brauchte.

»Wir nähern uns dem idealen Augenblick, um die Friedensverhandlungen zu beginnen«, sagte er. »Sie werden uns für großmütig halten, und wir werden bessere Bedingungen aushandeln können. Jeder General weiß, daß zur Eroberung einer Stadt fünf Angreifer auf einen Verteidiger nötig sind.« »Sie werden diese Zahl noch erreichen, wenn wir nicht sofort angreifen.« »Selbst ihrer Versorgungseinheit gelingt es nicht, ausreichend Wasser für so viele Männer zu beschaffen. Und da kommt der Moment, in dem wir unsere Unterhändler losschicken können.« »Und wann genau ist das?« »Wir werden die Anzahl der assyrischen Krieger noch etwas anwachsen lassen. Wenn die Lage unerträglich wird, sind sie gezwungen anzugreifen, doch dann wird auf drei oder vier von ihnen ein Soldat von uns kommen. Und sie wissen, daß sie geschlagen werden. Dann werden unsere Emissäre den Frieden, den freien Durchzug und den Verkauf von Wasser anbieten. So stellt es sich der Stadthauptmann vor.« Der Kommandant sagte nichts und ließ den Fremden gehen.

Selbst wenn Elia tot war, konnte der Stadthauptmann auf dieser Idee beharren, und der Kommandant schwor sich, den Stadthauptmann dann zu töten. Danach würde er Selbstmord begehen, um dem Zorn der Götter zu entgehen.