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»Laß uns ein wenig zuschauen«, sagte der Junge. »Ich werde auch Soldat sein, wenn ich groß bin.« Elia blieb stehen.

»Wer von uns beiden kann das Schwert besser führen?« fragte ein Krieger.

»Geh zu dem Ort, an dem gestern der Spion gesteinigt wurde«, sagte der Kommandant. »Nimm einen richtig großen Stein und beschimpfe ihn.« »Warum sollte ich das tun? Der Stein wird mir nicht antworten.« »Dann greif ihn mit deinem Schwert an.« »Mein Schwert wird zerbrechen«, sagte der Soldat. »Doch ich habe Euch nicht danach gefragt. Ich will wissen, wer von uns das Schwert am besten führt.« »Der Beste ist der, der hart ist wie ein Stein«, antwortete der Kommandant. »Ohne die Klinge zu ziehen, gelingt es ihm zu beweisen, daß niemand ihn besiegen kann.« >Der Stadthauptmann hat recht: Ihr seid weise, Kommandant/, dachte Elia. >Doch Eure Weisheit ist gegen Eitelkeit nicht gefeit.< Sie gingen weiter. Der Junge fragte, warum die Soldaten so viel übten.

»Nicht nur die Soldaten, auch deine Mutter und ich, alle, die ihrem Herzen folgen. Alles im Leben verlangt Übung.« »Auch Prophet zu werden?« »Auch, um die Engel zu verstehen. Wir sind so darauf aus, mit ihnen zu reden, daß wir nicht hören, was sie sagen. Zu hören ist nicht leicht. In unseren Gebeten versuchen wir immer zu sagen, wo wir einen Fehler gemacht haben und was wir uns wünschen. Doch der Herr weiß dies alles längst und bittet uns manchmal nur darum, zu hören, was uns das Universum sagt.

Und daß wir geduldig sein sollen.« Der Junge blickte erstaunt. Er schien nichts zu begreifen, dennoch hatte Elia das Bedürfnis, das Gespräch weiterzuführen. Vielleicht könnte ihm eines seiner Worte in einer schwierigen Lage helfen.

»Alle Schlachten im Leben dienen dazu, uns etwas zu lehren.

Auch die, die wir verlieren. Wenn du größer bist, wirst du entdecken, daß du Lügen verteidigt, dich selbst getäuscht und wegen Nichtigkeiten gelitten hast. Wenn du ein guter Krieger bist, wirst du dich deswegen nicht schuldig fühlen. Aber du wirst denselben Fehler nicht noch einmal machen.« Elia hielt inne. Ein Junge in dem Alter konnte unmöglich verstehen, was er sagte. Sie schlenderten weiter, und Elia betrachtete die Straßen der Stadt, die ihn aufgenommen hatte und jetzt kurz vor dem Untergang stand. Alles hing nur von ihm ab.

Akbar war stiller als gewöhnlich. Auf dem Hauptplatz redeten die Leute nur leise miteinander, als fürchteten sie, der Wind könnte ihre Worte bis zum Lager der Assyrer tragen. Die älteren versicherten, daß nichts geschehen würde, die jungen waren von der Aussicht auf einen Kampf erregt, die Kaufleute und Handwerker erwogen, nach Tyrus oder Sidon zu gehen, bis sich die Lage beruhigt hätte.

>Sie können einfach weggehen<, dachte er. >Kaufleute können ihre Güter an jeden beliebigen Ort der Welt bringen.

Handwerker können sogar dort arbeiten, wo man eine fremde Sprache spricht. Ich jedoch brauche die Erlaubnis des Herrn.< Sie gelangten zum Brunnen und füllten zwei Krüge mit Wasser.

Für gewöhnlich war dieser Ort voller Menschen. Die Frauen kamen hier zum Waschen, Stoffefärben und Klatschen zusammen. Kein Geheimnis konnte gewahrt bleiben, wenn es in die Nähe des Brunnens kam. Neuigkeiten über den Handel, Familienfehden, Streitigkeiten unter Nachbarn, das Privatleben der Regierenden, alle ernsthaften und nichtigen Dinge wurden hier diskutiert, kommentiert, kritisiert oder mit Beifall bedacht.

Das feindliche Heer vor den Toren der Stadt wurde größer und größer, doch das Haupt- und Lieblingsthema blieb Prinzessin Isebel, die den König von Israel erobert hatte. Man pries ihre Kühnheit, ihren Mut, und alle Frauen waren sich einig, daß Isebel sofort in ihre Heimat zurückkehren und sie rächen würde, wenn Akbar in Bedrängnis geriete.

An jenem Morgen jedoch war der Platz um den Brunnen fast leer. Die wenigen Frauen, die gekommen waren, meinten, man müsse jetzt auf die Felder gehen und soviel Getreide wie möglich ernten, weil die Assyrer in Kürze die Ein- und Ausgänge der Stadt schließen würden. Zwei von ihnen planten sogar eine Wallfahrt zum Fünften Berg, wo sie den Göttern Opfer darbringen wollten – sie wollten nicht, daß ihre Söhne in der Schlacht stürben.

»Der Priester hat gesagt, wir könnten viele Monate lang standhalten«, meinte eine zu Elia. »Wir müssen nur den nötigen Mut haben, um die Ehre Akbars zu verteidigen, dann werden uns die Götter helfen.« Der Junge erschrak.

»Wird der Feind angreifen?« fragte er.

Elia gab keine Antwort. Es hing von der Entscheidung ab, vor die ihn der Engel in der Nacht gestellt hatte.

»Ich habe Angst«, sagte der Junge mit Nachdruck.

»Das zeigt, daß du das Leben liebst. Es ist normal, in bestimmten Augenblicken Angst zu haben.« Elia und der Junge kehrten noch vor Ende des Vormittages nach Hause zurück. Die Frau hatte viele kleine Gefäße mit verschiedenfarbiger Tinte um sich herum.

»Ich muß arbeiten«, sagte sie, indem sie auf die Buchstaben blickte. »Wegen der Dürre ist alles staubig. Die Pinsel verschmutzen, die Tinte vermischt sich mit dem Staub, und das Schreiben wird mühsam.« Elia schwieg. Er wollte ihr seine Sorgen nicht aufbürden. Er setzte sich in eine Ecke des Raumes und versank in Gedanken.

Der Junge ging hinaus, um mit seinen Freunden zu spielen.

»Er braucht Ruhe und Stille«, sagte die Frau zu sich, und versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Sie verbrachte den Rest des Vormittages damit, einige Wörter zu Ende zu schreiben, für die sie sonst nur halb so lange brauchte, und fühlte sich schuldig, weil sie doch jetzt zum ersten Mal Gelegenheit hatte, für ihre Familie aufzukommen.

Sie widmete sich wieder ihrer Arbeit. Sie benutzte Papyrus, das ihr ein Kaufmann kürzlich aus Ägypten mitgebracht hatte, damit sie ihm einige Mitteilungen aufschrieb, die er nach Damaskus schicken wollte. Das Blatt war nicht von bester Qualität, und die Tinte zerfloß. >Trotzdem ist es besser, als auf Ton zu zeichnen.< In den Nachbarländern war es üblich, für Botschaften Tontafeln oder Tierhäute zu verwenden. Obwohl Ägypten jetzt unbedeutend und seine Schrift überholt war, war dort einst ein praktischer und leichter Schriftträger für Handels- und Geschichtsaufzeichnungen erfunden worden. Die Papyruspflanze, die am Nilufer wuchs, wurde in Streifen geschnitten und diese dann so verarbeitet, daß ein leicht gelbliches Blatt entstand. Akbar mußte Papyrus einführen, weil man die Pflanze im Tal nicht anbauen konnte. Papyrus war teuer, doch die Kaufleute mochten ihn lieber als Tontafeln und Tierhäute, da sie die beschriebenen Blätter in die Tasche stecken konnten.

>Alles wird einfacher<, dachte sie. >Schade, daß man die Erlaubnis der Regierung braucht, um mit Byblos-Schrift auf Papyrus zu schreiben.< Ein überholtes Gesetz verlangte, daß geschriebene Texte dem Rat von Akbar zur Kontrolle vorgelegt wurden.

Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, zeigte sie sie Elia, der die ganze Zeit schweigend vor sich hingestarrt hatte.

»Wie gefällt dir das Ergebnis?« fragte sie.

Er schien aus einer Trance zu erwachen.

»Ja, es ist schön«, antwortete er zerstreut.

Er sprach wohl gerade mit dem Herrn. Und sie wollte ihn nicht unterbrechen. Sie ging hinaus und holte den Priester.

Als sie zurückkam, saß Elia immer noch auf derselben Stelle.

Geraume Zeit sagte niemand etwas.

Der Priester brach zuerst das Schweigen.

»Ihr seid ein Prophet und sprecht mit den Engeln. Ich deute nur die alten Gesetze, vollziehe Rituale und versuche mein Volk vor Fehlern zu bewahren. Deshalb ist dies kein Kampf zwischen Menschen. Es ist ein Kampf zwischen den Göttern, und ich kann mich ihm nicht entziehen.« »Ich bewundere Euren Glauben, obwohl Ihr Götter anbetet, die es nicht gibt«, entgegnete Elia. »Wenn die augenblickliche Lage, wie Ihr sagt, auf eine himmlische Schlacht hinweist, so wird mich der Herr als sein Werkzeug benutzen, um Baal und seine Gefährten vom Fünften Berg zu besiegen. Ihr hättet mich besser ermorden lassen.« »Ich habe daran gedacht. Doch es war nicht notwendig. Im entscheidenden Augenblick waren die Götter auf meiner Seite.« Elia gab keine Antwort. Der Priester wandte sich ab und nahm das Papyrus auf, auf dem die Frau gerade ihren Text zu Ende geschrieben hatte.

»Schön«, lobte er. Nachdem er es sorgfältig durchgelesen hatte, zog er seinen Ring vom Finger, tunkte ihn in eines der Tintenfässer und drückte sein Siegel in die linke Ecke. Wenn jemand mit einem Papyrus erwischt wurde, das nicht das Siegel des Priesters trug, konnte er zum Tode verurteilt werden.

»Warum müßt Ihr dies immer tun?« fragte sie.

»Weil diese Papyrusblätter Ideen transportieren«, antwortete er. »Und Ideen sind mächtig.« »Es sind aber doch nur Handelsgeschäfte.« »Aber es könnten auch Schlachtpläne sein. Oder eine Aufzählung unserer Reichtümer. Oder unsere geheimen Gebete. Heutzutage ist es mit den Buchstaben und dem Papyrus leicht, die Seele eines Volkes zu rauben. Tontafeln oder Tierhäute lassen sich schwer verstecken. Doch die Verbindung des Papyrus mit der Byblos-Schrift kann ein Volk um seine Kultur bringen und die Welt zerstören.« Eine Frau kam hereingestürzt.

»Priester! Priester! Kommt und seht, was passiert ist!« Elia und die Witwe folgten ihm. Leute strömten von überallher, hasteten alle in dieselbe Richtung, eine Staubwolke hinter sich herziehend, so daß man kaum noch atmen konnte. Die Kinder rannten lachend und grölend voraus, die Erwachsenen folgten schweigend und gemessenen Schrittes.

Als die vier beim Südtor anlangten, fanden sie dort eine kleine Menschenmenge versammelt. Der Priester bahnte sich einen Weg und suchte den Grund für die ganze Aufregung.

Ein Wachsoldat von Akbar kniete mit ausgebreiteten Armen, die Hände an einen Holzbalken genagelt, der über seinen Schultern lag. Seine Kleider waren zerrissen, das linke Auge von einem Holzpflock durchstoßen.