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Auf seine Brust waren mit einem Dolch einige assyrische Schriftzeichen geritzt. Der Priester verstand Ägyptisch, doch die assyrische Sprache galt noch nicht als bedeutend genug, um sie zu lernen, und man mußte einen Kaufmann zu Hilfe rufen.

»Wir erklären den Krieg<, haben sie geschrieben«, übersetzte der Mann.

Die Umstehenden sagten kein Wort. Elia las Panik in ihren Gesichtern.

»Gib mir dein Schwert«, sagte der Priester zu einem der anwesenden Soldaten.

Der Soldat gehorchte. Der Priester befahl, den Stadthauptmann und den Kommandanten von dem Vorfall zu benachrichtigen.

Dann stieß er dem knienden Wachsoldaten blitzschnell die Klinge ins Herz.

Der Mann tat einen Seufzer und fiel tot zu Boden, frei von Schmerzen und von der Schande, dem Feind lebend in die Hände gefallen zu sein.

»Morgen werde ich zum Fünften Berg gehen und opfern«, sagte er zu der verstörten Menge. »Die Götter werden sich unser wieder erinnern.« Bevor er ging, wandte er sich an Elia: »Ihr seht es mit eigenen Augen. Der Himmel hilft uns immer noch…« »Erlaubt mir nur eine Frage«, sagte Elia. »Warum soll das Volk Eures Landes geopfert werden?« »Weil das notwendig ist, um eine Idee auszurotten.« Seit Elia ihn am Vormittag mit der Frau hatte reden sehen, wußte er, welche Idee gemeint war: das Alphabet.

»Es ist zu spät. Es ist bereits über die Welt verbreitet, und die Assyrer können nicht die ganze Erde erobern.« »Wer sagt, daß sie das nicht können? Schließlich können ihre Truppen auf die Götter des Fünften Bergs zählen.« Wie am Vortag wanderte Elia viele Stunden lang durch das Tal.

Mindestens einen Nachmittag und eine Nacht würde der Frieden noch dauern; kein Krieg begann im Dunkeln, denn nachts konnten die Krieger den Feind nicht erkennen. In dieser Nacht, das wußte er, gab ihm der Herr die Chance, das Schicksal der Stadt zu wenden, die ihn aufgenommen hatte.

»Salomo wüßte jetzt, was er zu tun hätte«, meinte er zu seinem Engel. »Und David und Mose und Isaak auch. In sie hatte der Herr sein Vertrauen gesetzt, ich dagegen bin nur ein unschlüssiger Diener, den der Herr vor eine Wahl stellt, die Er eigentlich selbst treffen müßte.« »Die Geschichte unserer Vorfahren scheint immer von rechten Männern zu wimmeln, die zur rechten Zeit am rechten Ort waren«, entgegnete der Engel. »Aber merk dir: Der Herr verlangt von jedem nur das Mögliche.« »Dann hat Er sich in mir geirrt.« »Alles Leid, das kommt, vergeht auch wieder. So verhält es sich auch mit dem Ruhm und den Tragödien.« »Ich werde es mir merken«, sagte Elia. »Doch Tragödien hinterlassen sichtbare Spuren und Ruhm belanglose Erinnerungen.« Der Engel antwortete nicht.

»Warum konnte ich in Akbar bisher keinen finden, der mit mir für den Frieden kämpft? Was vermag ein einzelner Prophet?« »Was vermag die Sonne, die einsam über den Himmel wandert? Was vermag ein Berg, der sich mitten im Tal erhebt?

Was vermag ein einsamer Brunnen? Und doch weist jeder der Karawane den Weg.« »Mein Herz erstickt vor Trauer«, sagte Elia, indem er niederkniete und seine Arme zum Himmel reckte. »Könnte ich doch hier sterben und müßte meine Hände nie mehr mit dem Blut meines oder eines fremden Volkes beflecken. Blickt zurück: Was seht Ihr?« »Du weißt doch, ich bin blind«, gab der Engel zurück. »Weil meine Augen noch immer voll der Herrlichkeit Gottes sind, kann ich nichts anderes sehen. Alles, was ich aufnehmen kann, ist, was dein Herz mir erzählt. Alles, was ich sehen kann, ist das Beben der Gefahren, die dir drohen. Ich kann nicht wissen, was hinter dir liegt.« »Dann werde ich es Euch sagen: Dort liegt Akbar, wunderschön in der Abendstunde, im Licht der untergehenden Sonne. Ich habe mich an Akbars Straßen und Mauern gewöhnt, an sein großherziges, gastfreundliches Volk. Auch wenn die Bewohner der Stadt im Handel und in Aberglauben befangen sind, ist doch ihr Herz so rein wie irgendein anderes in der Welt.

Ich habe von ihnen viel gelernt. Andererseits habe ich mir die Klagen ihrer Bewohner angehört und mit Gottes Hilfe ihre internen Konflikte gelöst. Mehrfach war ich in Gefahr, doch immer hat mir jemand geholfen. Warum muß ich wählen, ob ich diese Stadt retten will oder mein Volk?« »Weil der Mensch wählen muß«, entgegnete der Engel. »Seine Stärke ist seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.« »Es ist eine schwierige Wahclass="underline" Sie verlangt, daß ich den Tod eines Volkes hinnehme, um ein anderes zu retten.« »Den eigenen Weg zu finden ist noch schwieriger. Aber wer nicht wählt, stirbt in den Augen des Herrn, auch wenn er äußerlich weiterlebt.« Elia hob abermals die Arme zum Himmeclass="underline" »Die Schönheit einer Frau ist schuld, daß sich mein Volk vom Herrn abwandte.

Phönizien steht vor dem Untergang, weil ein Priester glaubt, daß die Schrift die Götter bedrohe. Warum schreibt der Schöpfer dieser Welt das Buch des Schicksals lieber als Tragödie?« Die Berge warfen Elias Rufe als Echo zurück. »Du weißt nicht, was du sagst«, antwortete der Engel. »Es gibt keine Tragödie, es gibt nur das Unabwendbare. Alles hat seinen Grund. Es gibt nur einen Gegensatz: vergänglich oder ewig.« »Was ist vergänglich?« fragte Elia. »Das Unabwendbare.« »Und was ist ewig?« »Die Lehren, die man aus dem Unabwendbaren zieht.« Und indem er dies sagte, entschwand der Engel.

Beim Abendessen sagte Elia zur Frau und zum Jungen: »Packt eure Sachen. Wir müssen jeden Augenblick aufbrechen.« »Seit zwei Tagen schläfst du nicht«, sagte die Frau. »Ein Bote des Stadthauptmanns war heute nachmittag hier und wollte, daß du ihn zum Palast begleitest. Ich sagte, du wärest im Tal und würdest dort schlafen.« »Du hast recht getan«, antwortete er und ging sogleich in sein Zimmer, wo er in einen tiefen Schlaf fiel.

Am anderen Morgen weckte ihn der Klang von Musikinstrumenten. Als er hinunterging, um nachzusehen, war der Junge schon an der Tür.

»Schau!« sagte er mit vor Erregung glänzenden Augen. »Es ist Krieg!« Ein Bataillon Soldaten, die in ihren Kriegsgewändern und mit ihren Waffen eindrucksvoll aussahen, marschierte zum Südtor.

Eine Gruppe Musikanten folgte ihnen und schlug auf ihren Trommeln den Takt.

»Gestern hattest du noch Angst«, sagte Elia zum Jungen.

»Ich wußte nicht, daß wir so viele Soldaten haben. Unsere Krieger sind die besten!« Er ließ den Jungen stehen und trat auf die Straße hinaus. Er mußte unbedingt zum Stadthauptmann. Die anderen Bewohner der Stadt waren auch vom Klang der Kriegslieder geweckt worden und sahen gebannt dem Bataillon nach, das in Reih und Glied mit seinen Lanzen und Schilden vorbeizog, in denen sich die ersten Sonnenstrahlen spiegelten. Der Kommandant hatte hervorragende Arbeit geleistet, sein Heer gleichsam über Nacht kampffähig gemacht und wollte ihnen allen nun weismachen, daß sie die Assyrer besiegen könnten.

Elia bahnte sich einen Weg durch die Soldaten und gelangte bis an den Anfang der Kolonne, die der Kommandant und der Stadthauptmann, beide hoch zu Roß, anführten.

»Wir hatten ein Abkommen«, sagte Elia, indem er neben dem Stadthauptmann herlief. »Ich kann ein Wunder tun!« Der Stadthauptmann antwortete ihm nicht. Das Heer trat aus den Mauern heraus und marschierte zum Tal.

»Ihr wißt, daß dieses Heer eine Illusion ist!« beharrte Elia. »Die Assyrer sind fünfmal mehr und haben außerdem Kriegserfahrung! Laßt nicht zu, daß Akbar zerstört wird!« »Was wollt Ihr von mir?« fragte der Stadthauptmann, ohne sein Pferd anzuhalten. »Gestern nacht habe ich einen Boten zu Euch geschickt, damit wir miteinander reden, und mußte mir sagen lassen, Ihr seiet draußen im Tal. Was blieb mir anderes übrig?« »Den Assyrern auf offenem Feld begegnen ist Selbstmord! Ihr wißt das!« Der Kommandant hörte dem Gespräch schweigend zu. Er hatte die Strategie bereits mit dem Stadthauptmann abgesprochen, und der israelitische Prophet würde eine Überraschung erleben.

Elia lief weiter planlos neben den Pferden her.

>Hilf mir, Herr<, flehte Elia bei sich. >Wie Du die Sonne angehalten hast, um Josua in der Schlacht zu helfen, halte die Zeit an und mach, daß ich den Stadthauptmann von seinem Fehler überzeuge.< Genau in diesem Augenblick brüllte der Kommandant: »Halt!« »Vielleicht ist dies ein Zeichen«, sagte sich Elia. »Ich muß es nutzen.« Die Soldaten bildeten zwei Schlachtreihen, die Menschenmauern glichen. Die Schilde wurden fest auf den Boden gestützt, und die Waffen wiesen nach vorn.

»Ihr meint, Ihr seht das Heer von Akbar«, sagte der Stadthauptmann zu Elia.

»Ich sehe junge Männer, die im Angesicht des Todes lachen«, war die Antwort.

»Das hier ist aber nur ein Bataillon. Der größte Teil unserer Männer ist in der Stadt auf den Mauern. Wir haben dort Kessel mit kochendem Öl, das auf jeden gegossen wird, der hochzuklettern versucht.

Wir haben Nahrungsmittel in verschiedenen Häusern gelagert, um zu verhindern, daß Brandpfeile unsere ganze Nahrung vernichten. Nach den Berechnungen des Kommandanten könnten wir der Belagerung fast zwei Monate standhalten. Die Assyrer haben sich vorbereitet, wir aber auch.« »Ihr habt es mir nie erzählt«, sagte Elia.

»Vergeßt nicht, auch wenn Ihr dem Volk von Akbar geholfen habt, so seid Ihr doch ein Fremder, und einige Militärs vermuten, Ihr seiet ein Spion.« »Aber Ihr wolltet doch Frieden?« »Der Friede ist immer noch möglich, auch nach dem Beginn der Schlacht. Nur verhandeln wir dann von gleich zu gleich.« Der Stadthauptmann erzählte, daß Boten nach Tyrus und Sidon geschickt worden waren, um diese über den Ernst der Lage zu unterrichten. Hilfe anfordern konnte er nicht, wenn er nicht als unfähiger Wicht dastehen wollte. Trotzdem hatte er keine andere Wahl. Der Kommandant hatte einen genialen Plan ausgeheckt: Sofort nach Schlachtbeginn werde er selbst in die Stadt zurückkehren und dort den Widerstand organisieren. Die Truppe, die jetzt im Feld stand, sollte so viele Feinde wie möglich töten und sich dann in die Berge zurückziehen. Sie kannten das Tal so gut wie niemand sonst und konnten die Assyrer immer wieder aus dem Hinterhalt angreifen und so den Druck der Belagerung mildern.