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Einige wenige taten etwas. Er hörte die Stimmen der Frauen und einige unklare Befehle der wenigen Soldaten, die das Massaker überlebt hatten und die nur Verwirrung stifteten.

Die Welt sei der kollektive Traum der Götter, hatte der Priester einmal gesagt. Elia mußte ihm irgendwie recht geben. Doch würde der Priester die Götter aus diesem Alptraum aufwecken, um sie mit einem sanfteren Traum wieder einschlafen zu lassen? Als er selbst nächtliche Visionen hatte, war er immer aufgewacht und dann wieder eingeschlafen, warum sollte es den Göttern da nicht gleich ergehen?

Immer wieder stolperte er über Leichen. Die waren ihre Steuersorgen los und scherten sich nicht um die Assyrer, die im Tal kampierten, die religiösen Rituale oder das Leben eines umherirrenden Propheten, mit dem sie vielleicht einmal ein paar Worte gewechselt hatten.

>Ich kann hier nicht die ganze Zeit bleiben. Das Erbe, das sie mir hinterließ, ist dieser Junge, und ich werde mich seiner würdig erweisen, auch wenn dies das letzte ist, was ich auf Erden tue.< Mühsam erhob er sich, nahm den Jungen wieder bei der Hand, und sie gingen weiter. Er ertappte Leute dabei, wie sie die Läden und umgestoßenen Marktstände plünderten. Zum ersten Mal nahm er nicht alles gleichgültig hin und bat sie, davon abzulassen.

Doch die Leute schoben ihn beiseite und sagten: »Laß uns in Ruhe, wir essen nur die Brosamen von dem, was der Stadthauptmann übriggelassen hat.« Elia hatte nicht die Kraft zum Streiten. Er führte den Jungen aus der Stadt heraus, und sie begannen durch das Tal zu wandern.

Die Engel mit ihren Flammenschwertern würden fernbleiben.

»Vollmond.« Fern vom Staub und vom Rauch stand er in der klaren vom Mondschein erleuchteten Nacht. Stunden zuvor, als er die Stadt in Richtung Jerusalem verließ, hatte er sich mühelos zurechtgefunden, und ähnlich war es wohl den Assyrern ergangen.

Der Junge stolperte über einen Leichnam und schrie auf. Es war der Priester. Er hatte weder Arme noch Beine mehr, doch er lebte noch. Seine Augen starrten auf den Fünften Berg.

»Wie Ihr seht, haben die phönizischen Götter die himmlische Schlacht gewonnen«, brachte er unter Schwierigkeiten, doch mit ruhiger Stimme hervor. Blut lief ihm aus dem Mund.

»Laßt mich Eurem Leiden ein Ende bereiten«, entgegnete Elia.

»Der Schmerz bedeutet nichts angesichts der Freude, meine Pflicht erfüllt zu haben.« »War es Eure Pflicht, eine Stadt gerechter Menschen zu zerstören?« »Eine Stadt stirbt nicht – nur ihre Bewohner und die Ideen, die sie in sich tragen. Eines Tages werden andere nach Akbar kommen, sein Wasser trinken, und der Stein, den sein Gründer zurückgelassen hat, wird von neuen Priestern blankgerieben werden. Geht, mein Schmerz wird bald zu Ende sein, doch Eure Verzweiflung wird bis an Euer Lebensende dauern.« Der verstümmelte Körper atmete schwer, und Elia ließ ihn liegen. Da kam eine Gruppe von Männern und Frauen auf ihn zugelaufen und umringte ihn.

»Ihr wart es«, schrien sie. »Ihr habt Euer Land entehrt und einen Fluch über unsere Stadt gebracht!« »Mögen die Götter dies sehen! Mögen sie wissen, wer der Schuldige ist!« Die Männer stießen ihn und schüttelten ihn an den Schultern.

Der Junge entwand sich seinen Händen und verschwand. Die Leute schlugen ihm ins Gesicht, auf die Brust, auf den Rücken, doch er dachte nur an den Jungen. Er hatte ihn nicht einmal bei sich behalten können.

Sie schlugen ihn nicht lange. Vielleicht waren sie von so viel Gewalt müde geworden. Elia fiel zu Boden.

»Verschwindet von hier!« sagte jemand. »Ihr habt Liebe mit Haß vergolten.« Die Gruppe ging von dannen. Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich zu erheben. Als er sich von der Schmach erholt hatte, war er nicht mehr derselbe Mann. Er wollte weder sterben noch weiterleben. Er wollte überhaupt nichts: Er hatte keine Liebe, keinen Haß, keinen Glauben.

Er erwachte, als jemand sein Gesicht berührte. Es war noch dunkel, doch der Mond stand nicht mehr am Himmel.

»Ich habe meiner Mutter versprochen, mich um dich zu kümmern«, sagte der Junge. »Aber ich weiß nicht, was ich tun soll.« »Geh in die Stadt zurück. Die Menschen sind gut, und irgend jemand wird dich schon aufnehmen.« »Du bist verletzt. Ich muß deinen Arm pflegen. Vielleicht erscheint ja ein Engel und sagt mir, was ich tun soll.« »Du hast keine Ahnung, du weißt überhaupt nicht, was hier los ist!« brüllte Elia. »Die Engel kommen nicht zurück, weil wir gewöhnliche Menschen sind, und alle sind geschwächt durch das viele Leid. Wenn Tragödien geschehen, müssen sich die gewöhnlichen Menschen mit eigenen Mitteln weiterhelfen!« Er atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Es brachte nichts, sich zu streiten.

»Und wie bist du hierher gekommen?« »Ich bin gar nicht weggegangen.« »Dann hast du also meine Schmach gesehen. Hast gesehen, daß ich hier in Akbar nichts mehr zu tun habe.« »Du hast mir gesagt, daß alle Schlachten für irgend etwas gut sind, selbst die, in denen wir geschlagen werden.« Er erinnerte sich an den Spaziergang zum Brunnen. Das was gestern gewesen, doch ihm kam es so vor, als seien seither Jahre vergangen. Er hätte gern gesagt, daß schöne Worte nichts gegen Leid vermögen, doch er wollte den Jungen nicht erschrecken und fragte statt dessen: »Wie bist du dem Brand entkommen?« Der Junge senkte den Kopf. »Ich hatte nicht geschlafen.

Ich beschloß, die Nacht wach zu bleiben, um zu sehen, ob du und Mama sich in ihrem Zimmer treffen. Ich sah die ersten Soldaten hereinkommen.« Elia erhob sich. Er suchte den Felsen vor dem Fünften Berg, wo er an jenem Nachmittag mit der Frau dem Sonnenuntergang zugeschaut hatte.

>Ich will nicht dorthin gehen<, dachte er. >Ich verzweifle nur noch mehr.< Doch eine Kraft zog ihn in diese Richtung. Als er dort angelangt war, weinte er bittere Tränen. Wie die Stadt Akbar war auch dieser Ort durch einen Stein gekennzeichnet, und Elia war der einzige im ganzen Tal, dem er etwas bedeutete. Keine neuen Bewohner würden ihn lobpreisen, noch Liebespaare ihn blank reiben.

Er nahm den Jungen in seine Arme und schlief wieder ein.

»Ich bin durstig und hungrig«, sagte der Junge zu Elia, als dieser aufwachte.

»Wir können zu den Hirten gehen, die hier in der Nähe leben.

Ihnen wird nichts geschehen sein, da sie nicht in Akbar wohnen.« »Wir müssen die Stadt wieder aufbauen. Meine Mutter hat gesagt, sie sei Akbar.« Welche Stadt denn? Es gab keinen Palast, keinen Markt und keine Mauern mehr. Anständige Leute waren zu Straßenräubern geworden, junge Soldaten hingemetzelt. Die Engel würden nicht zurückkehren – doch das war von allem sein geringstes Problem.

»Glaubst du, daß die Zerstörung, der Schmerz, die Toten von gestern einen Sinn hatten? Glaubst du, daß es notwendig ist, Tausende von Leben zu zerstören, um irgend jemandem irgend etwas damit beizubringen?« Der Junge blickte ihn entsetzt an.

»Vergiß, was ich gesagt habe«, sagte Elia. »Wir werden zu den Hirten gehen.« »Und wir werden die Stadt wieder aufbauen«, beharrte der Junge.

Elia antwortete nicht. Er wußte, daß es ihm nicht gelingen würde, seine Autorität bei einem Volk wieder durchzusetzen, das ihn beschuldigte, Unglück über die Stadt gebracht zu haben. Der Stadthauptmann war geflohen, der Kommandant tot, Tyrus und Sidon würden höchstwahrscheinlich unter fremde Herrschaft fallen. Vielleicht hatte die Frau recht. Die Götter änderten sich immer – und diesmal war es der Herr gewesen, der gegangen war.

»Wann kehren wir nach Akbar zurück?« fragte der Junge abermals.

Elia packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn heftig.

»Blick zurück! Du bist kein blinder Engel, sondern ein Junge, der beobachten wollte, was seine Mutter tat. Was siehst du?

Erkennst du die Rauchsäulen, die dort aufsteigen? Weißt du, was sie bedeuten?« »Du tust mir weh! Ich will hier weg!« Erschrocken hielt Elia inne. Der Junge entwand sich seinem Griff und begann auf die Stadt zuzulaufen. Es gelang Elia, ihn einzuholen, und er kniete vor ihm nieder.

»Vergib mir. Ich weiß nicht, was ich tue.« Der Junge schluchzte, doch keine einzige Träne rann über sein Gesicht. Elia setzte sich neben ihn und wartete, bis er sich beruhigt hatte.

»Geh nicht«, bat er. »In dem Augenblick, in dem deine Mutter von uns gegangen ist, habe ich versprochen, bei dir zu bleiben, bis du deinen eigenen Weg gehen kannst.« »Du hast aber auch versprochen, daß die Stadt unversehrt sei.

Und sie hat gesagt…« »Du brauchst es nicht zu wiederholen. Ich bin verwirrt, in meiner eigenen Schuld verloren. Gib mir Zeit, daß ich mich selbst wiederfinde. Verzeih mir, ich wollte dich nicht verletzen.« Der Junge umarmte ihn. Doch seine Augen blieben trocken.

Sie gelangten zum Haus in der Mitte des Tales. Eine Frau stand an der Tür, und zwei kleine Kinder spielten davor. Die Herde war im Pferch – das bedeutete, daß der Hirte an jenem Morgen nicht in die Berge aufgebrochen war.

Die Frau blickte den Mann und den Jungen, die auf sie zukamen, erschrocken an. Sie wollte sie wegschicken, doch die Tradition – und die Götter – verlangten, daß sie ihnen Gastrecht gewährte. Wenn sie sie jetzt nicht aufnahm, würden dereinst ihre Kinder dafür büßen müssen.

»Ich habe kein Geld«, sagte sie. »Doch ich kann euch ein wenig Wasser und etwas zu essen geben.« Sie setzten sich auf die kleine Veranda mit dem Strohdach, und sie brachte getrocknete Früchte und einen Krug Wasser. Sie aßen schweigend und hatten zum ersten Mal wieder das Gefühl von Alltag. Die Kinder waren erschreckt über ihren Anblick ins Haus geflüchtet.

Als er seinen Teller leer gegessen hatte, fragte Elia nach dem Hirten.