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»Ich möchte dort nicht hineingehen«, sagte der Junge, indem er auf sie zeigte.

»Sie werden dir nichts tun. Es sind nur Wolken. Komm mit mir.« Er nahm ihn wieder bei der Hand, und sie stiegen hinauf.

Allmählich gelangten sie in den Nebel. Der Junge klammerte sich an ihn, und obwohl Elia hin und wieder versuchte, mit ihm zu reden, sagte er kein Wort. Sie wanderten auf dem nackten Fels des Gipfels.

»Laß uns umkehren«, bat der Junge.

Elia blieb stehen. Dieser Junge hatte für sein kurzes Leben schon viele Schwierigkeiten und genug Angst erlebt. Kurz darauf traten sie aus dem Nebel und sahen wieder hinunter ins Tal.

»Suche irgendwann in der Bibliothek, was ich für dich aufgeschrieben habe. Es heißt Das Handbuch des Kriegers des Lichts.« »Bin ich ein Krieger des Lichts?« entgegnete der Junge.

»Kennst du meinen Namen?« fragte Elia.

»Befreiung.« »Setz dich hier neben mich«, sagte Elia, indem er auf einen Felsen wies. »Ich darf meinen Namen nicht vergessen. Ich muß meine Aufgabe weiterführen, auch wenn ich in diesem Augenblick nichts lieber möchte, als nur an deiner Seite zu sein. Deshalb wurde Akbar wieder aufgebaut: um uns zu lehren, daß man voranschreiten muß, auch wenn es noch so schwer erscheint.« »Gehst du fort?« »Woher weißt du das?« fragte er überrascht.

»Ich habe es gestern abend auf ein Tontäfelchen geschrieben.

Irgend etwas, vielleicht meine Mutter oder ein Engel, sagte es mir. Doch ich fühlte es schon in meinem Herzen.« Elia strich dem Jungen über den Kopf.

»Du hast Gottes Willen lesen können«, sagte er zufrieden.

»Daher brauche ich dir nichts weiter zu erklären.« »Was ich gelesen habe, war die Traurigkeit in deinen Augen.

Meine Freunde haben es auch bemerkt.« »Diese Traurigkeit, die ihr in meinen Augen gelesen habt, ist ein Teil meiner Geschichte. Doch nur ein kleiner Teil, der nur ein paar Tage dauern wird. Morgen, wenn ich nach Jerusalem aufbreche, wird sie schon weniger stark sein, und ganz allmählich wird sie verschwinden. Trauer ist nie für ewig, zumal wenn wir auf das zugehen, was wir immer gewünscht haben.« »Muß man immer aufbrechen?« »Man muß immer wissen, wann eine Etappe im Leben vorüber ist. Wenn du länger als notwendig verharrst, verlierst du deine Fröhlichkeit und das Gefühl für alles andere. Und dann riskierst du, daß Gott dich schüttelt.« »Der Herr ist hart.« »Nur mit den Auserwählten.« Elia blickte auf Akbar hinunter. Ja, Gott konnte oft sehr hart sein, doch nie härter, als der Betroffene ertragen konnte: Der Junge wußte nicht, daß da, wo sie jetzt saßen, ihn einst ein Engel des Herrn besucht und gelehrt hatte, wie er den Jungen von den Toten zurückholen konnte.

»Wirst du mich vermissen?« fragte er.

»Du hast gesagt, daß die Traurigkeit vergeht, sofern wir voranschreiten«, antwortete der Junge. »Noch ist viel zu tun, um Akbar so schön zu machen, wie meine Mutter es verdient.

Sie geht durch seine Straßen.« »Komm an diesen Ort zurück, wenn du mich brauchst. Und blicke nach Jerusalem hinüber: Ich werde dort sein und versuchen, meinem Namen, Befreiung, einen Sinn zu geben.

Unsere Herzen sind auf immer verbunden.« »Hast du mich deshalb auf den Gipfel des Fünften Berges gebracht? Damit ich Israel sehen kann?« »Damit du das Tal sehen kannst, die Stadt, die anderen Berge, die Wolken. Der Herr pflegt Seine Propheten auf die Berge steigen zu lassen, um mit ihnen zu reden. Ich habe mich immer gefragt, warum, und jetzt weiß ich es. Von hoch oben sehen wir alles ganz klein.

Unsere ruhmreichen Momente und unsere Trauer werden weniger wichtig. Was wir errungen oder verloren haben, bleibt unten im Tal. Vom Gipfel des Berges siehst du, wie groß die Welt ist und wie weit ihre Horizonte.« Der Junge blickte um sich. Vom Gipfel des Fünften Berges wehte der Geruch des Meeres, der die Strande von Tyrus bespülte. Und er hörte den Wüstenwind, der von Ägypten her wehte.

»Ich werde eines Tages Akbar regieren«, sagte er zu Elia. »Ich weiß, was groß ist, aber ich kenne auch jede Ecke der Stadt.

Ich weiß, was geändert werden muß.« »Dann ändere es. Laß den Stillstand nicht zu.« »Hätte Gott nicht eine andere Art wählen können, uns dies alles zu zeigen? Es gab einen Augenblick, da dachte ich, Er sei böse.« Elia schwieg. Er erinnerte sich an ein Gespräch, das er vor vielen Jahren mit einem levitischen Propheten geführt hatte, als beide darauf warteten, daß die Soldaten von Isebel kamen, um sie zu töten.

»Kann Gott böse sein?« fragte der Junge abermals.

»Gott ist allmächtig«, antwortete Elia. »Er kann alles, und nichts ist ihm verboten, denn wäre es anders, gäbe es jemanden, der mächtiger und größer wäre als Er, um ihn gewisse Dinge nicht tun zu lassen. In diesem Fall würde ich diesen mächtigeren Jemand anbeten und verehren.« Er wartete eine geraume Weile, damit der Junge Zeit hatte, den Sinn seiner Worte zu verstehen. Dann fuhr er fort: »Dennoch hat Er es wegen Seiner unendlichen Macht für richtig befunden, nur Gutes zu tun. Gehen wir bis an das Ende unserer Geschichte, dann sehen wir, daß das Gute häufig als Böses verkleidet ist und trotzdem das Gute und Teil des Planes bleibt, den Er für die Menschheit geschaffen hat.« Elia nahm den Jungen an der Hand, und sie kehrten schweigend zurück.

In jener Nacht schlief der Junge in seinen Armen. Kaum daß der Tag anbrach, löste sich Elia vorsichtig von ihm, um ihn nicht zu wecken.

Dann zog er das einzige Kleidungsstück an, das er besaß, und ging hinaus. Auf dem Weg hob er einen Stecken auf und nahm ihn als Wanderstock. Er wollte sich niemals mehr von ihm trennen: Es war die Erinnerung an seinen Kampf mit Gott, an die Zerstörung und den Wiederaufbau von Akbar.

Ohne sich einmal umzublicken, machte er sich auf den Weg nach Israel.

Epilog

Fünf Jahre später besetzte Assyrien abermals das Land.

Diesmal mit einem professionelleren Heer und kompetenteren Generälen. Ganz Phönizien fiel unter die Herrschaft des fremden Eroberers – außer Tyrus und Zarpat.

Der Junge wurde zum Mann und regierte Akbar. Er wurde von seinen Zeitgenossen für einen Weisen gehalten. Er starb als alter Mann umgeben von seinen Lieben und sagte immer, die Stadt müsse »schön und stark bleiben, weil die Mutter weiterhin in ihren Straßen« wandelte. Aufgrund des gemeinsam erarbeiteten Verteidigungssystems wurden Tyrus und Zarpat erst 701 v. Chr. von dem assyrischen König Sanherib erobert, also beinahe einhundertsiebzig Jahre nach den in diesem Buch erzählten Ereignissen.

Von da an haben jedoch die phönizischen Städte nie wieder ihre Bedeutung zurückerlangt und erlebten eine Reihe von Invasionen durch die Neo-Babylonier, die Perser, die Makedonier, die Seleukiden und schließlich durch die Römer.

Dennoch bestehen sie bis in unsere Tage weiter, weil den Traditionen zufolge der Herr niemals zufällig die Orte auswählt, die er besiedelt sehen wollte. Tyrus, Sidon und Byblos gehören noch immer zum heutigen Staat Libanon, der weiterhin ein Schlachtfeld ist.

Elia kehrte nach Israel zurück und versammelte die Propheten auf dem Berg Karmel. Dort bat er sie, sich in zwei Gruppen aufzuteilen: diejenigen, die Baal anbeteten, und diejenigen, die an den Herrn glaubten. Den Anweisungen des Engels folgend, gab er der ersten Gruppe ein Kalb und bat sie, zum Himmel zu beten, damit ihr Gott das Opfer annahm. Die Bibel erzählt: »Da es nun Mittag ward, spottete ihrer Elia und sprach: Rufet laut! denn er ist ein Gott; er dichtet oder hat zu schaffen oder ist über Feld oder schläft vielleicht, daß er aufwache.

Und sie riefen laut und ritzten sich mit Messern und Pfriemen nach ihrer Weise, bis daß ihr Blut herabfloß… Und war keine Stimme noch Antwort noch Aufmerken.

Da nahm Elia sein Tier und opferte es gemäß den Anweisungen des Engels. Da fiel das Feuer des Herrn herab und fraß Brandopfer, Holz und Steine und Erde… Und ehe man zusah, ward der Himmel schwarz von Wolken und Wind, und kam ein großer Regen und machte den vier Jahren Dürre ein Ende.« Von dem Augenblick an begann ein Bürgerkrieg. Elia ließ die Propheten hinrichten, die den Herrn verraten hatten, und Isebel suchte ihn überall, um ihn zu töten. Er flüchtete jedoch in das östliche Gebiet des Fünften Berges, das nach Israel hinging.

Die Syrer fielen in Israel ein und töteten König Ahab, den Mann der Prinzessin aus Tyrus, mit einem Pfeil, der durch seinen Panzer drang. Isebel verschanzte sich in ihrem Palast. Als sie sich nach blutigen Volksaufständen schließlich ergeben mußte, stürzte sie sich aus dem Fenster, um der Schmach des Gefängnisses zu entgehen.

Elia aber blieb meist auf dem Berg. Die Bibel erzählt: An einem Nachmittag, als er mit Elisa sprach, den der Prophet zu seinem Nachfolger ernannt hatte, »kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden voneinander. Und Elia fuhr im Wetter gen Himmel.« Beinahe achthundert Jahre später fordert Jesus Petrus, Jakobus und Johannes auf, einen Berg zu besteigen. Der Evangelist Matthäus berichtet: »Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.« Jesus gebot den Aposteln, niemandem von dieser Vision zu erzählen, bis der Menschensohn nicht von den Toten auferstanden sei, doch sie sagten, dies würde erst geschehen, wenn Elia wiederkäme.

Matthäus erzählt dann den Rest der Geschichte: »Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, Elia müsse zuvor kommen? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Elia soll ja zuvor kommen und alles zurechtbringen.

Doch ich sage euch: Es ist Elia schon gekommen, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben an ihm getan, was sie wollten.

Da verstanden die Jünger, daß er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte.«