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Und der Terrier war nur ein Dachshund.»Morgen abend also«, sagte er.»Warte hinter der Latrine.«

Lebenthal ging zurück. Er glaubte noch nicht ganz an sein Glück. Ein Hase, würde er in der Baracke sagen. Nicht, weil es ein Hund war, das schreckte keinen – es hatte Leute gegeben, die versucht hatten, Fleisch von Leichen zu essen -, sondern weil es zu den Freuden des Geschäfts gehörte, zu übertreiben. Außerdem hatte er Lohmann gern gehabt; deshalb sollte etwas Außerordentliches gegen seinen Zahn getauscht werden.

Das Messer konnte man im Lager leicht verkaufen; das gab neues Geld zum Handeln.

Das Geschäft war erledigt. Der Abend war neblig geworden, und weiße Schwaden zogen durch das Lager. Lebenthal schlich durch das Dunkel zurück. Er trug den Hund und das Brot unter seiner Jacke versteckt.

Ein Stück vor der Baracke bemerkte er einen Schatten, der mitten über die Straße schwankte. Er sah sofort, daß es keiner von den gewöhnlichen Sträflingen war; die bewegten sich nicht so. Einen Augenblick später erkannte er den Blockältesten von 22.

Handke ging, als sei er auf einem Schiri. Lebenthal wußte sofort, was es bedeutete.

Handke hatte seinen Tag; er mußte irgendwoher Alkohol bekommen haben. Es war nicht mehr möglich, unbemerkt an ihm vorüber in die Baracke zu kommen, um den Hund zu verstecken und die anderen zu warnen. Lebenthal glitt deshalb leise hinter die Rückwand der Baracke und versteckte sich im Schatten.

Westhof war der erste, dem Handke begegnete.»Heda, du!«schrie er.

Westhof blieb stehen.

»Weshalb bist du nicht in der Baracke?«

»Ich bin auf dem Wege zur Latrine.«

»Selber Latrine. Komm hierher!«

Westhof trat näher. Er sah im Nebel Handkes Gesicht nur undeutlich.

»Wie heißt du?«

»Westhof.«

Handke schwankte.»Du heißt nicht Westhof. Du heißt stinkender Saujude. Wie heißt du?«

»Ich bin kein Jude.«

»Was?«Handke schlug ihm ins Gesicht.»Von welchem Block bist du?«

»Zweiundzwanzig.«

»Auch das noch! Von meinem eigenen! Lump! Welche Stube?«

»Stube D!«

»Hinlegen!«

Westhof warf sich nicht hin. Er blieb stehen. Handke trat einen Schritt näher. Westhof sah jetzt sein Gesicht und wollte weglaufen. Handke trat ihm gegen das Schienbein. Er war als Blockältester gut genährt und viel stärker als jedermann im Kleinen Lager.

Westhof fiel, und Handke trat ihm gegen die Brust.»Hinlegen, Judenschwein!«

Westhof legte sich flach auf den Boden.

»Stube D 'raustreten!«schrie Handke.

Die Skelette kamen heraus. Sie wußten bereits, was geschehen würde. Einer von ihnen würde verprügelt werden. Handkes Sauftage endeten immer so.»Sind das alle?«lallte Handke.

»Stubendienst!«

»Jawohl!«meldete Berger.

Handke starrte durch das neblige Dunkel auf die Reihen. Bucher und 509 standen zwischen den anderen. Sie konnten mühselig wieder gehen und stehen. Ahasver fehlte.

Er war mit dem Schäferhund in der Baracke geblieben. Wenn Handke gefragt hätte, hätte Berger ihn als tot gemeldet. Aber Handke war betrunken und hätte auch nüchtern nicht genau Bescheid gewußt. Er ging ungern in die Baracken, aus Angst vor Dysenterie und Typhus.

»Wer sonst will hier noch Gehorsam verweigern?«Handkes Stimme wurde dicker.

»Laus – Lausejuden!«

Niemand antwortete.»Schteht schtramm! Wie Kultur – Kulturmenschen!«

Sie standen stramm. Handke glotzte sie eine Weile an, dann drehte er sich um und begann Westhof, der noch auf dem Boden lag, mit Füßen zu treten. Westhof hielt seinen Kopf mit den Armen geschützt. Handke trat ihn eine Zeitlang. Es war still, und man hörte nichts anderes als das dumpfe Aufschlagen der Stiefel Handkes gegen die Rippen Westhofs. 509 spürte, wie Bucher sich neben ihm regte. Er packte sein Handgelenk und hielt ihn fest. Buchers Hand zuckte. 509 ließ nicht los. Handke trat stumpfsinnig weiter. Endlich wurde er müde und sprang einige Male auf Westhofs Rücken. Westhof rührte sich nicht. Handke kam zurück. Sein Gesicht war naß von Schweiß.

»Juden!«sagte er.»Wie Läuse drauftreten muß man auf euch. Was seid ihr?«

Er zeigte mit unsicherem Finger auf die Skelette.»Juden«, erwiderte 509.

Handke nickte und sah einige Sekunden lang tiefsinnig auf den Boden. Dann drehte er sich um und ging zu dem Drahtzaun hinüber, der die Frauenbaracken abtrennte. Er stand dort, und man hörte ihn schnaufen. Er war früher Buchdrucker gewesen und wegen Sittlichkeitsverbrechens ins Lager gekommen; seit einem Jahr war er Blockältester. Nach einigen Minuten kam er zurück und stapfte, ohne sich um jemand zu kümmern, die Lagerstraße zurück.

Berger und Karel drehten Westhof um. Er war bewußtlos.»Hat er ihm die Rippen gebrochen?«

fragte Bucher.

»Er hat ihm gegen den Kopf getreten«, erwiderte Karel.»Ich habe es gesehen.«

»Sollen wir ihn hineintragen?«

»Nein«, sagte Berger.»Laßt ihn hier. Er liegt einstweilen besser hier. Drinnen ist zu wenig Platz. Ist noch Wasser da?«

Sie hatten eine Konservendose mit Wasser. Berger öffnete die Jacke Westhofs.

»Sollten wir ihn nicht doch lieber 'reinbringen?«fragte Bucher.»Das Aas kann noch einmal wiederkommen.«

»Er kommt nicht wieder. Ich kenne ihn. Er hat sich jetzt ausgetobt.«

Lebenthal glitt um die Ecke der Baracke.»Ist er tot?«

»Nein. Noch nicht.«

»Er hat ihn getreten«, sagte Berger.»Sonst schlägt er nur. Er muß mehr Schnaps als gewöhnlich gekriegt haben.«

Lebenthal preßte den Arm gegen seine Jacke.»Ich habe Essen.«

»Leise! Sonst hört es die ganze Baracke. Was hast du?«

»Fleisch«, flüsterte Lebenthal.»Für den Zahn.«

»Fleisch?«

»Ja. Viel. Und Brot.«

Er sagte nichts mehr von dem Hasen. Das paßte nicht mehr. Er sah auf die dunkle Gestalt am Boden, neben der Berger kniete.»Vielleicht kann er noch etwas davon essen«, sagte er.»Es ist gekocht.«

Der Nebel war dichter geworden. Bucher stand an dem doppelten Drahtzaun, der die Frauenbaracke abtrennte.»Ruth!«flüsterte er.»Ruth!«

Ein Schatten kam heran. Er starrte hinüber, konnte die Gestalt aber nicht erkennen.

»Ruth«, flüsterte er wieder.»Bist du da?«

»Kannst du mich sehen?«»Ja.«

»Ich habe etwas zu essen. Siehst du meine Hand?«»Ja, ja.«

»Es ist Fleisch. Ich werfe es hinüber. Jetzt.«

Er nahm das kleine Stück Fleisch und warf es über die beiden Stacheldrahtzäune. Es war die Hälfte der Portion, die er bekommen hatte. Er hörte es auf der anderen Seite niederfallen. Der Schatten bückte sich und suchte auf dem Boden.»Links! Links von dir!«flüsterte Bucher.»Es muß ungefähr einen Meter links von dir liegen. Hast du es gefunden?«»Nein.«

»Links. Einen Meter weiter. Gekochtes Fleisch! Such es, Ruth.«Der Schatten hielt inne.»Hast du es?«»Ja.«

»Gut. Iß es gleich. Ist es gut?«»Ja. Hast du noch mehr?«

Bucher stutzte.»Nein. Ich habe meinen Teil schon gehabt.«»Du hast noch etwas! Wirf es hinüber!«

Bucher trat so dicht an den Draht, daß die Stacheln ihm in die Haut drangen. Die Innenzäune des Lagers waren nicht elektrisch geladen.»Du bist nicht Ruth! Bist du Ruth?«

»Ja, Ruth. Mehr! Wirf!«

Er wußte plötzlich, daß es nicht Ruth war. Ruth hätte das alles nicht gesagt. Der Nebel, die Aufregung, der Schatten und das Flüstern hatten ihn getäuscht.»Du bist nicht Ruth! Sag, wie ich heiße!«»Psst! Leise! Wirf!«»Wie heiße ich? Wie heiße ich?«

Der Schatten antwortete nicht.»Das Fleisch ist für Ruth! Für Ruth!«flüsterte Bucher.

»Gib es ihr! Verstehst du? Gib es ihr!«»Ja, ja. Hast du noch mehr?«»Nein! Gib es ihr! Es gehört ihr! Nicht dir! Ihr!«»Ja, natürlich -«»Gib es ihr. Oder ich – ich -«

Er hielt inne. Was konnte er schon tun? Er wußte, daß der Schatten das Stück Fleisch längst heruntergeschlungen hatte. Verzweifelt ließ er sich zu Boden fallen, als habe eine unsichtbare Faust ihn niedergeschlagen.»Oh, du – verdammtes Biest – verrecken sollst du – verrecken daran -«

Es war zu viel. Nach so vielen Monaten ein Stück Fleisch und es so idiotisch zu verlieren! Er schluchzte ohne Tränen.

Der Schatten gegenüber wisperte:»Gib mehr – ich zeige dir auch – hier -«

Es schien, als hebe sie den Rock. Die Bewegungen waren verzerrt durch das weißliche Wogen, als tanze dort eine groteske, unmenschliche Figur in Bocksprüngen.

»Du Aas!«flüsterte Bucher.»Du Aas, verrecke dran! Ich Idiot – ich Idiot -«

Er hätte genau fragen sollen, ehe er das Fleisch warf – oder er hätte warten sollen, bis es klarer geworden wäre; aber dann hätte er das Fleisch vielleicht schon selbst gegessen gehabt. Er hatte es Ruth rasch geben wollen. Der Nebel war ihm als Glücksfall erschienen. Und nun – er stöhnte und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden.»Ich Idiot! Was habe ich getan!«Ein Stück Fleisch war ein Stück Leben. Er hätte sich erbrechen können vor Elend.