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Ich kam zu dem Schluß, daß das Mädchen schön sein mußte. Vielleicht lag es an ihrer Haltung, die etwas Vornehmes, Anmutiges hatte, etwas, das sich durch ihre Niedergeschlagenheit, ihren langsamen Schritt, ihre offensichtliche Erschöpfung nicht verbergen ließ, auch nicht durch die grobgewebten, schweren Umhänge, die sie trug. Ein solches Mädchen, dessen war ich sicher, hatte bestimmt einen Herrn oder — wie ich in ihrem Interesse hoffte — einen Beschützer und Gefährten.

Auf Gor gibt es keine Ehe, sondern nur die sogenannte Freie Gefährtenschaft, die der irdischen Lebensgemeinschaft am nächsten kommt. Überraschenderweise wird eine Frau, die gegen Tarns oder Gold von ihren Eltern gekauft wird, als Freie Gefährtin angesehen, auch wenn sie bei dem Geschäft nicht einmal gefragt wird. Besser ist es schon, daß eine freie Frau auch aus eigenem Antrieb einwilligen kann, die Gefährtin eines Mannes zu werden. Und es ist nicht ungewöhnlich, daß Herren eines ihrer Sklavenmädchen befreien, um sie zur Freien Gefährtin mit allen Rechten und Privilegien zu machen. Nach allgemeinem Brauch darf man so viele Sklavinnen haben, wie man mochte, doch jeweils nur eine Freie Gefährtin. Solche Verbindungen werden also nicht leichtherzig geschlossen und werden gewöhnlich auch nur durch den Tod getrennt. Gelegentlich lernt der Goreaner — vielleicht noch öfter als wir auf der Erde — die wahre Bedeutung der Liebe kennen.

Das Mädchen war mir jetzt schon ziemlich nahe, doch sie hatte mich noch nicht gesehen. Sie hielt den Kopf gesenkt. Sie trug die Gewänder der Verhüllung, allerdings nur aus grobem Sackleinen gearbeitet, zerrissen und schmutzverkrustet. Sie machte einen sehr niedergeschlagenen, elenden Eindruck.

»Tal«, sagte ich leise, um sie nicht zu sehr zu erschrecken. Vorsichtig hob ich meinen Arm zum Gruß.

Obwohl sie mich noch nicht bemerkt hatte, schien sie kaum überrascht zu sein. Nun war der Augenblick gekommen, den sie offenbar seit vielen Tagen erwartete. Sie hob den Kopf und sah mich an, in ihren schönen grauen Augen stand das Leid. Sie schien sich nicht für mich oder ihr Schicksal zu interessieren.

Wir sahen uns einen Augenblick wortlos an.

»Tal, Krieger«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme.

Dann tat sie etwas, das für eine koreanische Frau unglaublich war. Wortlos loste sie den Schleier von ihrem Gesicht und ließ ihn auf ihre Schultern fallen. So stand sie vor mir, mit nacktem Gesicht, und sah mich an, offen, nicht herausfordernd, doch ohne Angst. Sie hatte schönes braunes Haar, ihre herrlichen grauen Augen wirkten nun noch klarer, und ihr Gesicht, wie ich jetzt Sehen konnte, war schön, sogar schöner, als ich erwartet hatte.

»Gefalle ich dir?« fragte sie.

»Ja«, sagte ich. »Du gefällst mir sehr.«

Ich wußte, daß ich womöglich der erste Mann war, der ihr Gesicht sah — abgesehen von den Mitgliedern ihrer Familie.

»Bin ich schön?« fragte sie.

»Ja«, sagte ich. »Du bist schön.«

Langsam streifte sie mit beiden Händen den Stoff nach unten, so daß ihr weißer Hals Freitag. Er war nackt, wies keinen schmalen goreanischen Reifen auf. Sie war frei.

»Soll ich mich hinknien, damit du mir deinen Kragen umlegen kannst?« fragte sie.

»Nein.«

»Möchtest du mich ganz sehen?«

»Nein.«

»Ich bin noch nie Sklavin gewesen«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich tun muß — außer dir zu gehorchen.«

»Du bist frei gewesen«, sagte ich, »und du wirst es weiter sein.« Zum erstenmal wirkte sie verblüfft. »Gehörst du denn zu Ihnen?« »Zu wem?« fragte ich, plötzlich aufmerksam geworden, denn wenn diesem Mädchen Sklavenhäscher auf der Spur waren, konnte das Schwierigkeiten bedeuten. Es mochte sogar zu Blutvergießen kommen. »Zu den vier Männern, die mir gefolgt sind, Männer, aus Tharna.« »Tharna?« fragte ich ehrlich überrascht. »Ich dachte, die Männer Tharnas ehrten die Frauen?«

Sie lachte bitter auf. »Nicht in Tharna«, sagte sie.

»Sie konnten dich nicht als Sklavin nach Tharna bringen«, sagte ich. »Würde die Tatrix dich nicht befreien?«

»Sie würden mich nicht nach Tharna bringen«, erwiderte sie. »Sie würden mich gebrauchen und mich verkaufen, vielleicht an irgendeinen vorbeiziehenden Händler oder auf dem Sklavenmarkt in Ar.«

»Wie heißt du?« wollte ich wissen.

»Vera«, erwiderte sie.

»Aus welcher Stadt?«

Ehe sie antworten konnte, weiteten sich plötzlich ihre Augen, und ich wandte mich um. Durch das Gras schritten vier Krieger auf mich zu, behelmt und mit Speeren und Schilden bewaffnet. Die Zeichen auf ihren Schilden und die blauen Helme verrieten mir, daß sie aus Tharna kamen.

»Lauf!« schrie das Mädchen und wollte fliehen.

Ich hielt sie am Arm fest.

Sie erstarrte. »Ich verstehe!« zischte sie. »Du willst mich festhalten und dein Recht der Eroberung geltend machen, damit du einen Anteil am Verkaufserlös hast!« Sie spuckte mir ins Gesicht.

Ihr Temperament freute mich.

»Blieb stehen«, sagte ich. »Du würdest nicht weit kommen.«

»Ich fliehe schon sechs Tage lang«, sagte das Mädchen weinend. »Ich lebe von Beeren und Insekten, schlafe in Gräben und Verstecke mich überall.«

Sie hatte gar nicht mehr laufen können, selbst wenn sie gewollt hätte. Ihre Seine begannen zu zittern. Ich legte den Arm um ihre Schulter und stützte sie.

Die Krieger näherten sich in berufsmäßiger Formation. Einer, nicht der Offizier, kam direkt auf mich zu, ein zweiter folgte ihm in einigen Schritten Abstand links. Der erste sollte mich angreifen, während der zweite, wenn nötig, mit dem Speer von der Seite kam. Der Offizier war der dritte, und der vierte Krieger blieb einige Meter zurück. Er mußte das gesamte Feld im Auge behalten — ich war ja vielleicht nicht allein — und den Rückzug seiner Kameraden mit seinem Speer decken, falls es dazu kommen sollte. Ich bewunderte das einfache Manöver, das ohne besonderes Kommando durchgeführt wurde, fast wie ein Reflex, und ich spürte, warum Tharna im Kreise der verfeindeten goreanischen Städte überlebt hatte, obwohl es von einer Frau regiert wurde.

»Wir wollen die Frau«, sagte der Offizier.

Sanft löste ich mich von dem Mädchen und schob es hinter mich. Die Bedeutung dieser Bewegung war klar.

Der Offizier zog im Y-formigen Schlitz seines Helmes die Augen zusammen.

»Ich bin Thorn«, sagte er, »Offizier aus Tharna.«

»Warum wollt ihr die Frau?« fragte ich spöttisch. »Beten die Männer von Tharna ihre Frauen nicht an?«

»Wir sind hier nicht auf dem Boden Tharnas«, sagte der Offizier. »Warum sollte ich sie dir geben?« fragte ich.

»Weil ich ein Offizier aus Tharna bin«, sagte er.

»Aber wir sind hier nicht auf tharnaischem Boden«, erinnerte ich ihn. Hinter mir flüsterte das Mädchen: »Krieger, laß dich meinetwegen nicht umbringen! Es ist sowieso gleich.« Laut fuhr sie fort: »Töte ihn nicht, Thorn aus Tharna. Ich gehe mit dir.«

Sie ging um mich herum, mit stolz erhobenem Kopf, in ihr Schicksal ergeben, bereit, diesen Männern zu folgen.

Ich lachte.

»Sie gehört mir!« sagte ich. »Und ihr bekommt sie nicht!«

Das Mädchen stieß einen überraschten Schrei aus und sah mich fragend an.

»Es sei denn, ihr zahlt ihren Preis«, fugte ich hinzu.

Niedergeschlagen schloß Vera die Augen.

»Und der wäre?« wollte Thorn wissen.

»Stahl«, sagte ich.

Dankbar schaute mich das Mädchen an.

»Tötet ihn«, sagte Thorn zu seinen Männern.

7

Mit lautem Geräusch sprangen drei Klingen aus ihren Scheiden — mein Schwert, das des Offiziers und das Schwert des Kriegers, der mich als erster angreifen würde. Der Mann auf der rechten Seite zog sein Schwert nicht, sondern wartete ab, bis der erste Krieger seinen Angriff begonnen hatte. Er wollte dann seitlich mit der Lanze zustoßen. Der Kampfer im Hintergrund hob nur seinen Speer, zum Werfen bereit, falls sich eine günstige Gelegenheit ergeben sollte. Aber dann war ich es, der als erster angriff. Ich wandte mich plötzlich dem Krieger mit dem Speer zu und sprang ihn mit der Behendigkeit und Schnelligkeit eines Berg-Larls an, wich seinem ungeschickten, überraschten Speerstoß aus und ließ meine Klinge zwischen seine Rippen gleiten. Ich zog die Waffe zurück und fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um den Schwertangriff seines Kameraden zu parieren. Unsere Klingen hatten sich kaum sechsmal gekreuzt, als auch er zu meinen Füßen lag und sich im Gras krümmte.