Als ich den Markt verließ, bemerkte ich zwei unauffällige Männer, die mir zu folgen schienen. Ihre Gesichter waren in den Falten ihrer grauen Kleidung verborgen, die sie wie eine Art Kapuze über den Kopf gezogen hatten. Ich hielt sie für Spione. Eine kluge Vorsichtsmaßnahme der Stadt. Es war immer gut, einen Fremden im Auge zu behalten, damit die Gastfreundschaft nicht mißbraucht werde. Ich gab mir keine Mühe, die Männer abzuschütteln, denn das hatte mir als Bruch der Etikette ausgelegt werden können, vielleicht sogar als ein Eingeständnis böser Absichten. Außerdem wußten sie nicht, daß ich sie bemerkt hatte, so daß ich damit einen Gewissen Vorteil über sie hatte. Andererseits war natürlich denkbar, daß sie nur neugierig waren. Wie viele rotgekleidete Krieger ließen sich in den düsteren Straßen Tharnas sehen?
Ich bestieg einen der großen Türme, um mir einen Oberblick über die Stadt zu verschaffen. So erreichte ich die höchste Brücke. Im Gegensatz zu den meisten goreanischen Brücken hatte sie ein Geländer. Langsam ließ ich meinen Blick über die Stadt wandern, die nach Sitten und Gebrauchen eine der ungewöhnlichsten Städte Gors war.
Tharna, obwohl sie eine Stadt der Zylinder war, machte keinen besonderen Eindruck auf mich. Das mochte daran liegen, daß ihre Gebäude im ganzen weniger hoch und viel breiter ausfielen als die Zylinder anderer Städte, so daß ein Eindruck von Gedrungenheit entstand, der sich sehr von den himmelwärts strebenden Türmen anderer goreanischer Städte unterschied. Außerdem wirkten die tharnaischen Zylinder übermäßig düster und ernst, als wäre das eigene Gewicht zuviel für sie. Sie ließen sich kaum voneinander unterscheiden, boten eine Mischung aus Grau- und Brauntönen, so ganz anders als die fröhlichen Farben anderer Städte, in denen ein Zylinder den anderen zu überbieten trachtet.
Selbst die Ebenen rings um die Stadt gelegentlich von verwitterten Felsbrocken durchbrochen, wirkten grau, kalt, abweisend, vielleicht sogar traurig.
Tharna war also keine Stadt, die das Herz eines Mannes höherschlagen ließ. Zugleich wußte ich, daß es eine Stadt nach meinem Herzen war, galt sie doch als eine der fortschrittlichsten und zivilisiertesten in ganz Gor. Trotz dieser Überzeugung deprimierte mich Tharna ein wenig, und ich fragte mich, ob sie nicht auf ihre Weise doch barbarischer, rücksichtsloser und unmenschlicher sei als ihre weniger edlen und schöneren Schwesterstädte. Ich kam zu dem Entschluß, daß ich nun einen Tarn erwerben und so schnell wie möglich zum Sardargebirge weiterreisen wollte, um meine Verabredung mit den Priesterkönigen einzuhalten.
»Fremder«, sagte eine Stimme hinter mir.
Ich wandte mich um.
Einer der beiden unscheinbaren Männer, die mir gefolgt waren, stand hinter mir. Sein Gesicht war unter seiner Kapuze nicht zu erkennen. Mit einer Hand hielt er seinen Umhang zusammen, damit der Wind das Tuch nicht bewegte und seine Züge enthüllte, mit der anderen klammerte er sich an das Brückengeländer, als machte ihm die Höhe zu schaffen. Es hatte zu regnen begonnen.
»Tal«, sagte ich und hob meinen Arm zum üblichen goreanischen Gruß. »Du bist ein Fremder in dieser Stadt«, sagte er.
»Ja.«
»Wer bist du, Fremder?«
»Ich bin ein Mann ohne Stadt«, sagte ich, »und mein Name ist Tarl.« Ich wollte eine Ähnliche Reaktion vermeiden, wie ich sie zuvor durch die Nennung Ko-ro-bas ausgelöst hatte.
»Was sind deine Pläne in Tharna?« fragte er.
»Ich möchte einen Tarn erwerben«, sagte ich, »für eine Reise, die ich vorhabe.« Ich hatte ihm ziemlich offen geantwortet, da ich annahm, er sei eine Amtsperson, die die Gründe für meinen Besuch in Erfahrung bringen sollte. Ich hatte nicht die Absicht, diese Gründe für mich zu behalten; allerdings nannte ich ihm nicht das Ziel meiner Reise. Daß ich entschlossen war, in das Sardargebirge vorzustoßen, brauchte er nicht zu wissen. Meine Geschäfte mit den Priesterkönigen gingen ihn nichts an.
»Ein Tarn ist teuer«, sagte er.
»Ich weiß.«
»Hast du Geld?«
»Nein.«
»Wie gedenkst du dann einen Tarn zu erwerben?«
»Ich bin kein Geächteter«, erwiderte ich, »obwohl ich auf meiner Tunika kein Wappen trage.«
»Natürlich nicht«, sagte er hastig. »In Tharna ist kein Platz für Geächtete. Wir sind ehrliche, fleißige Menschen.«
Ich erkannte, daß er mir nicht glaubte, und irgendwie glaubte auch ich ihm nicht. Ohne besonderen Grund faßte ich einen Widerwillen gegen ihn. Mit beiden Händen ergriff ich seine Kapuze und riß sie ihm vom Gesicht. Er umklammerte den Stoff und schob ihn hastig wieder zurecht. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein fahles Gesicht, dessen Haut wie eine getrocknete Zitronenschale wirkte. Blaue Augen blitzten mich an. Sein Begleiter, der sich nervös umgesehen hatte, machte einen Schritt vor und blieb dann stehen. Der erste Mann, der sein Gesicht nun wieder hinter dem Stoff verbarg, drehte den Kopf nach links und rechts, um zu sehen, ob jemand in der Nähe war.
»Ich möchte gern sehen, mit wem ich spreche«, sagte ich.
»Natürlich«, erwiderte der Mann mürrisch und ein wenig unsicher, wobei er seine Kapuze noch weiter nach vorn zog.
»Ich will einen Tarn kaufen«, sagte ich. »Kannst du mir helfen?« Wenn seine Antwort negativ ausfiel, wollte ich das Gespräch beenden. »Ja«, sagte der Mann.
Das interessierte mich.
»Ich kann dir nicht nur zu einem Tarn verhelfen«, fuhr der Mann fort, »sondern auch zu tausend goldenen Tarnmünzen und Vorräten für eine beliebig lange Reise.«
»Ich bin kein Attentäter«, sagte ich.
»Ah«, erwiderte der Mann.
Seit der Belagerung Ars, als Meisterattentäter Pa-Kur die Möglichkeiten seiner Kaste überschritt, indem er entgegen allen goreanischen Traditionen eine Horde gegen Ar führte, um Ubar dieser Stadt zu werden, hatte die Kaste der Attentäter im Untergrund Leben müssen. Ihre Mitglieder waren verhaßt und wurden überall gejagt. Sie waren keine hochgeschätzten Söldner mehr, deren Dienste von den Städten und sehr oft auch einzelnen Gruppen innerhalb der Städte in Anspruch genommen wurden. Viele Attentäter wanderten in Gor herum und wagten es nicht, die blaue Tunika Ihrer Kaste zu tragen; sie verkleideten sich als Mitglieder anderer Kasten, oft auch als Krieger.
»Ich bin kein Attentäter, wiederholte ich.
»Natürlich nicht«, sagte der Mann. »Die Kaste der Attentäter besteht nicht mehr.«
Das bezweifelte ich.
»Aber hast du denn kein Interesse, Fremder«, fragte der Mann, und seine blassen Augen blinzelten mich aus den Falten des grauen Umhangs an, »für mein Angebot — ein Tarn, Gold und Vorräte?« »Was muß ich dafür tun?« fragte ich.
»Du brauchst niemanden umzubringen«, sagte der Mann.
»Was dann?« wollte ich wissen.
»Du bist kühn und stark.«
»Was muß ich tun?«
»Du hast zweifellos Erfahrung.«
»Was wollt ihr von mir?« fragte ich schärfer.
»Die Entführung einer Frau«, sagte er.
Der leichte Nieselregen war stärker geworden, wirkte fast wie ein grauer Nebel, der zu der bedrückenden Feierlichkeit der Stadt paßte. Meine Kleidung war durchnäßt. Der Wind, den ich erst jetzt bemerkte, schnitt mir kalt in die Haut.
»Was für eine Frau?« fragte ich.
»Lara.«
»Und wer ist Lara?«
9
»Die Tatrix von Tharna«, sagte er.
Ich stand auf der Brücke und starrte den geheimnisvollen, verhüllten Verschwörer an, und ich war plötzlich traurig. Sogar hier in der edlen Stadt Tharna gab es Intrigen, politische Machtkämpfe und ehrgeizbesessene Menschen. Ich wurde als Attentäter oder Geächteter angesehen, als geeignetes Instrument für die ehrgeizigen Pläne einer unzufriedenen Gruppe in den Mauern Tharnas.
»Ich lehne ab.«
Der kleine, zitronengesichtige Mann fuhr zurück, als hatte ich ihm einen Schlag versetzt. »Ich vertrete mächtige Persönlichkeiten dieser Stadt«, sagte er.
»Ich möchte Lara, der Tatrix dieser Stadt, keinen Schaden zufügen«, sagte ich.