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»Ich habe nichts gestohlen«, sagte ich. »Laß mich frei.«

Thorn lachte freudlos hinter mir auf.

»Ich rate dir zu gestehen«, sagte die Tatrix.

Ich hatte das Gefühl, daß sie aus irgendeinem Grunde an meinem Schuldeingeständnis interessiert war, aber da ich nichts zu gestehen hatte, ging ich nicht darauf ein.

»Ich habe das Geld nicht gestohlen.«

»Dann tust du mir leid, Fremder«, sagte die Tatrix.

Ich verstand ihre Bemerkung nicht, und mein Rücken schien unter dem Gewicht des Jochs zerspringen zu wollen. Mein Hals schmerzte. Schweiß rann mir über die Haut, und mein Rücken brannte von den zahlreichen Peitschenhieben.

»Bringt Ost!« befahl die Tatrix.

Ich glaubte zu sehen, wie Dorna die Stolze auf ihrem Sessel unruhig wurde. Sie glättete nervös ihr Silberkleid und fuhr sich mit dem Silberhandschuh über das Gesicht.

Ein leises Wimmern ertönte, gefolgt von einem lauten Scharren. Zu meiner Überraschung wurde der Verschwörer Ost, unterjocht wie ich, vor dem Thron zu Boden gestoßen. Einer der Wächter setzte ihm einen Fuß in die Seite. Osts Joch war leichter als das meine, aber da er auch kleiner war, mochte ihn das Gewicht ebenso drücken wie mich.

»Knie vor der Tatrix!« befahl Thorn, der noch immer die Peitsche in der Hand hielt.

Mit einem furchtsamen Schrei versuchte sich Ost aufzurichten, doch er brachte das Joch nicht hoch.

Thorn hob die Hand mit der Peitsche.

Ich dachte, daß die Tatrix jetzt einschreiten würde, wie sie es bei mir getan hatte. Doch sie schwieg. Sie schien mich zu beobachten. Ich fragte mich, welche Gedanken sich hinter jener schimmernden Goldmaske abspielen mochten.

»Schlag ihn nicht«, sagte ich.

Ohne den Blick von mir zu nehmen, sagte Lara zu Thorn: »Mach dich bereit.«

Auf dem gelblichen, rotgezeichneten Gesicht erschien ein Grinsen, und Thorns Faust ballte sich um den Peitschengriff. Er sah die Tatrix an. »Steh auf«, sagte die Tatrix zu Ost, »oder du stirbst auf deinem Bauch wie eine Schlange, die du ja auch bist.«

»Ich schaffe es nicht!« schluchzte Ost. »Ich schaffe es nicht!« Die Tatrix hob ihre Hand. Wenn sie sie senkte, begann die Peitsche mit ihrer Arbeit.

»Nein!« sagte ich.

Mit jedem Muskel meines Körpers kämpfte ich um das Gleichgewicht, und die Sehnen meiner Beine und meines Rückens waren wie gespannte Kabel, als ich nun vorsichtig Osts Hand ergriff, mein Joch langsam unter das seine gleiten ließ und ihn unter Aufbietung meiner letzten Kräfte auf die Knie zog.

Die maskierten Frauen im Saal stießen erstaunte Rufe aus. Einige Krieger mißachteten die tharnaischen Gebrauche und bekundeten ihren Beifall für meine Tat, indem sie mit den Speeren gegen ihre Schilde schlugen.

Verärgert warf Thorn die Peitsche dem Folterknecht zu.

»Du bist stark«, sagte die Tatrix von Tharna.

»Stärke ist eine Eigenschaft von Tieren«, sagte Dorna die Stolze. »Das ist wahr.«

»Und doch ist er ein Schönes Tier, nicht wahr?« fragte eine der Frauen. »Soll er doch bei den Schaukämpfen von Tharna Verwendung finden«, sagte eine zweite.

Lara hob gebieterisch die Hand.

»Wie kommt es«, fragte ich, »daß du einem Krieger die Peitsche ersparst und sie bei einem elenden Kriecher wie Ost einsetzen läßt?« »Ich hatte gehofft, daß du schuldlos bist, Fremder«, sagte sie. »Die Schuld Osts ist mir dagegen bekannt.«

»Ich bin schuldlos«, sagte ich.

»Und doch«, sagte sie, »behauptest du, die Münzen nicht gestohlen zu haben.«

Meine Gedanken überstürzten sich. »Das stimmt«, sagte ich. »Ich habe die Münzen nicht gestohlen.«

»Dann bist du schuldig«, sagte die Stimme Laras, traurig, wie ich vermeinte.

»Wessen bin ich schuldig?« wollte ich wissen.

»Der Verschwörung gegen den Thron Tharnas«, sagte die Tatrix. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.

»Ost«, fuhr die Tatrix eisig fort, »du bist das Verrates an Tharna für schuldig befunden. Es ist bekannt, daß du an einer Verschwörung gegen den Thron beteiligt bist.«

Einer der Wächter, der Ost hereingeführt hatte, ergriff das Wort. »Die Berichte deiner Spione stimmen, Tatrix. In seinem Quartier fanden wir belastende Dokumente, Briefe mit Instruktionen, die sich auf einen Umsturz bezogen, dazu Säcke mit Gold, das zum Anwerben von Komplizen eingesetzt werden sollte.«

»Hat er alle diese Taten gestanden?« fragte Lara.

Ost plapperte los, flehte unverständlich um Gnade, und sein dünner Hals wand sich in der Öffnung des Jochs.

Der Wächter lachte. »Beim Anblick des weißen Urt flossen ihm die Worte nur so von den Lippen!«

»Wer hat dir das Gold gegeben, du Schlange?« fragte die Tatrix. »Von wem sind die Briefe mit den Anweisungen?«

»Ich weiß es nicht, geliebte Tatrix«, flehte Ost. »Die Briefe und das Gold wurden mir von einem behelmten Krieger gebracht.«

»Vor die Urts mit ihm!« fauchte Dorna die Stolze.

Ost begann am ganzen Leibe zu zittern und um Gnade zu flehen. Thorn versetzte ihm einen Tritt, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Was weißt du sonst noch von der Verschwörung gegen den Thron?« fragte Lara.

»Nichts, geliebte Tatrix«, wimmerte er.

»Also gut«, sagte Lara und wandte ihre schimmernde Maske dem Gardisten zu, der Ost zu Boden gestoßen hatte, »bring ihn in die Verliese zu den Urts.«

»Nein, nein, nein!« flehte Ost. »Ich weiß mehr, mehr!«

Die silbern maskierten Frauen beugten sich vor. Nur die Tatrix und Dorna blieben reglos sitzen. Obwohl der Saal kühl war, bemerkte ich, daß Thorn, Offizier Tharnas, das Wasser auf der Stirn stand. Er ballte die Fauste.

»Was weißt du sonst noch?« fragte die Tatrix.

Ost sah sich um, die Augen traten ihm vor Entsetzen aus dem Kopf. »Kennst du den Krieger, der dir die Briefe und das Gold gebracht hat?« »Ihn kenne ich nicht.«

»Laß mich dieses Verhör beenden!« sagte Thorn und zog sein Schwert. »Machen wir seinem Leben sofort ein Ende!«

»Nein«, sagte Lara. »Was weißt du sonst noch, Schlange?«

»Ich weiß, daß der Anführer der Verschwörung in Tharna einen hohen Rang bekleidet — eine Person, die die Silbermaske tragt, eine Frau.« »Unmöglich!« schrie Lara und sprang auf. »Niemand, der die Silbermaske trägt, könnte Tharna untreu werden!«

»Und doch ist es wahr«, schnüffelte Ost.

»Wer ist die Verräterin?« fragte Lara.

»Ich kenne ihren Namen nicht.«

Thorn lachte.

»Aber«, sagte Ost hoffnungsvoll, »ich habe einmal mit ihr gesprochen und würde vielleicht ihre Stimme wiedererkennen, wenn ich am Leben bliebe.«

Thorn lachte wieder. »Er versucht sich nur das Leben zu erkaufen.« »Was meinst du, Dorna die Stolze?« wandte sich Lara an die Zweite Herrscherin in Tharna.

Doch Dorna blieb seltsam stumm. Sie antwortete nicht, sondern hob ihre behandschuhte Hand und vollführte eine heftige Abwärtsbewegung, als warf sie eine Klinge.

»Gnade, große Dorna!« kreischte Ost.

Dorna wiederholte die Bewegung.

Aber Lara hatte die Hände ausgestreckt, die Handflächen nach oben, und sie hob sie leicht an, eine anmutige Geste, die Gnade verhieß. »Danke, geliebte Tatrix«, wimmerte Ost, dem die Tränen über das Gesicht liefen. »Vielen Dank!«

»Sage mir, Schlange!« sagte Lara, »hat der Krieger dir die Münzen gestohlen?«

»Nein, nein«, sagte Ost schluchzend.

»Hast du sie ihm gegeben?«

»Ja, ja!«

»Und er hat sie genommen?« fragte sie.

»Das stimmt.«

»Du hast mir die Münzen aufgedrängt und bist davongelaufen«, sagte ich. »Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als sie zu nehmen.« »Er hat die Münzen angenommen«, murmelte Ost und starrte mich hämisch an. Er schien entschlossen zu sein, mich an dem Schicksal teilhaben zu lassen, das auf ihn wartete.

»Ich hatte keine andere Wahl«, sagte ich ruhig.

Ost sah mich bösartig an.

»Wenn ich ein Verschwörer wäre«, sagte ich, »wenn ich mit diesem Mann unter einer Decke steckte, warum sollte er mich des Diebstahls anklagen, warum sollte er mich verhaften lassen?«

Ost erbleichte. Sein Verstand sprang von Einfall zu Einfall, doch sein Mund bewegte sich nur stumm, unkontrolliert.