Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Cabot würde nach Hause gehen, wenn er bereit wäre. Ich spürte sein Schweigen, das Summen der Stimmen ringsum, das Klirren von Gläsern, Füßescharren, Anstoßen.
Cabot hob seinen Scotch und hielt ihn vor sich, neigte das Glas und ließ einige Tropfen auf den Tisch fallen. Dabei murmelte er Worte in der seltsamen Sprache, die ich bisher nur einmal gehört hatte, als ich im Griff seiner Hände zitterte.
»Was machst du da?« fragte ich.
»Ich bringe ein Opfer«, sagte er. »Ta-Sardar-Gor.«
»Was heißt das?«
»Es heißt«, sagte Cabot und lachte freudlos, »›den Priesterkönigen von Gor‹!«
Er stand unsicher auf. Ohne Vorwarnung stieß er einen wilden Wutschrei aus und schleuderte das Glas an die Wand. Es zerbrach in unzählige schimmernde Stücke, die zu Boden klirrten. Erschrecktes Schweigen breitete sich aus. Und in die verblüffte Stille hinein hörte ich ihn heiser flüstern: »Ta-Sardar-Gor!«
Der Barmann, ein schwerer, dicker Mann, kam an unseren Tisch gewatschelt. In seiner dicken Hand war ein kurzer Lederknüppel, mit Schrotkörnern gefüllt. Der Barmann deutete auf die Tür. Er wiederholte die Geste. Cabot, der ihn um einiges überragte, schien die Bewegung nicht zu begreifen. Der Barmann hob drohend den Knüppel. Cabot ergriff die Waffe und zog sie dem verblüfften Mann anscheinend mühelos aus der Hand. Er schaute auf in das schwitzende, furchtsam verzogene Gesicht.
»Du hast die Waffe gegen mich erhoben«, sagte er. »Nach meinen Regeln darf ich dich jetzt töten.«
Der Barmann und ich sahen entsetzt zu, wie Cabots große feste Hände den Knüppel auseinanderzerrten, die Naht aufplatzen ließen — wie ich vielleicht eine Papprolle zerbrochen hätte. Einige Schrotkörner fielen zu Boden und rollten unter die Tische.
»Er ist betrunken«, wandte ich mich an den Barmann. Ich nahm Cabot am Arm. Seine Wut schien verraucht zu sein, und ich spürte, daß er niemandem schaden wollte. Die Berührung meiner Hand schien ihn aus seiner seltsamen Stimmung zu reißen. Er reichte dem Barmann den verbogenen Knüppel zerknirscht zurück.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Wirklich.« Er griff in die Tasche und drückte dem Mann eine Banknote in die Hand. Es waren hundert Dollar. Wir zogen unsere Mantel an und gingen in die Februarnacht hinaus. Vor der Bar blieben wir einen Augenblick schweigend im Schnee stehen. Cabot, noch immer halb betrunken, sah sich um, nahm die brutale elektrische Geometrie der großen Stadt in sich auf, die dunklen, einsamen Gestalten, die sich durch den leichten Schnee bewegten, die bleichen, leuchtenden Autoscheinwerfer.
»Eine große Stadt«, sagte Cabot, »die aber von ihren Einwohnern nicht geliebt wird. Wer würde hier schon für seine Stadt sterben wollen? Wer würde ihre Grenzen verteidigen? Wer würde sich ihretwegen einer Folter unterwerfen?«
»Du bist betrunken«, sagte ich lächelnd.
»Diese Stadt wird nicht geliebt«, sagte er. »Oder sie würde nicht so gebraucht, nicht so gehalten.«
Traurig wandte er sich zum Gehen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich heute nacht das Geheimnis Tarl Cabots erfahren würde. »Warte!« rief ich ihm nach.
Er wandte sich um, und ich glaubte zu spüren, daß er sich über meinen Ruf freute, daß ihm meine Gesellschaft gerade heute abend viel bedeutete.
Wir gingen zu seiner Wohnung, wo er mir zuerst eine Kanne Kaffee kochte. Wortlos trat er dann an einen Wandschrank und brachte eine Kassette zum Vorschein. Er öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, und nahm ein Manuskript heraus, in seiner klaren, entschlossenen Handschrift verfaßt, mit einer Schnur gebunden. Er schob mir das Manuskript hin.
Es war ein Bericht über Ereignisse, die sich nach Cabots Worten auf die Gegenerde bezogen, die Geschichte eines Kriegers, der Belagerung einer Stadt und seiner Liebe zu einem Mädchen. Sie kennen diesen Text vielleicht als GOR - DIE GEGENERDE.
Als ich kurz nach Morgengrauen mit Lesen fertig war, schaute ich Cabot an, der die ganze Zeit am Fenster gesessen und den Schnee beobachtet hatte.
Er wandte sich um. »Es ist alles wahr, aber du brauchst es mir nicht zu glauben.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Natürlich konnte die Geschichte nicht wahr sein; andererseits hielt ich Cabot für einen der ehrlichsten Menschen auf dieser Welt.
Da fiel mein Blick auf seinen Ring den ich zwar schon tausendmal vorher gesehen hatte, von dem aber auch in seinem Manuskript die Rede war. Der Ring mit dem Siegel der Familie Cabot.
»Ja«, sagte Tarl. »Das ist der Ring.«
Ich deutete auf das Manuskript. »Warum hast du mir das gezeigt?« fragte ich.
»Ich möchte, daß jemand Bescheid weiß«, erwiderte Cabot schlicht. Ich stand auf. Zum erstenmal spürte ich die Wirkung der durchwachten Nacht, des Lesens, das Alkohols und des bitteren Kaffees. Ich lächelte. »Am besten gehe ich jetzt. Dann bis morgen.«
»Ja, auf Wiedersehen«, sagte Cabot und half mir in den Mantel. »Aber morgen sehen wir uns nicht. Ich gehe wieder in die Berge.«
Ja, es war Februar, und er war im Februar vor sieben Jahren verschwunden.
Der Schreck fuhr mir in die Glieder. »Geh nicht«, sagte ich. »Ich werde gehen«, erwiderte er.
»Dann laß mich mitkommen!«
»Nein. Vielleicht komme ich nicht zurück.«
Wir gaben uns die Hand, und ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich Tarl Cabot womöglich nicht wiedersehen würde. Meine Hand krampfte sich um die seine. Ich hatte ihm etwas bedeutet, und er mir, und jetzt sollten wir uns einfach so trennen, nie wieder miteinander sprechen.
Ich fand mich in dem kahlen weißen Flur vor seiner Wohnung wieder und starrte auf die nackte Glühbirne an der Decke. Dann plötzlich wandte ich mich um und rannte zu seinem Apartment zurück. Ich hatte ihn im Stich gelassen, meinen Freund. Wie ich auf diesen Gedanken kam, wußte ich nicht. Ich hieb mit beiden Fäusten an die Wohnungstür, doch es kam keine Antwort. Ich trat die Tür ein, fetzte das Schloß aus der Füllung. Ich hastete durch die Zimmer. Doch Tarl Cabot war verschwunden!
Auf dem Tisch des kleinen Wohnzimmers lag das Manuskript, das ich in den letzten Stunden gelesen hatte — mit einem Briefumschlag, auf dem mein Name und meine Adresse standen. Drinnen lag ein Zettel. »Für Harrison Smith, wenn er es haben möchte.« Niedergeschlagen verließ ich die Räume und nahm das Manuskript mit, das später als Gor - Die Gegenerde veröffentlicht wurde. Dies und meine Erinnerung waren alles, was mir von meinem Freund Tarl Cabot blieb.
Meine Prüfungen kamen und brachten Erfolg. Später wurde ich im Staate New York als Rechtsanwalt zugelassen und trat einem der großen Anwaltsbüros der Stadt bei. Im Dschungel der komplizierten und anstrengenden Arbeit wurde die Erinnerung an meinen Freund Cabot immer mehr verdrängt. So bleibt nicht mehr viel zu sagen, außer daß ich ihn bisher nicht wiedergesehen habe. Dennoch habe ich das Gefühl, daß er lebt.
Als ich eines Abends nach der Arbeit in meine Wohnung zurückkehrte, lag auf dem Rauchtisch vor meinem Lesesessel ein zweites Manuskript, das nun folgt. Ich weiß nicht, wie es dorthin gekommen ist — Türen und Fenster waren verschlossen.
Vielleicht stimmt es tatsächlich, wie Tarl Cabot einmal bemerkte, daß die Abgesandten der Priesterkönige unter uns weilen.
2
Wieder einmal durchstreifte ich, Tarl Cabot, die grünen Felder Gors. Ich erwachte unbekleidet im windzerzausten Gras, unter jenem flammenden Stern, der die Sonne meiner beiden Heimatplaneten ist — der Erde und ihre geheimen Schwester, der Gegenerde Gor.
Langsam richtete ich mich auf. Jede Faser meines Körpers vibrierte in dem starken Wind, meine Haare flatterten, meine Muskeln schmerzten und freuten sich über den ersten freien Auslauf seit Wochen, denn ich war in den White Mountains in jene Silberscheibe eingetreten, die das Raumschiff der Priesterkönige war, das Fahrzeug für die Akquisitionsreisen. Beim Betreten des Schiffes war ich bewußtlos geworden. Und in diesem Zustand — wie schon einmal vor vielen Jahren — hatte ich Gor erreicht.