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Thorn ergriff das Wort: »Ost wußte, daß er im Verdacht stand, an einer Verschwörung gegen Lara beteiligt zu sein.«

Ost sah ihn verwirrt an.

»So mußte er den Eindruck erwecken, als habe nicht er das Geld diesem Krieger — oder Attentäter, je nach dem — gegeben«, sagte Thorn. »Er behauptete also, es sei ihm gestohlen worden. Auf diese Weise stand er völlig unschuldig da und konnte zugleich den Mann vernichten, der um seine Komplicenschaft wußte.«

»Das stimmt!« rief Ost dankbar, nur zu bereit, nach diesem Strohhalm zu greifen, der ihm von dem mächtigen Thorn hingehalten wurde.

»Wie kommt es, daß Ost dir die Münzen gab, Krieger?« fragte die Tatrix. »Ost hat sie mir gegeben ... als Geschenk«, entgegnete ich.

Thorn warf den Kopf in den Nacken und lachte.

»In seinem ganzen Leben hat Ost noch nichts verschenkt!« dröhnte er, wischte sich den Mund und versuchte wieder ernst zu werden.

Auch Ost kicherte.

Doch die Maske der Tatrix schimmerte auf ihn herab, und die leisen Laute erstickten ihm im dünnen Hals. Die Tatrix erhob sich von ihrem Thron und deutete auf den Verschwörer. Mit eisiger Stimme wandte sie sich an den Wächter, der ihn in den Saal gebracht hatte. »In die Bergwerke mit ihm!« sagte sie.

»Nein, geliebte Tatrix, nein!« flehte Ost. Das Entsetzen schien wie eine eingesperrte Katze hinter seinen Augen zu hocken, und er begann unter seinem Joch wie ein krankes Tier zu zittern. Verächtlich hoben die Wächter ihn an und zerrten die stolpernde und wimmernde Gestalt aus dem Raum. Ich ahnte, daß eine Verbannung in die Bergwerke einem Todesurteil gleichkam.

»Du bist grausam«, sagte ich zu der Tatrix.

»Eine Tatrix muß grausam sein«, sagte Dorna.

»Das«, sagte ich, »möchte ich gern aus dem Munde der Tatrix Hören.« Dorna erstarrte.

Nach kurzem Schweigen ergriff die Tatrix, die nun wieder Platz genommen hatte, das Wort. Ihre Stimme war ruhig. »Manchmal«, sagte sie, »ist es nicht einfach, die Erste Frau Tharnas zu sein.« Diese Antwort hatte ich nicht erwartet.

Ich fragte mich, was für eine Frau hinter der goldenen Maske stecken mochte. Was für eine Frau war die Herrscherin von Tharna? Einen Augenblick verspürte ich Mitleid mit dem goldenen Wesen, vor dessen Thron ich kniete.

»Was dich angeht«, sagte Lara, und ihre Maske glitzerte, »so gibst du zu, Ost die Münzen nicht gestohlen zu haben, und mit diesem Geständnis bestätigst du zugleich, daß er sie dir gegeben hat.« »Er drückte sie mir in die Hand«, sagte ich, »und lief davon.« Ich blickte zur Tatrix auf. »Ich bin nach Tharna gekommen, um einen Tarn zu kaufen. Ich hatte kein Geld. Mit Osts Geld hätte ich ein Tier erwerben und meine Reise fortsetzen Können. Hatte ich sie fortwerfen sollen?« »Mit diesen Münzen«, sagte Lara und hielt den kleinen Beutel in die Hohe, »sollte mein Tod erkauft werden.«

»So wenig Münzen?« fragte ich skeptisch.

»Offensichtlich war der Rest der Summe nach vollbrachter Tat fällig«, sagte sie.

»Die Münzen waren ein Geschenk«, erwiderte ich. »Das dachte ich jedenfalls.«

»Ich glaube dir nicht.«

Ich schwieg.

»Welche Gesamtsumme hat dir Ost geboten?« fragte sie.

»Ich weigerte mich, auf seine Pläne einzugehen«, sagte ich.

»Welche Summe hat dir Ost insgesamt geboten?« wiederholte die Tatrix.

»Er sprach von einem Tarn, tausend goldenen Tarnmünzen und Vorraten für eine längere Reise.«

»Goldene Tarnmünzen sind selten in Tharna«, sagte die Tatrix. »Anscheinend ist jemand bereit, sich meinen Tod etwas kosten zu lassen.« »Nicht deinen Tod«, sagte ich.

»Was dann?«

»Deine Entführung.«

Die Tatrix erstarrte plötzlich und begann am ganzen Körper zu zittern. Sie sprang auf und schien vor Wut außer sich.

Sie kam die Stufen des Throns herab und stand zitternd vor mir. »Gib mir die Peitsche!« fauchte sie. Der Folterknecht kniete zitternd vor ihr und reichte ihr das Gewünschte. Sie Lies die Peitsche in der Luft knallen. »So«, sagte sie zu mir, und ihre Hände krampften sich um den Peitschengriff. »Du wolltest mich also vor dir auf dem roten Teppich liegen sehen, mit den gelben Schnüren gebunden, wie?«

Ich verstand nicht, was sie meinte.

»Du wolltest mich in Sklavenrock und Kragen sehen?« zischte sie. Die Frauen hinter den Silbermasken gerieten in Bewegung und begannen ärgerliche Rufe auszustoßen.

»Ich bin eine Frau Tharnas!« kreischte sie. »Die Erste Frau in Tharna! Die Erste!«

Außer sich vor Wut begann sie nach mir zu schlagen. »Hier der Kuß der Peitsche für dich!« schrie sie. Immer wieder schlug sie zu, so kräftig sie konnte, doch es gelang mir, auf den Knien zu bleiben.

Der Saal begann um mich zu verschwimmen, mein Körper, durch das Gewicht des Jochs belastet und nun auch in das Feuer der Peitsche gehüllt, zuckte in unkontrollierbarer Qual. Als sich die Tatrix verausgabt hatte, brachte ich etwas fertig, was mir heute noch unverständlich ist. Ich nahm meine letzten Kräfte zusammen und stellte mich auf, blutüberströmt, gebeugt von der Last des silbernen Jochs — und ich schaute auf sie herab.

Sie wandte sich um und floh auf ihren Thron. Sie sah mich erst wieder an, als sie ihren Sitz erreicht hatte.

Mit herrischer Geste deutete sie auf mich. Ihr goldener Handschuh war nun schweißdurchtränkt und dunkel von meinem Blut.

»Er soll bei den Schaukämpfen von Tharna Verwendung finden!« sagte sie.

12

Man hatte mir eine Kapuze übergestreift und mich unter der Last meines Jochs durch die Straßen getrieben. Endlich war ich in ein Gebäude gekommen, wo ich eine lange, schräge Rampe hinabgehen mußte, gefolgt von endlosen, feuchten Gängen. Als mir die Haube endlich abgenommen wurde, fand ich mich in einem Verlies wieder.

Ich wurde an die Wand gekettet.

Der Raum wurde durch eine kleine Tharlarionlampe erleuchtet. Ich hatte keine Vorstellung, wie tief das Verlies unter der Erde lag. Fußboden und Wände bestanden aus schwarzem Gestein. Es war feucht. Hier und dort lag Stroh auf dem Boden. Ich vermochte mit Mühe ein kleines Wassergefäß zu erreichen. Eine Schale mit Nahrung lag neben meinem Fuß.

Erschöpft, schmerzerfüllt, so lag ich auf den Steinen und schlief. Wie lange dieser Schlaf dauerte, weiß ich nicht. Als ich erwachte, tat mir jeder Muskel im Körper weh, ein matter, ziehender Schmerz. Ich versuchte mich zu bewegen, und sofort begannen mir meine Wunden das Leben unerträglich zu machen.

Trotz des Jochs richtete ich mich auf, schlug die Beine unter und schüttelte den Kopf. In der kleinen Schale lag ein halber Brotlaib. Mit dem Joch gab es keine Möglichkeit, an das Brot heranzukommen. Ich konnte auf dem Bauch an die Schale herankriechen, und wenn mein Hunger noch schlimmer würde, blieb mir auch nichts anderes übrig. Der Gedanke ärgerte mich. Das Joch diente nicht nur dazu, einen Gefangenen an der Flucht zu hindern, sondern es sollte ihn auch erniedrigen, ihn einem Tier gleichsetzen.

»Ich möchte dir helfen«, sagte eine Mädchenstimme.

Ich drehte mich um, und das Trägheitsmoment des Jochs ließ mich fast das Gleichgewicht verlieren. Zwei schmale Hände griffen nach der silbernen Last, kämpften einen Augenblick damit und brachten es wieder in die richtige Lage, so daß ich aufrecht hocken blieb.

Ich schaute das Mädchen an. Sie mochte unscheinbar sein, doch ich fand sie attraktiv. Sie strahlte eine menschliche Wärme aus, die ich in Tharna nicht erwartet hätte. Ihre dunklen Augen musterten mich besorgt. Ihr Haar, das eine rötlichbraune Farbe hatte, war hinter ihrem Kopf zusammengebunden.

Als sie meinen Blick bemerkte, senkte sie scheu die Augen. Sie trug ein schlichtes braunes Kleid, das wie ein Poncho um ihren Körper geschlungen und an ihrer Hüfte von einem Kettchen zusammengehalten wurde.

»Ja«, sagte sie beschämt. »Ich trage den Sklavenrock.«

»Du bist schön«, sagte ich.

Sie sah mich verwirrt und dankbar an.

Stumm griff sie nach dem Brot in der Schale und hielt es mir an den Mund. Heißhungrig biß ich zu, schluckte den Bissen hinunter und aß weiter.