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Sie begann zu weinen.

»Du hattest dich dem Hohen Rat nicht stellen dürfen.«

»Warum?« fragte sie. »War ich denn nicht schuldig?«

»Nein«, sagte ich entschieden.

»Ist denn die Liebe kein Verbrechen?«

»Nur in Tharna.«

»Du bist seltsam«, sagte sie lachend, »wie Andreas aus Tor.« »Was ist mit Andreas? Wenn du nicht zu ihm kommst, wird er dich dann nicht suchen und wieder in die Stadt kommen?«

»Nein«, sagte sie. »Er wird denken, daß ich ihn nicht mehr liebe.« Sie senkte den Kopf. »Er wird weiterziehen und sich eine andere Frau suchen — eine, die lieblicher ist als ein Mädchen aus Tharna.« »Das glaubst du doch wohl selbst nicht!«

»Doch«, sagte sie. »Und er kommt bestimmt nicht in die Stadt. Er weiß, daß er sofort verhaftet und womöglich in die Bergwerke geschickt würde.«

»Du glaubst also, er habe Angst, in die Stadt zu kommen?« fragte ich. »Ja, er ist kein Narr.«

»Was?« rief eine fröhliche junge Stimme. »Was weiß ein Mädchen wie du von Narren, von der Kaste der Sänger, von uns Dichtern?«

Linna sprang auf.

Durch die Tür stolperte eine gejochte Gestalt, die von zwei Speerschaften vorwärtsgestoßen wurde. Sie torkelte durch das Verlies, ehe Sie mit dem Joch gegen die Wand polterte und zum Stehen kam. Es gelang dem Mann, das Joch herumzudrehen und sich an der Wand zu Boden gleiten zu lassen.

Er war ein ungepflegter, stämmiger junger Bursche mit fröhlichen blauen Augen und einem wilden Haarschopf, der mich an das Fell eines schwarzen Larl erinnerte. Er saß dort im Stroh und blickte mit fröhlichem, freiem Lächeln zu uns auf. Er reckte den Hals im Joch und bewegte die Finger.

»Also, Linna«, sagte er. »Ich bin gekommen, dich zu entführen.« »Andreas!« rief sie und stürzte zu ihm.

13

Die Sonne stach mir in die Augen. Der weiße, duftige Sand, der mit Glimmer durchsetzt war, brannte mir unter den Füßen. Ich kniff die Augen zusammen, blinzelte und versuchte den Schmerz des grellen Lichts herabzumindern. Schon spürte ich, wie sich die Sonnenhitze in mein silbernes Joch bohrte.

Mein Rücken bekam die Schäfte mehrerer Speere zu spüren, als ich weitergetrieben wurde, wobei ich bis zu den Knöcheln im heißen Sand versank. Links und rechts von mir erlitten andere Gefangene ein Ähnliches Schicksal; sie wurden wie Tiere vorangetrieben. Einige jammerten, andere fluchten, manche blieben stumm. Zu diesen gehörte Andreas aus der Wüstenstadt Tor, der zu meiner Linken ging. Endlich hörte die Qual der Speere auf.

»Kniet vor der Tatrix von Tharna!« befahl eine klare Stimme, die durch eine Art Schallrohr zu uns sprach.

Ich hörte Andreas’ Stimme neben mir. »Seltsam«, sagte er, »gewöhnlich nimmt die Tatrix nicht an den Schauspielen von Tharna teil.« Ich fragte mich, ob ich der Grund sei, daß die Tatrix heute gekommen war.

»Kniet vor der Tatrix von Tharna!« wiederholte die Stimme.

Die anderen Gefangenen gehorchten. Nur Andreas und ich blieben stehen.

»Warum kniest du nicht nieder?« fragte ich.

»Glaubst du, daß nur Krieger Mut haben?«

Plötzlich erhielt er einen brutalen Speerhieb in den Rücken, und stöhnend sank er zu Boden. Auch mich traf der Speerschaft mehrere Male, hämmerte mir in den Rücken und gegen die Schultern, doch ich blieb stehen. Irgend etwas gab mir die Kraft, das Gewicht des Jochs und die Wucht der Hiebe auszuhalten und wie ein Ochse zu verharren. Mit lautem Knall wickelte sich die Peitsche plötzlich um meine Beine. Die Haut brannte wie von roten Flammen getroffen. Die Füße wurden mir unter dem Körper fortgerissen, und ich fiel schwer in den Sand. Ich sah mich um.

Wie ich schon erwartet hatte, befanden wir uns im Sand einer großen Arena.

Sie war oval und hatte einen langen Durchmesser von etwa Hundert Metern. Der Sand war von vier Meter hohen Mauern umschlossen. Die Mauern grenzten Tribünen ein, die in hellen Farben gehalten waren, golden, purpurn, rot, orange, gelb und blau.

Die Oberfläche der Arena, der gepflegte weiße Sand, trug zu dem farbenfrohen Bild bei. Über bestimmten Teilen der Tribünen, die zu allen Seiten aufragten, hingen riesige gestreifte Stoffbahnen aus roter und gelber Seide, die sich im Winde bauschten.

Es hatte den Anschein, als würden all die herrlichen Farben Gors, die den Gebäuden Tharnas vorenthalten wurden, an diesem Ort der Schauspiele um so reichlicher zur Schau gestellt.

In den Tribünen, von den Bahnen beschattet, sah ich Hunderte von Silbermasken. Die hochmütigen Frauen Tharnas, die gelassen auf ihren Banken saßen, auf bunten Seidenkissen, und die nun gespannt auf den Beginn der Spiele warteten.

Ich bemerkte auch das Grau von Männern auf den Tribünen. Bei einigen handelte es sich um bewaffnete Krieger, die vielleicht postiert waren, um auf Ordnung zu achten, doch viele mußten gewöhnliche tharnaische Bürger sein. Einige schienen sich zu unterhalten, schlossen vielleicht sogar Wetten ab, doch die meisten saßen starr auf ihren Steinbanken, ernst und stumm in ihren grauen Tuniken, und was hinter ihren Stirnen verging, war nicht zu Ahnen. Linna hatte Andreas und mir im Verlies erzählt, daß ein tharnaischer Mann die Schauspiele seiner Stadt mindestens viermal im Jahr besuchen müsse, und daß er, falls er die nötigen Besuche nicht zusammenbekam, selbst in die Arena gejagt werde.

Ungeduldige Rufe wurden auf den Tribünen laut, schrille Frauenstimmen, die so gar nicht zu der Ruhe der Silbermasken paßten. Alle Augen waren auf den Teil der Tribünen gerichtet, vor dem wir knieten, eine Abteilung, die mit Gold ausgeschlagen war.

Ich hob den Blick über die Mauer und sah dort in ihren goldenen Roben die Frau, die allein berechtigt war, eine goldene Maske zu tragen, die Erste Frau Tharnas — Lara, die Tatrix.

Sie erhob sich von ihrem goldenen Thron und streckte den Arm aus. Sie trug einen goldenen Handschuh, an dem ein kleines goldenes Tuch flatterte.

Es wurde still in der Runde.

Zu meiner Verblüffung begannen die Männer Tharnas, die neben mir in der Arena knieten, Männer, die von ihrer Stadt ausgestoßen worden waren, ein seltsames Lied zu singen. Andreas und ich konnten, da wir nicht aus Tharna stammten, den Text nicht mitsingen. Ich mochte behaupten, daß er ebenso überrascht war wie ich.

Obwohl wir nur niedere Tiere sind Die nur Eurer Bequemlichkeit leben, Nur zu Eurem Vergnügen sterben, Beten wir die Masken Tharnas an.

Heil den Masken Tharnas!

Heil der Tatrix unserer Stadt!

Das goldene Tuch flatterte in den Sand der Arena, und die Tatrix setzte sich und lehnte sich bequem in die Kissen ihres Throns zurück. Die Stimme sagte durch das Schallrohr: »Mögen die Schauspiele von Tharna beginnen!«

Begeisterte Ausrufe und schrille Schreie begrüßten diese Ankündigung, doch blieb mir keine Zeit zum Zuhören, denn ich wurde grob hochgerissen.

»Zuerst«, sagte die Stimme, »findet der Ochsenkampf statt.«

Es standen etwa vierzig Gefangene in der Arena. In wenigen Sekunden hatten uns die Wächter zu Vierergruppen auseinandergetrieben und verbanden unsere Joche mit Ketten. Mit Peitschen trieben sie uns dann zu einigen großen Granitblöcken von denen jeder eine Tonne wiegen mochte. An den Seiten der Felsblöcke waren schwere Eisenringe befestigt. Mit Ketten wurde jede Gruppe an einem solchen Block festgemacht.

Nun wurde uns die Richtung angegeben. Das Rennen begann und endete vor der goldenen Mauer, hinter der die goldschimmernde Tatrix von Tharna saß. Jedes Gespann hatte seinen Fahrer, der eine Peitsche bei sich trug und wahrend des Rennens auf dem Felsblock saß. Mühsam zerrten wir die schweren Blocke vor die goldene Mauer. Das Silberjoch, das in der Hitze glühte, brannte mir am Hals und auf den Schultern. Als wir so vor der Mauer standen, hörte ich das Gelächter der Tatrix, und mir wurde vor Wut schwarz vor den Augen.

Unser Fahrer war der Mann mit den ledernen Armreifen, der mich aus den Urt-Verliesen in den Thronsaal der Tatrix gebracht hatte. Er kam heran und überprüfte jeden von uns, sah nach den Ketten. Als er mein Joch und meine Kette betastete, sagte er:, »Dorna die Stolze hat hundert goldene Tarnmünzen auf diesen Block gesetzt. Du mußt dafür sorgen, daß er nicht verliert.«