Выбрать главу

Die Sklaven sprangen vor.

»Nein!« schrie ich.

Einige stolperten und stürzten hin, prallten kettenklirrend auf den Boden, zogen andere mit. Doch die meisten blieben stehen, vermochten ihr Gleichgewicht zu halten. Wie ein Mann richtete die zerlumpte, verdreckte Sklavengruppe die Augen auf mich.

»Eßt!« brüllte der Peitschensklave und knallte zum zweitenmal. »Nein«, sagte ich!

Die Männer waren unentschlossen.

Ost versuchte sich zum Trog vorzudrängen; da er jedoch an Kron gefesselt war, kam er nicht voran. Ost hatte ebensogut an einen Baumstamm gekettet sein Können.

Der Peitschensklave kam auf mich zu. Siebenmal traf mich die Peitsche, ohne daß ich zusammenzuckte.

Dann sagte ich: »Schlag mich nicht noch einmal.«

Er wich mit erhobenem Arm zurück und ließ die Peitsche sinken. Er hatte begriffen, das sein Leben in Gefahr war. Welcher Trost konnte es ihm sein, wenn das ganze Bergwerk überflutet wurde und er zuvor als erster gestorben war — von meiner Hand?

Ich wandte mich an die Männer. »Ihr seid keine Tiere«, sagte ich, »ihr seid Menschen.«

Ich machte eine einladende Handbewegung und führte zum Trog. »Ost«, sagte ich, »wird das Brot verteilen.«

Ost steckte die Hände in das Brot und stopfte sich einen großen Brocken in den Mund.

Krons Handkette traf ihn an der Seite des Gesichts, und das Brot flog ihm aus dem Mund.

»Verteile das Brot!« sagte Kron.

»Wir haben dich ausgewählt«, sagte Andreas aus Tor, »weil du für deine Ehrlichkeit bekannt bist.«

Zu meiner Verblüffung begannen die angeketteten Sklaven zu lachen. Während uns der Peitschensklave angstvoll beobachtete, verteilte Ost mit grimmiger Miene das armselige Frühstück im Essenstrog.

Das letzte Brotstückchen brach ich in zwei Teile, nahm eine Hälfte und gab Ost den Rest. »Und nun iß«, sagte ich.

Wütend wanderte sein Blick hin und her, wahrend er in das Brot biß und hastig zu kauen begann. »Dafür werden wir alle überflutet«, sagte er.

Andreas aus Tor schaltete sich ein: »Was mich angeht, so wäre es mir eine Ehre, in der Gegenwart unseres teuren Ost zu sterben.«

Und wieder lachten die Männer, und ich glaubte auch auf Osts Lippen ein Lächeln wahrzunehmen.

Der Peitschensklave sah untätig zu, wahrend wir den langen Gang zum Vortrieb zurücklegten. Verwundert beobachtete er uns; denn einer der Männer aus der Kaste der Bauern hatte ein Pfluglied zu summen begonnen, und nacheinander fielen die anderen ein.

Die Ablieferungsmenge schafften wir an diesem Tage mühelos — und auch am nächsten.

18

Von Zeit zu Zeit breiteten sich Neuigkeiten durch die Bergwerke aus. Sie wurden von den Sklaven gebracht, die die Essenströge füllten. Diese Sklaven waren besser dran als wir, denn sie hatten Zugang zum Zentralschacht. Jedes der hundert Bergwerke Tharnas hatte einen Zugang zu diesem Schacht. Er unterschied sich sehr von den viel engeren Erzschächten, die in jedem Bergwerk anders ausfielen. Diese waren schmale Öffnungen, in denen die Plattformen der Hebevorrichtungen gerade einen normalen Erzsack aufnehmen konnten. Durch den Zentralschacht wurden die tharnaischen Bergwerke mit Vorräten versorgt, nicht nur mit Lebensmitteln, sondern nach Bedarf auch mit Leinenstoff, Werkzeugen und Ketten. Das Trinkwasser stammte aus den natürlichen Quellen jedes Bergwerks. Ich und meine Mitgefangenen waren durch den Zentralschacht in diese Unterwelt gekommen. Nur tote Sklaven legten den umgekehrten Weg zurück. Ausgehend von den Sklaven, die die Flaschenzüge der Versorgungsfahrstühle des Zentralschachtes bedienten, von anderen Sklaven weitererzählt — so hatte sich die Nachricht ausgebreitet, bis sie schließlich auch unser Bergwerk erreichte, welches auf der tiefsten Sohle des Riesenschachtes lag.

Es gab eine neue Tatrix in Tharna.

»Wer ist die neue Tatrix?« fragte ich.

»Dorna die Stolze«, sagte der Sklave, der Zwiebeln, Rettiche, Kartoffeln und Brot in den Essenstrog schüttete.

»Was ist aus Lara geworden?« fragte ich.

Er lachte. »Du hast keine Ahnung!« rief er aus.

»Es dauert lange, bis Neuigkeiten zu uns dringen«, sagte ich. »Sie wurde entführt!«

»Was?« rief ich.

»Ja«, sagte er. »Von einem Tarnkämpfer, wie es sich herausstellte.« »Und wie hieß der Mann«, fragte ich.

»Tarl«, entgegnete er und flüsterte: »Tarl aus — Ko-ro-ba.«

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.

»Er ist ein Geächteter«, fuhr der Mann fort, »der die Schauspiele Tharnas überlebte.«

»Ich weiß«, sagte ich.

»Da war ein Tarn mit einer Silberstange, der ihn fressen sollte. Doch er befreite den Tarn —« der Sklave klatschte sich auf die Schenkel — »bestieg das Tier und entführte die Tatrix wie einen Tabuk!« Sein Gelächter hallte in dem engen Raum wider, und die anderen Sklaven fielen begeistert ein. Ich begann zu verstehen, mit welchen Augen die Tatrix von den Sklaven gesehen wurde. Ich lachte nicht. »Was ist mit der Verhandlungssäule?« fragte ich. »Wurde denn die Tatrix nicht unverletzt dort zurückgegeben und freigelassen?« »Das hatten alle angenommen«, sagte der Sklave. »Aber dem Tarnkämpfer lag offenbar an ihr mehr als an allen Reichtümern Tharnas.«

»Was für ein Mann!« rief einer der Sklaven. »Vielleicht war sie sehr schön«, sagte ein zweiter Mann. »Sie wurde nicht zurückgegeben?« fragte ich den Sklaven am Trog.

»Nein«, sagte er. »Zwei bedeutende Leute in Tharna, Dorna die Stolze und Thorn, ein Offizier, flogen zur Säule, aber die Tatrix wurde nicht zurückgebracht. Daraufhin wurden die Gebirge ringsrum abgesucht — doch man fand nur die zerrissenen Gewänder und ihre Goldmaske.« Der Sklave setzte sich auf den Trogrand. »Und jetzt tragt Dorna die Maske.« »Was ist wohl aus Lara geworden?« fragte ich.

Der Sklave lachte. »Nun«, sagte er, »wir wissen, daß sie ihre Goldgewänder nicht mehr trägt.«

»Zweifellos hat sie passendere Dinge erhalten.«

»Ja!« Der Sklave klatschte sich auf das Knie. »Stellt euch vor! Lara, die Tatrix von Tharna, im Tanzkleid einer Sklavin!«

Meine Kettengemeinschaft lachte — alle außer mir und Andreas aus Tor, der mich fragend ansah. Ich lächelte ihn an und zuckte die Achseln. Die Antwort auf seine unausgesprochene Frage wußte ich nicht.

Nach und nach versuchte ich meinen Mitsklaven das Selbstvertrauen wiederzugeben. Der erste Schritt war die einfache Essenszeremonie. Dann ermutigte ich sie, mehr miteinander zu sprechen, sich beim Namen und bei der Heimatstadt zu nennen, und obwohl die Männer aus den verschiedensten Gebieten Gors kamen, teilten sie dieselbe Kette und denselben Essenstrog und akzeptierten einander.

Wenn ein Mann krank wurde, sorgten die anderen dafür, daß sein Erzsack immer voll war. Wenn ein Mann geschlagen wurde, reichten die anderen Wasser von Hand zu Hand, damit seine Wunden gebadet werden konnten und er zu Trinken hatte. Und mit der Zeit kannten wir uns alle, die wir an die große Kette gefesselt waren. Wir waren keine finsteren, anonymen Gestalten mehr, die in der Feuchtigkeit des Bergwerks dahinvegetierten. Schließlich hatte nur noch Ost Angst wegen dieser Veränderung, denn er befürchtete ständig die Überflutung unserer Schlafkammer.

Unsere Kettengemeinschaft leistete gute Arbeit, und die Ablieferungsmenge wurde jeden Tag erreicht, und als sie vergrößert wurde, bereitete uns auch das keine Schwierigkeiten. Manchmal summten die Männer bei der Arbeit sogar vor sich hin, ein Summen, das in den engen Tunneln verstärkt wurde. Die Peitschensklaven Begriffen den seltsamen Wandel nicht und begannen sich vor uns zu fürchten. Die Nachricht von unserer neuen Eßmethode war von den Essensklaven auch in die anderen Bergwerke getragen worden. Und sie berichteten von den sonstigen seltsamen Dingen, die sich in dem Bergwerk tief unten am Zentralschacht ereigneten, von den Männern, die sich gegenseitig halfen und die auch die Zeit und den Willen aufbrachten, eine Melodie zu singen.